Zehntausende wollen Bernie Sanders sehen: “Ihr macht Trump und Musk sehr nervös” | ABC-Z

In Kalifornien wird US-Senator Bernie Sanders wie ein Popstar gefeiert. Zehntausende Menschen bejubeln seine fuchtelnden Finger gegen Präsident Trump und die Superreichen, manche kreischen nach ihm. “Das war genau das, was ich brauchte”, sagt eine Besucherin.
Links vom Rathausturm geht die Sonne auf – und brennt auf den Widerstand unter Palmen herunter. Widerstand gegen die US-Regierung, die Macht der Superreichen und Korruption, Abschiebungen und die Unterstützung für Israels Krieg in Gaza. Zehntausende Menschen werden an diesem Samstag in die historische Innenstadt von Los Angeles kommen. Wenn so viele an einem frühsommerlichen Wochenendtag über viele Stunden bei einer politischen Kundgebung versammeln, muss sie etwas tief beunruhigen. Oder jemand. Donald Trump.
Der US-Präsident ist nicht einmal 100 Tage im Amt. Aber die Menschen treibt er mit seiner Abrissbirnen-Politik gegen sich auf die Straßen. So wie vergangene Woche bei den “Hands off”-Protesten im ganzen Land. So wie bei der “Fight Oligarchy”-Tour durch die Vereinigten Staaten, die sich zu einem frühen Mobilisierungsmesser für den Widerstand entwickelt. Der Bannerträger der Bewegung links der Demokraten ist, einmal mehr, der unabhängige Senator Bernie Sanders. Er und andere progressive Kongressmitglieder werfen der Partei vor, untätig zu sein angesichts um sich greifender Korruption in Washington, des Einflusses des Geldes auf Trumps Politik und seine Missachtung demokratischer Prinzipien.

“Fight Oligarchy”: Bernie Sanders fand klare Worte gegen Trump und den Einfluss von Superreichen auf die Politik.
(Foto: REUTERS)
“Ich muss hier niemandem sagen, dass dies ein schwieriger Moment ist”, wird Sanders Stunden später von der Bühne über Trumps Machthunger, die Bürgerrechte und Bereicherung von sich und seinen Verbündeten ausführen. “So etwas haben wir noch nie erlebt, aber ich möchte Folgendes sagen: Verzweiflung ist keine Option. Aufgeben und sich unter der Decke verstecken, ist inakzeptabel.” Wenn die drei reichsten Männer der USA genauso viel besitzen wie die Hälfte der Bevölkerung, laufe etwas schief. “Eure Anwesenheit hier macht Donald Trump und Elon Musk sehr nervös”, sagt der Senator unter Jubel.
Sanders hatte 2016 und 2020 versucht, sich in den Vorwahlen der Demokraten die Präsidentschaftskandidatur zu sichern. Er scheiterte beide Male, aber vor fünf Jahren gewann der Linke dabei die Vorwahl in Kalifornien. Es war ein Ausrufezeichen der 50 Millionen Einwohner des Bundesstaats, der allein die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt wäre. Nun ist der 84-Jährige zurück. Die Veranstalter werden später angeben, es seien 36.000 Menschen gekommen, die größte auf der Tour gemeldete Zahl.
“Gefühl, dass alles den Bach runtergeht”
Lara Freedman ist auch dabei. “Ich und viele andere, die ich kenne, fühlen sich völlig machtlos”, sagt die 28-Jährige, die mit einer Freundin am Fuße des Rathauses sitzt und auf die Rede von Sanders wartet. Sie arbeitet als Kostümdesignerin und sagt, sie sei einer der wenigen in der Stadt, die noch einen Job in der Filmbranche habe, da alle Studios Stellen abbauten. “Ich habe das Gefühl, dass alles den Bach runtergeht.” Die Personen in Verantwortung täten zu wenig. “Bernie und Alexandria Ocasio-Cortez haben etwas zu sagen, wie wir uns wehren können, wie immer das auch aussehen mag.” Lara Freedman glaubt, dass sich zukünftig die Verzweiflung der Menschen auch in Wut und Gewalt ausdrücken könnte.


Alexandria Ocasio-Cortez gehört zum relativ kleinen progressiven Flügel der Demokraten im Kongress.
(Foto: REUTERS)
Auffällig viele Jüngere sind gekommen. Sie sehen, wie sich Gewerkschafter und Politiker stundenlang mit Auftritten von Musikern abwechseln, als sei bereits Wahlkampf. Dabei findet die Kongresswahl erst in eineinhalb Jahren statt. “Willkommen zu Bernies Show”, grüßt Folk-Pop-Star Maggie Rogers scherzend von der Bühne. Doch so ist es: Sanders ist der alternde Star, der noch einmal auf Tour geht und von dem niemand weiß, wie lange er durchhält. Zunächst singt aber Joan Baez, die Ikone der Friedensbewegung, unter anderem John Lennons “Imagine”. Auch der ewige Neil Young ist da und fordert immer wieder “Take America Back”, während Tausende ihre erhobenen Arme zum E-Gitarrensound von links nach rechts wiegen.
Mit Sanders auf Tour ist die bekannte progressive Kongressabgeordnete Ocasio-Cortez. Als das Gesicht der neuen linken Generation ans Mikrofon tritt, wird es mucksmäuschenstill. “Eine extreme Konzentration von Macht, Gier und Korruption erobert dieses Land wie nie zuvor”, berichtet sie. Die Politik sei von “Big Money” und Milliardären dominiert. Trump sei keine Anomalie, sondern “das logische Ergebnis”. Die Menge bricht in Buhrufe aus. Die Republikaner wollten ihre Steuersenkungen für die Reichen mit Kürzungen im Sozialsystem finanzieren, sagt sie; dies sei höchst unpopulär, aber: “Sie dienen nicht euch, sondern denen, die sie bezahlen. Das ist Oligarchie.”
Immer wieder trifft Ocasio-Cortez den Nerv der Zuhörenden. Als sie nach Washington kam, erzählt die 35-Jährige, sei sie schockiert gewesen zu erfahren, wie tagtäglich es sei, Geld von Lobbyisten anzunehmen. Die Kongressmitglieder redeten sich zudem selbst ein, dass es für sie selbst völlig in Ordnung sei, an der Börse zu handeln. “Wie kann jemand objektiv über Gesundheitspolitik, Energie oder Krieg entscheiden, wenn ihr persönliches Vermögen in Pharma-, Gas und Öl- oder Rüstungsaktien steckt?”, fragt Ocasio-Cortez rhetorisch unter Buhrufen: “Sie können es nicht.” Bei Trumps Zoll-Volten sei es nicht um Industriejobs gegangen, sondern um Marktmanipulation für ihn und seine Verbündeten.
“Erzählt mir nichts von Demokratie”
Dann kommt Sanders. Der Senator wird wie ein Popstar mit Sprechchören empfangen. Wegen des aufkommenden Autoritarismus von Trump beschreibt er eine “große Gefahr” für die Vereinigten Staaten. Früher habe er darüber geredet, wie sich die USA auf eine Oligarchie zubewegen. “Jetzt rede ich darüber, wie wir in einer Oligarchie leben.” Bei Trumps Vereidigung hätten hinter ihm Elon Musk, Meta-Chef Mark Zuckerberg und Amazon-Eigentümer Jeff Bezos gestanden, und dahinter dreizehn weitere Milliardäre, die Behörden übernehmen sollten. “Erzählt mir nichts über Demokratie, wenn Musk 270 Millionen Dollar in Trumps Wahlkampf steckt und dann mit dem wichtigsten Posten in dessen Regierung belohnt wird.”
Der Senator arbeitet sich mit seinem typischen fuchtelnden Finger an den sozialen Missständen in den USA ab, der fehlenden öffentlichen Krankenversicherung, niedrigen Mindestlöhnen, hohen Studiengebühren, dem permanenten Wohlstandstransfer von unten nach oben. Er redet über den ständigen Stress, weil ein Großteil der Bevölkerung keine finanziellen Reserven aufbauen kann, und der resultierende Stress die Lebenserwartung um Jahre verringert. Sanders nennt die Vorgehensweise der Einwanderungsbehörde, die auf Trumps Geheiß die Menschen von der Straße weg festnehme, empörend: “Das passiert in Diktaturen, nicht in Demokratien!” Und immer wieder wettert Sanders gegen diejenigen, die sich auf dem Rücken der unteren Einkommensschichten bereichern würden. “Außer, wir halten sie auf. Und wir werden sie aufhalten.” Die Menge jubelt.
Nach rund einer halben Stunde kommt Sanders zum Schluss. “Die Oligarchie wird uns nichts zugestehen. Sie haben das Geld, die Macht, kontrollieren den Kongress, das Weiße Haus, den Großteil der Medien.” Doch die Menschen im ganzen Land wollten eine Regierung, die für alle Politik mache, “nicht nur für das eine Prozent”. Und dann bekommt die Bernie-Show einen würdigen Abschluss. Der Senator winkt, tritt von der Bühne – und wird von Hunderten kreischenden Anhängern empfangen, die ihm hinter den Wellenbrechern ihre Hände entgegenrecken, bis er nach langen Metern entschwindet.
Vor dem Ausgang sitzt Araceli Martínez. Warum sie hier gewesen sei? “Ich fühle mich gezwungen, etwas zu tun”, sagt sie. “Alles, was derzeit passiert, macht mir Angst.” Trumps autoritäres Vorgehen, die willkürliche Abschiebung von Menschen, die Zerstörung der Bürgerrechte in atemberaubendem Tempo. Die 45-jährige Anwältin ist für die Kundgebung aus San Diego nach Los Angeles gekommen. “Was gesagt wurde, war inspirierend und genau das, was ich gebraucht habe, um mich nicht so festgefahren zu fühlen.” Es sei ein schönes Gefühl gewesen, unter all diesen Menschen zu sein, die sich umeinander sorgten, nicht nur um Geld. Araceli Martínez hat jetzt vor, wieder politisch aktiv zu werden: “Ich werde noch viele weitere freie Samstage dafür aufbringen.”