Wolfratshausen: Wenn Melancholie und Leidenschaft verschmelzen – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z
¡El Tango te espera! – Der Tango erwartet dich. So beginnt der Text eines Liedes, das einst der berühmte argentinische Sänger und Bandoneon-Spieler Aníbal Troilo gesungen hat. Am Samstag erwartete in der Loisachhalle Wolfratshausen gleich ein ganzer Tango-Abend sein Publikum, das, um es vorwegzunehmen, nicht enttäuscht wurde. Es war der Auftritt des Cuarteto Rotterdam, vier hochtalentierte Musiker, die sich ganz dem Tango verschrieben haben: Susanne Cordula Welsch, Violine, die Tango-Pianistin Judy Ruks, Facundo Leónidas Di Pietro am Kontrabass und Michael Dolak am Bandoneon. Und dann gab es auch noch etwas für die Augen: eine Showtanzeinlage von Gustavo Gomez und Daniela Molina von der Tangoschule Vivetango in Wolfratshausen. Veranstaltet wurde das Konzert vom Konzertverein Isartal.
Gleich das erste Stück „Quinquela“, ein Werk des zeitgenössischen Komponisten Ramiro Boero, dürfte bei nicht wenigen Konzertgästen zu der Frage geführt haben: Ist das Tango? Der Applaus war dementsprechend verhalten. Mit dieser Verwirrung schienen die Musiker gerechnet zu haben, denn Susanne Cordula Welsch, die gelegentlich zum Mikrofon griff und durchs Programm führte, erklärte nach dem Stück: „Wenn Sie jetzt denken, ’das habe ich mir anders vorgestellt‘, dann haben Sie recht. Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt mit einem Stück, das sehr modern und trotzdem erkennbar Tango ist.“ Eventuell bestehende Restzweifel bei manchen Zuhörern verflogen aber bereits beim nächsten Tango. Jetzt war man in der richtigen Ton-Spur.
Mit der Auswahl der Werke wollten die Musiker des Cuarteto Rotterdam die große Bandbreite aufzeigen zwischen traditionellem Tango und dem Tango Nuevo bis zu dessen modernsten Variationen. Der argentinische Altmeister des Tango Nuevo Astor Piazzolla war im Programm mit zwei Werken vertreten: „Biyuya“ und „Verano Porteño“. Mit dem Adjektiv porteño werden die in Buenos Aires Geborenen bezeichnet. Piazzolla vermittelt in dem Stück einen Eindruck vom Sommer in Buenos Aires, von der schwülen, sengenden Hitze, die in den Straßen steht. Die hitzebedingte Langsamkeit der Stadt vermochte das Quartett überzeugend zu vermitteln, vornehmlich in den Soli der Geige und des Bandoneons.
Das Bandoneon ist ein wechseltöniges Musikinstrument, welches in Deutschland entwickelt und gebaut wurde. Sein Klang wird erzeugt durch frei schwingende Metallzungen. Es ist das Hauptinstrument einer klassischen Tango-Besetzung. Es ermöglicht dem Tango seinen typischen Wechsel zwischen melodisch gezogenen und rhythmisch hämmernden Passagen. Das Bandoneon ist so etwas wie die Seele des Tangos. Sei es mit Coolness oder Emotionalität, was immer gerade gefragt war, das Spiel des Leipzigers Michael Dolak hatte stets etwas Magisches.
Ein anderer Tango-Klassiker im Programm des Cuarteto Rotterdam sei noch erwähnt. „Por una cabeza“ des 1890 geborenen Carlos Gardel, dem großen Heiligen des Tangos. Der Titel stellt das Bild eines Rennpferdes dar, das knapp verliert (por una cabeza bedeutet „um einen Kopf“). Das mag autobiografisch sein, den Gardel hatte bei Pferdewetten einen großen Teil seines Geldes verspielt. Die poetische Stimmung dieses Tangos wurde von den vier Musikern wunderbar eingefangen und es war ein gelungenes Beispiel, wie tief verwurzelt Sehnsucht und Melancholie in dieser Musik sind.
Tango ist Rhythmus. Tango ist Schwermut. Tango sei ein „trauriger Gedanke, den man tanzen kann“, soll der Tango-Poet Enrique Santos Discépolo einmal gesagt haben. Aber da gibt es noch die Milonga, die fröhlichere Schwester des Tangos. Natürlich war auch sie vertreten in dem breit gefächerten Programm des Cuarteto Rotterdam. Mit dem Werk „Milonga Del Serafin“ von Coco Nelegatti. Da wird ein schlichtes, aber eingängiges Thema vom Piano vorgegeben, dann wechselhaft übernommen und variiert vom Kontrabass, vom Bandoneon und schließlich von der Violine. Die gefühlsbetonte Spielweise des Cuarteto Rotterdam war ein bereichernder Kontrast zu den strengen Tango-Rhythmen.
Mit jedem Musikstück steigerte sich die Begeisterung des Publikums. Schließlich kam ein weiterer Programmpunkt hinzu, eine Showtanzeinlage auf der Bühne. Zu dem Tango „El Puntazo“ des Argentiniers Alejandro Junnissi tanzte das Profi-Paar Gustavo Gomez und Daniela Molina auf der Bühne. Das ging natürlich weit über die Grundschritte „caminar“ (Tangoschritt), „ocho“ (Achterbewegung) und „cruce“ (Überkreuzung) hinaus in alle erdenklich kunstvollen Schrittvariationen. Das dürfte selbst Tanzmuffel beeindruckt haben. Das Programm endete mit lang anhaltendem, stürmischem Applaus, es gab Blumen und eine Zugabe und danach durften Tango-affine Konzertgäste selbst aufs Parkett. Alle anderen begaben sich auf den Heimweg mit der Gewissheit: ¡El Tango te espera! Also, bis zum nächsten Mal.