Zahlen Millionen Mieter und Eigentümer zu viel? | ABC-Z

Manche Eigentümerinnen und Eigentümer, aber auch viele Mieterinnen und Mieter, mussten zweimal hinschauen, als sie ihre neuen Grundsteuer-Bescheide erhalten haben. Verdopplungen, Verdreifachung, Vervierfachung – all das war keine Seltenheit. In einzelnen Fällen mussten die Eigentümer gar zehnmal mehr zahlen als bisher. Andere hingegen freuten sich, die Grundsteuer sank. Auf Mieter ist die Grundsteuer umlegbar, auch sie müssen entsprechend mehr oder weniger zahlen. Am Mittwoch befasst sich nun der Bundesfinanzhof mit der neuen Grundsteuer. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum wurde die Grundsteuer reformiert?
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2018 eine Reform angemahnt, da die bis zum Vorjahr genutzten Immobilienwerte veraltet waren. So galten in Westdeutschland die Immobilienwerte von 1964, in Ostdeutschland die von 1935. Als Bundesfinanzminister brachte Olaf Scholz (SPD) 2019 die Reform auf den Weg und setzte sie als Bundeskanzler um. 36 Millionen Immobilien in Deutschland wurden in diesem Zuge neu bewertet.
Wird die Grundsteuer bundesweit einheitlich bewertet?
Nein. Elf der 16 Bundesländer haben sich einem einheitlichen Bundesmodell angeschlossen: Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die restlichen fünf Bundesländer, Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen, haben sich für individuelle Landesmodelle entschieden.
Wie viele Klagen sind an den Gerichten anhängig?
Es gibt verschiedene Klagen – sowohl gegen das Bundesmodell als auch gegen die Landesmodelle. Insgesamt sollen mehr als 2.000 Immobilieneigentümer eine Klage eingereicht haben, hat die Deutsche Presse-Agentur in einer Umfrage unter den 18 deutschen Finanzgerichten ermittelt. Die meisten Klagen gibt es demnach mit 636 Fällen in Hessen – und damit in einem Bundesland mit einem Landesmodell. Darauf folgt Nordrhein-Westfalen, wo 425 Klagen anhängig sein sollen und das Bundesmodell genutzt wird.
Was ist die Kritik?
Die Hauptkritikpunkte beim Bundesmodell liegen beim sogenannten Bodenwert und beim Mietwert der Immobilie. So hatte der Eigentümerverband Haus und Grund beim Augsburger Verfassungsrechtler Gregor Kirchhof ein Gutachten in Auftrag gegeben. Ergebnis: Kirchhof zweifelte gleich in fünf Punkten an der Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells. Unter anderem kritisierte er, dass die Bodenrichtwerte nicht miteinander vergleichbar seien.
Beim Mietwert der Immobilie wird eine fiktive Miete angesetzt. „Diese Miete wird pauschalisiert festgesetzt, ohne dass geprüft wird, ob sie tatsächlich realisierbar ist – sowohl nach oben als auch nach unten“, sagt Daniela Karbe-Geßler, Leiterin Steuerrecht und Steuerpolitik beim Bund der Steuerzahler, im Gespräch mit dieser Redaktion.
Bedenken gibt es bezüglich eines bereits erfolgten Urteils des Bundesfinanzhofs. Der hatte geurteilt, dass man gegen eine zu hohe Bewertung vorgehen kann – nämlich dann, wenn der Grundsteuerwert 40 Prozent über dem tatsächlichen Wert der Immobilie liegt. Das Urteil ist zwar im Sinne der Eigentümerinnen und Eigentümer. Aber: „Hier wird die Verantwortung auf die Eigentümer verschoben. Sie sollen einen Gutachter suchen und müssen viel Geld dafür zahlen, um nachzuweisen, dass der Grundsteuerwert zu hoch ist“, sagt Karbe-Geßler. Außerdem sei nicht begründbar, warum der Wert bei 40 Prozent und nicht etwa bei 35 oder 30 Prozent liege.
Worum geht es vor dem Bundesfinanzhof?
Der Bundesfinanzhof verhandelt in drei Verfahren über das Bundesmodell. In den drei Fällen geht es um mögliche Fehler bei der Berechnung der Mieten und der Bodenrichtwerte. In den Vorinstanzen hatten das Finanzgericht Köln, das sächsische Finanzgericht und das Finanzgericht Berlin-Brandenburg das Bundesmodell als verfassungsgemäß eingestuft. Die Urteile zu den Verfahren werden im Dezember erwartet.
Wie geht es dann weiter?
Der Eigentümerverband Haus und Grund, aber auch der Steuerzahlerbund streben eine Klärung vor dem Bundesverfassungsgericht an. Sollte der Bundesfinanzhof die Klagen abweisen und seine Gründe vorlegen, bleiben vier Wochen Zeit für eine Verfassungsbeschwerde. Wann das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beginnt und wann es zu einem Urteil kommen könnte, ist völlig unklar.
Was ist, wenn man keinen Einspruch oder keine Klage eingereicht hat?
Viele Steuerberater hatten ihren Mandanten empfohlen, Einspruch gegen die neue Grundsteuer einzulegen. Dafür ist es mittlerweile zu spät, es sei denn, es gibt eine Neufeststellung der Grundsteuer, etwa weil sich am Grundstück etwas ändert. „Dann kann man gegen den Neufeststellungsbescheid Einspruch einlegen“, sagt Karbe-Geßler. So könne man sich alle Rechte sichern und habe keine Nachteile.
Sollte die Grundsteuer als nicht verfassungsgemäß eingestuft werden, würde das Urteil natürlich für alle gelten und nicht nur für diejenigen, die Einspruch eingelegt oder geklagt haben.
Müssen die Länder viel Geld zurückzahlen, sollte die Grundsteuerberechnung verfassungswidrig sein?
Ähnlich wie bei den Verhandlungen zum Solidaritätszuschlag kursiert diese Sorge in der Politik. Allerdings ist sie relativ unwahrscheinlich. Die Grundsteuer ist neben der Gewerbesteuer die wichtigste Steuer, die die Kommunen selbst erheben können. Sie sind auf das Geld angewiesen, um Aufgaben, die der Bund an sie überträgt, überhaupt leisten zu können. Ein rückwirkendes Urteil würde den ohnehin klammen Kommunen den finanziellen Boden unter den Füßen wegziehen. Wahrscheinlicher sei, dass eine Fortgeltungsdauer benannt werde, das Gesetz also für einen gewissen Zeitraum weiterhin Gültigkeit habe, obwohl die Grundlage weggefallen sei, erläutert Karbe-Geßler.
Müssen Eigentümer im Schnitt mehr zahlen?
Der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz hatte versprochen, dass die Grundsteuer „aufkommensneutral“ sein soll. Heißt: Was der eine mehr zahlen muss, muss der andere weniger zahlen, unter dem Strich soll es sich ausgleichen. Eine bundesweite Betrachtung gibt es bisher nicht. Jedoch gibt es erhebliche Zweifel, dass die Grundsteuerreform tatsächlich aufkommensneutral ist. So hatte der Steuerzahlerbund in Baden-Württemberg nachgerechnet: Von 1.101 Kommunen im „Ländle“ lagen am Ende 338 Kommunen oberhalb des sogenannten aufkommensneutralen Korridors.
Harsche Kritik kommt vom Eigentümerverband Haus und Grund, der mit dem Steuerzahlerbund die Klagen unterstützt und teils die Prozesskosten übernimmt. „Aufkommensneutral und gerecht sollte die Reform sein. Das scheint jetzt keine Rolle mehr zu spielen. Viele Städte und Gemeinden haben die Reform der Grundsteuer als Hebel zur Sanierung der Kommunalfinanzen entdeckt“, sagte Haus und Grund-Präsident Kai Warnecke dieser Redaktion. Mit Blick auf die Wohnkosten sei das ein „fatales Signal“, das zudem das Land spalte. „Ein Eigentümer zahlt in den betrachteten Städten Sachsen-Anhalts jährlich knapp 300 Euro Grundsteuer. In Berlin wird für ein vergleichbares Einfamilienhaus durchschnittlich fast das Dreifache pro Jahr fällig. Das ist alles andere als fair.“
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Allerdings gibt es auch die Fälle, in denen die Hebesätze gesenkt wurden. Und das auch unter anderem auch in Berlin. Dort habe es Fälle gegeben, in denen die neue Grundsteuer dadurch in einigen Fällen sehr hoch, in anderen sehr niedrig geworden sei, sagt Karbe-Geßler. Grundsätzlich sei eine Vergleichbarkeit schwierig. Denn die Kommunen würden die Hebesätze schließlich nicht nur aufgrund der Grundsteuerreform anpassen. Vielmehr seien viele Kommunen gezwungen, diesen Schritt zu gehen, um etwa höhere Kosten in Form von Tarifabschlüssen für die Beschäftigten oder für andere Aufgaben vor Ort zu stemmen.
















