„Zinsen sinken, aber nicht für Häuslebauer“: Expertin erklärt, wie die Banken tricksen | ABC-Z

Tages- und Festgeldzinsen sinken, doch Bauzinsen bleiben hoch. Warum das so ist, wie Banken ihre Margen sichern – und was Käufer jetzt tun sollten, erklärt Baufinanzierungsexpertin Birgit Weber.
FOCUS online: Frau Weber, warum bleiben die Bauzinsen stabil oder sogar hoch, während die Tages- und Festgeldzinsen bereits wieder sinken? Wo liegt der Zusammenhang – oder warum gibt es hier keinen?
Birgit Weber: Die Baufinanzierungszinssätze orientieren sich primär an den Renditen langfristiger Staatsanleihen, insbesondere der Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit. Da die aktuelle Regierung mit einer neuen Rekordverschuldung von 846,9 Milliarden in der nächsten Wahlperiode plant, wird das Angebot an Staatsanleihen den Kapitalmarkt fluten. In der Regel bedeutet dies steigende Zinsen. Die Banken als Emittenten müssen in der Regel höhere Renditen als der Staat bieten, da ihr Rating schlechter ist. Ein Kapitalanleger wird bei gleicher Rendite immer eher eine Staatsanleihe kaufen. Das ist der Grund, warum die langfristigen Baufinanzierungszinsen nicht sinken.
Und Tages- und Festgeldzinsen sinken dagegen weiter. Das ist doppelt übel für Verbraucher.
Weber: Ja, weil sie stark an den Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) gekoppelt sind. Da es sich um kurzfristige Anlagen handelt, reagieren Banken hier direkt auf Anpassungen der EZB. Dies beeinflusst die variablen Zinsen für Zwischenfinanzierungen und ganz kurzfristige Finanzierungen. Hier können wir bei einigen Banken eine deutliche Senkung feststellen. Eigentlich müsste sich das auch zumindest bei den Dispozinsen widerspiegeln, aber leider passen die Banken diese nicht so schnell nach unten an wie die Zinssätze für Tages- und Festgelder.
Wie rechtfertigen Banken und Kreditinstitute das aktuelle Zinsniveau bei Baufinanzierungen, wenn die Refinanzierungskosten gesunken sind?
Weber: Wenn ich mir die Pfandbriefrenditen anschaue, lag diese im Juni 2024 für eine Laufzeit von fünf Jahren bei 3,2 Prozent und aktuell bei 2,65 Prozent. Diese Senkung geben die Banken kaum weiter, da sie eher an einer Zinsbindungsfrist von mindestens zehn Jahren interessiert sind. Die Pfandbriefrendite für zehn Jahre lag im Juni 2024 bei 3,25 Prozent und liegt jetzt kaum verändert bei 3,2 Prozent. Bei manchen Banken, wie der aktuellen Diba oder der Sparda-Bank, liegt der Zinssatz bei einer Zinsbindungsfrist von fünf Jahren über zehn Jahren. Das heißt, in den kürzeren Zinsbindungsfristen erhöhen die Banken ihre Margen.
Warum favorisieren Banken Zinsbindungsfristen von zehn Jahren und mehr?
Weber: Wenn ein Kunde beispielsweise eine Zinsbindungsfrist von fünf Jahren wählt, kann er das Darlehen mit Ablauf der Zinsbindungsfrist komplett ablösen oder zu einer anderen Bank wechseln. Das Risiko ist hier groß, dass die Bank bei gleichem Arbeitsaufwand nur fünf Jahre an dem Kunden verdient.
Bei Zinsbindungsfristen von mehr als 10 Jahren, sagen wir mal 15 als Beispiel, hat der Kunde ein Kündigungsrecht nach § 489 BGB. Das heißt, er kann zehn Jahre nach Vollauszahlung mit einer Frist von sechs Monaten aus der Finanzierung raus. Sind beispielsweise nach elf Jahren die Zinsen günstiger als bei Abschluss oder wird die Immobilie verkauft, kann man ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung aus dem Darlehensvertrag kommen. Deshalb ist bei manchen Banken der Zinsaufschlag für Zinsbindungsfristen von mehr als 10 Jahren besonders hoch, da das Zinsrisiko nur schwer kalkulierbar ist.
Welche Zinsbindungsfrist empfehlen Sie aktuell Ihren Kunden?
Weber: Hier gibt es keine pauschale Empfehlung. Es hängt von vielen Faktoren ab: Wie sieht der Kunde die Zinsentwicklung der nächsten Jahre? Wie risikobereit ist der Kunde? (Eine 10-jährige Zinsbindung ist beispielsweise ca. 0,3 % günstiger als eine 15-jährige Zinsbindung.) Wie viel Eigenkapital wird direkt eingesetzt? Mit welcher Tilgung kann der Kunde starten? Welche Sondertilgungen sind geplant? Wie ist die persönliche Situation des Kunden? Und wie lange plant er, die Immobilie zu halten?
Weber: Sicher, aber nur so kann ich anhand der gemachten Angaben für den Kunden ausrechnen, wo die Zinsschwelle für den neuen Zinssatz nach Jahren liegen wird und was für ihn das Beste ist. Bis 2021 haben sich die meisten Kunden für sehr langfristige Zinsen entschieden, wir haben sogar bis zu 30 Jahre angeboten. Aktuell würde ich sagen, dass drei Viertel eher zehn Jahre wählen.
Gibt es aktuell Spielräume für die Banken, die Bauzinsen zu senken, ohne wirtschaftlich ins Risiko zu gehen?
Weber: Ich sehe aktuell keinen Spielraum für Zinssenkungen, da die Einstandszinssätze eher eine seitwärts bis steigende Tendenz haben. Aus meiner Sicht werden die eingepreisten Risikokosten aufgrund von Kreditausfällen durch Insolvenzen und Arbeitslosigkeiten steigen. Dies merken wir auch daran, dass die eine oder andere Bank Kreditnehmer in der Probezeit oder Befristung nicht mehr finanziert. Ich denke, die Banken werden die Risikobetrachtung bei den Kreditnehmern weiter scharf beobachten und die Risikoprämien ggfs. weiter erhöhen.
Wie wirken sich die derzeitigen Zinsen konkret auf die Nachfrage nach Immobilien und Baufinanzierungen aus?
Worauf führen Sie das zurück?
Weber: Aus meiner Sicht liegt der Hauptgrund darin, dass Kunden keine Mietimmobilien finden. Gerade Familien haben auf dem aktuellen Mietmarkt kaum eine Chance und sehen im Kauf einer selbstgenutzten Immobilie ihre einzige Möglichkeit.
Kann eine Senkung der Bauzinsen tatsächlich helfen, die Bauwirtschaft wieder anzukurbeln – oder spielen andere Faktoren wie Baukosten, Materialpreise und Genehmigungen eine größere Rolle?
Weber: Wie wir aktuell sehen, ist die Kaufnachfrage nach bezahlbaren Immobilien nicht das Problem, denn die Immobilienkaufpreise haben sich seit 2023 sehr schnell wieder erholt. Aus meiner Sicht ist der Neubau das große Problem: Die Baukosten sind immens gestiegen. Aktuell rechnen wir bei dem Neubau einer Doppelhaushälfte ohne Grundstückskosten mit 3500 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Bei einer nicht unterkellerten Doppelhaushälfte mit einer Wohnfläche von 130 Quadratmetern liegen allein die Baukosten des Baukörpers bei 450.000 Euro. Zuzüglich der Grundstückskosten und der Kaufnebenkosten ist man schnell bei 600.000 Euro. Dies können sich nicht viele Familien leisten!
Ich kann etwas kaufen, das alt und nicht saniert ist.
Weber: „Ja, aber es gibt ein Problem. Die Kunden haben Angst, ältere, unsanierte Objekte zu kaufen – aufgrund der stark gestiegenen Kosten für Handwerker und Materialien sowie der Unsicherheit bezüglich zunehmender energetischer Auflagen seitens der Regierung. Besonders beliebt sind aktuell Objekte mit einem neueren Baujahr und vollständig sanierte Objekte.
Welche Rolle spielt der Wettbewerb unter den Banken beim aktuellen Zinsniveau?
Weber: Vor zehn Jahren hätte ich nie gedacht, dass sich die individuelle Betrachtung der Finanzierung so im Zinssatz widerspiegelt. Schauen wir zuerst einmal, wo der Zinssatz abhängt:
- Eigenkapitaleinsatz
- Dauer der Zinsbindungsfrist
- Angestellter, Beamter oder Selbstständiger?
- Energieklasse
- Postleitzahl des Kaufobjekts
- Selbstnutzung oder Vermietung
- Fördermittel wie beispielsweise KfW oder NRW-Bank
- Höhe der Tilgung
- Darlehensvolumen
Nachdem wir die Finanzierung analysiert haben, schauen wir, bei welcher Bank es für welche Punkte den größten Zinsnachlass bzw. den geringsten Zinsaufschlag gibt.
In den letzten zwei Jahren rückt bei den Banken die Energieklasse immer mehr in den Mittelpunkt. Es gibt Banken, die nur noch bis Energieklasse E finanzieren, oder solche, bei denen nach einer energetischen Sanierung eine wesentlich verbesserte Energieklasse erreicht werden muss. Bei besonders guten Energieklassen von A+ oder A gibt es Rabatte von bis zu 0,3 Prozent.
Warum schafft es die Regierung nicht, die Bauwirtschaft anzukurbeln?
Weber: Die Baukosten für Neubauten sind viel zu hoch. Diese ließen sich durch die Reduzierung der vielen behördlichen Auflagen mindern. Für einen Bauantrag in NRW gelten beispielhaft folgende Rechtsgrundlagen:
- Baugesetzbuch (BauGB): regelt das Bauplanungsrecht,
- Baunutzungsverordnung (BauNVO),
- Landesbauordnung (BauO NRW): regelt das landesspezifische Bauordnungsrecht.
Die technischen Anforderungen sind dann beispielsweise im Schallschutz, in der Barrierefreiheit, in der Belichtung, in der Belüftung, im Brandschutz, im Umweltschutz und in den allgemeinen Anforderungen an die Bauausführung geregelt. Insgesamt sind es mehrere Hundert Auflagen, die erfüllt werden müssen. Des Weiteren müssen die Bauämter personell aufgestockt werden, um eine schnelle Bearbeitung der Anträge zu gewährleisten.
Hört sich sehr bürokratisch an.
Weber: Es wird noch schlimmer. Bei Bestandimmobilien muss die Umwandlung von Räumlichkeiten wie Dachgeschossen, Anbauten und gewerblich genutzten Objekten in Wohnraum erleichtert werden. Wenn beispielsweise ein Dachgeschoss aus dem Baujahr 1980 in Wohnraum umgewandelt werden soll, müssen neben allen anderen Auflagen die aktuellen energetischen Anforderungen und Brandschutzvorschriften erfüllt werden. Dadurch lohnt sich die Schaffung von neuem Wohnraum in der Regel nicht. Wir brauchen einen starken Abbau von Bürokratie und Verordnungen, eine Aufstockung der Mitarbeiter in den Bauämtern sowie Förderungen durch Zuschüsse und Steuererleichterungen.
Was raten Sie potenziellen Bauherren und Käufern? Sollten sie abwarten, in der Hoffnung, dass die Zinsen sinken, oder jetzt zuschlagen?
Weber: Wie sich der Markt entwickelt, ist wirklich schwer zu sagen. Wenn ich daran denke, dass wir Ende 2024 bei einigen Finanzierungen wieder knapp unter 3 Prozent lagen und für 2025 mit fallenden Zinsen gerechnet haben – wo stehen wir jetzt! Ich versuche, mit meinen Kunden zusammenzuarbeiten, um zu ermitteln, welchen Faktor Wohnen (Baufinanzierungsrate, monatliche Wohnnebenkosten und Rücklagen) sie sich leisten können. Mit dem Eigenkapital ergibt sich das gesamte Investitionsvolumen. Und innerhalb dieses Rahmens sollte man sich auch umschauen.
Sehen Sie langfristig die Gefahr einer erneuten Überhitzung des Immobilienmarktes, wenn die Zinsen zu stark fallen?
Weber: Ja, die Gefahr sehe ich aufgrund des fehlenden Neubaus und der hohen Sanierungskosten.