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Ziel war Kapitulation: „Darum drückte Vance den Trigger“ | ABC-Z

Es begann doch recht friedlich, gestern im Oval Office. Warum die Eskalation? Trump brauchte sie, um die Amerikaner auf seine Seite zu ziehen, sagt Politologe Thomas Jäger. Denn die große Mehrheit will der Ukraine weiter helfen. Darum solle Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu gebracht werden, dass er kapituliert.

ntv.de: Herr Jäger, es dauerte eine ganze Weile gestern, bis US-Vizepräsident J.D. Vance den ersten Punch landete. So schien es zumindest. Wäre Selenskyj ruhig geblieben, hätte er die Eskalation dann verhindern können?

Thomas Jäger: Aus meiner Sicht lief das Gespräch nach Manuskript ab, als wäre es genauso geplant. Schauen Sie mal, allein dieses ungewöhnliche Format: Die Presse war während des Gesprächs anwesend. Die Kameras liefen die ganze Zeit. Normalerweise dauert der Kameratermin bei einem solchen Besuch zwei, drei Minuten, in denen man sich die Hand gibt und Nettigkeiten austauscht. Dann jedoch verlässt die Presse den Raum, die Gespräche beginnen hinter verschlossenen Türen. Gestern: ganz anders.

Warum?

Weil das meiner Einschätzung nach ein Akt öffentlicher Diplomatie war. Der Adressat dieser ganzen Show war die amerikanische Öffentlichkeit. Sie sollte davon überzeugt werden, dass die Ukraine die Unterstützung der USA nicht verdient.

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik an der Universität Köln.

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik an der Universität Köln.

Das Gespräch war aber deutlich länger als die fünf Minuten, die dann um die Welt gingen. Anfangs war Donald Trump relativ friedlich. Hätte es nicht so bleiben können?

Meine Einschätzung: Es sollte nicht so bleiben. Es sollte im Streit enden, und Voraussetzung dafür war, dass es nicht sofort im Streit beginnt. Präsident Trump und Vize Vance wollten das für mein Empfinden erstmal laufen lassen, demonstrieren, dass man im guten Einvernehmen miteinander ist. Dann hat J.D. Vance den Trigger gezogen, Trump ist draufgesprungen, und dann ist das ganze eskaliert. Man wollte am Ende zeigen können: Wir haben uns bemüht, ihr habt es alle gesehen. Aber Selenskyj ist undankbar.

Dass Trump das Gespräch so lange laufen ließ, untermauert für mich, dass es ein Akt öffentlicher Diplomatie war. Trump verwies am Ende sogar darauf, er habe es nur so lange laufen lassen, damit alle mal sehen können, dass Selenskyj keinen Frieden will.

Wenn aber Selenskyj auf Zen geschaltet hätte – Ohren zu und durch nur nicht reagieren?

Selenskyj hatte zwei Optionen. Entweder, er setzt sich hin, lässt alles über sich ergehen und hört sich an, wie toll Putin ist. Oder aber, er sagt:Nein, Putin ist nicht toll, mit dem kann man nicht reden und man kann ihm erst recht nicht vertrauen. Er hat sich für die zweite Option entschieden. Nun debattiert man, ob Variante eins zielführender gewesen wäre. Aus meiner Sicht ist es aber egal, wie er sich verhalten hätte. Es sollte dieses Ergebnis herauskommen und das wäre auch in der anderen Variante herausgekommen. Darum drückte Vance den Trigger.

Gewollte Eskalation nach Drehbuch? Sie haben recht, einige äußere Umstände sprechen dafür. Was aber macht Sie inhaltlich so sicher?

Die Eskalation liegt in der Sache begründet, das ist der entscheidende Punkt, nicht in der Situation gestern. Die amerikanische Regierung hat die russische Position übernommen, aber schon viel früher. Sie verfolgt unter Trump komplett andere Interessen als die Ukraine. Die Kommunikation, die gestern zu beobachten war, drückt diesen tiefen Interessenunterschied nur aus. Er ist nicht gestern im Oval Office entstanden. Selenskyj hatte nur die eine Chance, diese Eskalation zu vermeiden: Er hätte sagen müssen: Mit Putin würde ich gern reden und alle seine Bedingungen gern erfüllen.

Kapitulieren also? Meinen Sie das?

Exakt. Es ging darum, dass Selenskyj kapituliert, die Ukraine ausliefert. Trump ist schon viel früher auf die russische Position eingeschwenkt. In dem Moment, als er im Telefonat vor zwei Wochen akzeptiert hat, dass die Ukraine ohne Verhandlungen Gebiet abtreten muss, dass sie den Weg in die Nato nicht weitergehen kann, dass die USA keine Sicherheitsgarantien geben. Trump ist dem russischen Präsidenten Wladimir Putin weit entgegengekommen. Doch in der Folge, als die Gespräche zwischen beiden Seiten begannen, musste er realisieren, dass Putin nicht einen Zentimeter auf ihn zukam. Im Gegenteil, der Kreml hat die Forderungen noch erhöht.

Was hat er noch obendrauf gepackt?

Es ging jetzt nicht mehr um das Einfrieren der Kampfhandlungen an der Front, sondern den Rückzug der ukrainischen Truppen aus den annektierten Gebieten.

Also auch aus Regionen, die Russland noch gar nicht erobert hat?

Genau. Zudem sollten Sicherheitsgarantien nur von Staaten geleistet werden können, die nicht in der NATO sind. Zypern zum Beispiel. All diese Forderungen würden letztlich in die Kapitulation der Ukraine münden.

Wurde all das bei dem Treffen vor zehn Tagen in Riad besprochen?

Noch weitaus mehr. In Riad speziell ging es nicht nur darum, dass die Ukraine als Staat neutral werden und ohne Schutz der EU und der USA bleiben sollte. Die russische Delegation forderte auch, NATO-Truppen anderer Länder sollten aus ganz Osteuropa abziehen.

Das sind ja wieder die Forderungen aus dem Winter 2021, oder?

Drei Monate vor Kriegsbeginn, im Dezember 2021, hat der Kreml Dokumente mit Forderungen an die NATO vorgelegt:. Rückzug der aus Osteuropa, alle Truppen raus, Rückbau der gesamten Infrastruktur. Letztlich sollten die USA sich komplett aus Europa zurückziehen. Die Russen legten das der Nato vor nach dem Motto: Unterschreibt hier, dann gibt es keinen Krieg.

Auf diese Weise hätte Russland seinen Einflussbereich in Europa wieder herstellen können.

Genau, es ging um Dominanz über Europa. Das ist letztlich das Ziel, das Putin mit dem Ukrainekrieg verfolgt. Das hat er aber militärisch bislang nicht erreichen können und versucht, es jetzt zu realisieren über die Bereitwilligkeit des amerikanischen Präsidenten, seine Forderungen zu übernehmen. Putin hat also seine Forderungen in den letzten Tagen immer weiter nach oben geschraubt, und erst da hat Trump gemerkt, dass er keinen Hebel gegenüber Putin hat. Trumps Konsequenz: Er versucht nun, den Hebel gegenüber Selenskyj so anzusetzen, dass dieser die Kapitulation akzeptiert. Das hat der Ukrainer aus verständlichen Gründen gestern nicht getan.

Was aber hat der US-Präsident damit gewonnen, das alles in die Öffentlichkeit zu zerren?

Trump weiß, dass er momentan einen – wenn man so will – Hauptgegner hat, dem er seine Position noch nicht verkaufen kann. Das ist die amerikanische Bevölkerung. Drei Viertel sind laut Umfragen dafür, der Ukraine weiter zu helfen. Putin hingegen hat ein sehr schlechtes Image. Wie soll Trump der Öffentlichkeit klarmachen, dass die USA nun plötzlich an der Seite Russlands stehen? Obwohl eine große Mehrheit dagegen ist? Ihm blieb nur, den Verbündeten – nun schon fast ehemaligen Verbündeten – so runterzumachen, dass er danach vor der Öffentlichkeit sagen kann: Selenskyj wollte nicht. Der will keinen Frieden. Das war auch in den Interviews im Anschluss der Schlüsselsatz. Selenskyj will keinen Frieden. Aber dieser „Frieden“, zu diesen Bedingungen und ohne Sicherheitsgarantien, hieße Kapitulation.

Und nun? Nach der offenen Entzweiung gestern – rechnen Sie damit, dass die USA Hilfen wie Elon Musks Satellitensystem Starlink und die Satelliten-Aufklärung schnell und stark herunterfahren?

Ja, das ist zu befürchten. Ob es so kommt, wird davon abhängen, wer jetzt noch Einfluss nehmen kann auf diese Prozesse. Diese Zerrüttung hat allerlei Kommunikation ausgelöst aus allen möglichen Richtungen. Das meiste davon bekommt man gar nicht mit. Wir werden ein paar Tage warten müssen, um die Folgen für die Ukraine einschätzen zu können. Bekannt ist aber, dass die US-Regierung gerade mit Blick auf Aufklärung bereits dafür gesorgt hat, dass bestimmte Dienste eingestellt werden.

Mit Thomas Jäger sprachen Frauke Niemeyer und Lea Verstl

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