Stil

Wonach schmecken Siziliens Köstlichkeiten? | ABC-Z





17. Juni 2024 · Sizilien bietet eine unglaubliche geschmackliche Vielfalt. Wir haben uns durch die Köstlichkeiten der größten italienischen Insel probiert.




Sizilien ist eine Welt für sich. Griechen, Römer, Normannen, Araber, Spanier – sie alle waren irgendwann auf der größten Insel des Mittelmeers und haben Spuren hinterlassen. Das vielfältige kulturelle Erbe kann man noch heute aus den regionalen Gerichten herausschmecken. Im mediterranen Klima gedeihen Aromen fast wie von selbst, und die vulkanische Erde rund um den Ätna ist fruchtbar. Vor allem im Südosten der Insel, rund um das Gebirge Monti Iblei, sind noch kulinarische Schätze zu entdecken. Dass man die Gegend um die Städte Ragusa, Modica und Scicli seit einer Weile als Tal des guten Geschmacks wahrnimmt, geht auch auf das Konto von Roberta Corradin, die eigentlich aus dem Norden Italiens kommt und seit Jahren im pittoresken Fischerdorf Donnalucata lebt. Früher war sie Restaurantkritikerin und ist viel gereist. Mittlerweile kommt die Welt zu ihr: Nachdem sie eine Zeit lang ein Restaurant betrieben hat, bringt sie die sizilianische Küche nun mit dem Projekt „The Learning Kitchen“ näher, bei dem sie Vier-Gänge-Menüs serviert. Gemeinsam begeben wir uns auf die Spuren bester sizilianischer Produkte.








Prima Granita

Am besten startet man seine kulinarischen Recherchen mit dem Frühstück. In Sizilien gibt es morgens häufig Granita mit Brioche. Granita wird aus Eis, Zucker und Wasser in unterschiedlichen Geschmacksnoten hergestellt und erinnert in seiner kristallinen Konsistenz an Frozen Margarita oder Sorbet. Roberta Corradin steuert die Gelateria „Rosy Bar“ in Modica an, eine Eis- und Dessert-Bar, die mit ihrem schummrigen Licht und rustikalen Holzvitrinen etwas aus der Zeit gefallen scheint, aber „die beste Granita von ganz Modica macht“, wie Corradin sagt. Sie isst am liebsten die Kaffee-Granita mit Brötchen statt Brioche, bestellt wird jede Sorte zum Probieren. Zum Beispiel die limoncello-süßliche Zitrone, wilde Erdbeere, Schokolade und natürlich Pistazie, das es in der „Rosy Bar“ auch als „pistacchio smeraldo“ gibt: Granita von der raren lokalen Bronte-Pistazie aus dem Gebiet Catania, die dank der vulkanischen Erde am Fuß des Ätnas einen besonderen Geschmack entwickelt und leuchtet wie ein Smaragd. Wer das „grüne Gold“ einmal probiert hat, will nie wieder eine andere Pistazie haben.








Il Buon Principe

„Die Saison auf Sizilien kommt wie Schluckauf“, sagt Roberta Corradin auf dem Weg zu unserem nächsten Stopp, dem Weingut Armosa – abgesehen von den Sommermonaten, wenn auf der Insel immer viel Betrieb herrscht. Doch egal, wann man kommt: An sizilianischem Wein kommt keiner vorbei. Der bekannteste ist zweifellos der Nero d’Avola, den man deshalb auch „Il Principe“ nennt. Zu erkennen ist er an seiner rubinroten Farbe und dem beerig-würzigen Geschmack. Der Ruhm ist dem Prinzen jedoch inzwischen zu Kopf gestiegen: Vielerorts ist er in mangelhafter Qualität erhältlich. Seit 2002 versuchen Michele Mölgg und Elisabetta Arrabito daher, ihn so zu interpretieren, wie man jeden Prinzen gern hat: natürlich und mit gutem Charakter. so zu interpretieren, wie man jeden Prinzen gern hat: natürlich und mit gutem Charakter. Dafür haben die beiden das letzte verbliebene Anbaugebiet unmittelbar am Strand gerettet. Durch die Nähe zum Meer ist der sandige, kalkhaltige Boden besonders reich an Mineralien und natürlich bewässert.




Foto: Picture Alliance




Es liegt ein warmer, salziger Wind in der Luft, der durch die Blätter raschelt, als uns Salvo vom Weingut eine Flasche Curma entkorkt, so etwas wie der „Cru“ des Hauses, der nach verlängerter Mazeration ungefiltert 22 bis 30 Monate in französischen Eichenholzfässern reift und frühestens nach dreieinhalb Jahren in den Handel kommt. Er schmeckt nach Wildbeerenmarmelade, schwarzen Kirschen und Pflaumen mit würzigen, balsamischen Noten. Seine Tannine sind sanftmütig und ausgewogen. Noch mehr aber ist es der Salipetry, der trockene und mineralische gelbe Muskateller von Armosa, der uns mit seinem Aroma von getrockneten Rosen, Orangenblüten und Jasmin herrlich überraschend den Kopf verdreht.

Cioccolato Modicano

Als frühere Restaurantbetreiberin weiß Roberta Corradin genau, wo es die besten Zutaten gibt. So auch in Sachen Schokolade – dafür ist die Stadt Modica berühmt. „Ein Relikt aus der Zeit der spanischen Vorherrschaft“, sagt Corradin. „Die Spanier wiederum haben das Rezept von den Azteken übernommen.“ In Modica wird Schokolade noch heute nach einem jahrhundertealten Verfahren „kalt“ hergestellt und nicht conchiert. Cioccolato modicano erkennt man daher daran, dass sie im Mund etwas knirscht, weil die Zuckerkristalle nicht ganz aufgelöst wurden.




Bei einer Führung in der Fabrik Ciokarrua des Schokoladenmachers Giovanni Cicero kann man den Herstellungsprozess – nach altem Rezept, aber mit modernen Geräten – gut beobachten. Und natürlich probieren. Bei Cicero gibt es obendrein „Carrubato“: aus Johannisbrotpulver und Kakaobutter hergestellte, wegen der samtigen Konsistenz an Schokolade erinnernde Tafeln, die wie goldener Sirup schmecken, allerdings weniger süß. Auf die Frage, wie man auf so etwas kommt, antwortet Cicero mit einem beinahe biblischen Gleichnis: „Anfangs waren die Leute misstrauisch und fragten: ‚Was willst du damit, das essen doch nur Esel!‘ Doch ich sagte: ‚Habt ihr schon einmal einen Esel mit schlechten Augen gesehen?‘“ Sogar gesund ist „Carrubato“.

Tutti i Formaggi

Dann ein Spaziergang durch die beschauliche Altstadt von Modica. Sie wurde, wie acht andere Städte im Südosten Siziliens, darunter Catania, Noto, Ragusa und Scicli, durch das große Erdbeben von 1693 zerstört und am gleichen Ort oder direkt daneben im spätbarocken Stil der Zeit wieder aufgebaut – allerdings nicht ohne stadtplanerische Neuerungen. Modica ist heute UNESCO-Weltkulturerbe. In einem der historischen Gewölbe hütet Giorgio Cannata seit 1983 auch ein kulturelles Erbe: Käse. Und andere Produkte der Region.








Die Theke des blau gekachelten „Casa del Formaggio“ ist eine Schatztruhe, denn Cannata vertreibt ausschließlich Käse von unabhängigen kleinen Produzenten. Viele der hier verkauften Produkte tragen das italienische Gütesiegel D.O.P., welches traditionelle regionale Produkte und Techniken schützt und bewahrt. Als erstes holt er einen Luna Piena hervor, einen gräulich gefärbten Kuhmilchkäse, rund wie der Vollmond. Ein paar Kühe gibt es in den vulkanischen Hochebenen rund um Modica nämlich doch. Durch ein besonderes Enzym wird der Käse zum Dahinschmelzen weich. Ein weiterer Klassiker ist der Caciocavallo, der birnenförmig hängend reift und im Geschmack Ähnlichkeiten mit einem Provolone hat. In Sizilien sagt man: „Pass auf, dass du nicht wie ein Caciocavallo endest!“ Damit meint man: am Galgen. Der Käse wiederum endet am besten im Essen: Er passt hervorragend zu sizilianischen Gemüsegerichten. Über seine Pasta streut man in dieser Gegend übrigens Pecorino oder Ragusano – „aber niemals Parmesan“, sagt Cannata mit erhobenem Zeigefinger.

Pasta Mia!

Apropos: Sizilien zu besuchen, ohne Pasta bei einer sizilianischen Familie zu essen, ist möglich, aber sinnlos. Da können einem noch so viele Sterne vom Himmel geholt und auf den Teller gelegt werden. Für eine selbstgemachte Pasta braucht es lediglich Mehl, Wasser, vielleicht noch ein Ei – und Liebe. Roberta Corradin schwört auf das Mehl des Molino Soprano, der seit 2008 wieder von der Familie Distefano betrieben wird. Vater Francesco Distefano kommt aus einer alten Müller-Dynastie. Die frühesten Vorläufer der Mühle stammen aus der Zeit um 1600. Gemahlen werden alte Weizensorten mit einer altertümlichen Steinmahltechnik. Das fertige Mehl ist bekömmlich und weist einen geringen Gluten- und Stärkeanteil auf. Der Molino Soprano stellt eigene Hartweizennudeln aus dem Vollkornmehl Russello her, aber Roberta Corradin hat uns bei Giorgio Gulino und Pina Scorfani angemeldet, einem herzlichen älteren Paar, das in Giarratana Pastakurse anbietet. Ihr Zuhause ist ein familiäres Refugium mit einigen Gästewohnungen namens Aruciméli, in dem jeder mit drin hängt. Schwiegersohn Gabriel Del Rossi managt das Ganze mit seiner Frau und bietet auch kulinarische Radtouren über die Insel an. Pina Scorfani zeigt uns, wie man Cavatelli macht, eine lokale Pastasorte. Zunächst wird der Teig geknetet und ausgerollt, dann in Rauten geschnitten. Mit dem Zeige- und Mittelfinger lassen sich die Cavatelli spielend einrollen. Zumindest, wenn man so viel Erfahrung hat wie Pina Scorfani.

Le Olive di Chiaramonte Gulfi

Olivenöl gehört zu den sizilianischen Grundnahrungsmitteln. Im Südosten findet man Olivenplantagen rund um Chiaramonte Gulfi. Auch Gianni Mazza besitzt in der Gegend einen familieneigenen Olivenhain, gelegen im bergigen Hinterland, das aussieht wie ein impressionistisches Gemälde. Das Anwesen liegt 500 Meter über dem Meeresspiegel. Es ist etwas kühler, aber sonnig – beste Voraussetzungen für eine gute Ernte.




Umgeben von Olivenhainen: Gutes Olivenöl ist immer etwas bitter und kratzt leicht im Rachen.Foto: Getty




Gianni Mazza war lange Manager bei einer italienischen Bank, bevor er sich entschloss, Salvia Officinalis zu gründen, eine kleine Marke für lokale Erzeugnisse rund um die Olive. Das erste Öl benannte er nach seiner Tante, die alle Fäden zusammenbrachte: „Donna Carme“. Die Plantage hat allerdings eine andere Frau mit ihrem eigenen Geld und eigenen Händen aufgebaut: Gianni Mazzas Ururgroßmutter, die für eigenen Besitz noch kämpfen musste. „Im Grunde ist Sizilien eine matriarchale Gesellschaft“, sagt Roberta Corradin beim Spaziergang durch das Anwesen, in dem die Olivenbäume sogar noch älter sind als die Ururgroßmutter – 200 bis 300 Jahre alt. Viele unabhängige Bauern der Region bringen ihre Ernte zur Olivenmühle Frantoio Gulino der Familie Presti. Eine hochmoderne Anlage, die das Beste aus dem Besten herausquetscht. Die Prestis machen auch ihr eigenes Öl. Ihr preisgekröntes Erbesso kratzt wie jedes gute Olivenöl leicht im Rachen.

Il Maestro della Famiglia

Obwohl auf Sizilien die Bewahrung des traditionellen regionalen Geschmacks hochgehalten wird, steht die Zeit nicht still. Das sieht man in der Enoteca Rappa in Modica, die eine große Auswahl an Natur- und Orangeweinen führt. Oder im „Monsù“ in Ragusa, in dem ein französisch-sizilianisches Pärchen die Aromen ihrer jeweiligen Heimat miteinander vermählt. An einer Person kommt man im Südosten Siziliens zudem kaum vorbei: Ciccio Sultano.




Fangfrisch aus dem Meer: Tintenfischpasta mit Scampi aus der Küche von Ciccio SultanoFoto: Imago




Nach Stationen in Deutschland und New York hat er 2000 in seiner Heimatstadt Ragusa das Restaurant „Duomo“ eröffnet, das er mit Gabriella Cicero führt und das zwei Michelin-Sterne hat. Das „Duomo“ ist ein sizilianischer Pilgerort für sich. Seit 2015 betreibt Sultano zudem „I Banchi“, eine moderne Trattoria, in der er seine Liebe zu Sizilien auch abgepackt in Gläschen und Tütchen verkauft. „Da muss man seine Kreativität im Kopf einmal etwas einquetschen“, sagt der Meister bei unserem Besuch. Im Verlauf der Jahre sind die ans „Duomo“ angeschlossenen „Cantieri Sultano“ dazu gekommen, eine Art kulinarisches Experimentierlabor. „Ciccio ist alles andere als ein verstecktes Juwel“, gibt Roberta Corradin zu.




Allerdings sei es ihm zu verdanken, dass der Südosten Siziliens auf der kulinarischen Landkarte kein weißer Fleck mehr ist. Ciccio Sultano sei eine Art Maestro der regionalen und kunterbunten sizilianischen Gastro- und Produzentenfamilie. Und die Familie hält auf Sizilien seit eh und je zusammen.






Back to top button