Wolfram Weimer: Der Porträtist der Macht wird kulturpolitischer Hoffnungsträger | ABC-Z

Es gibt Wochen, in denen sich das politische Berlin die Augen reibt – und diese ist eine davon. Denn Wolfram Weimer wird als Seiteneinsteiger Mitglied im Kabinett. Ein kühnes Signal des künftigen Kanzlers.
Mehr als ein Jahrzehnt lang hat Wolfram Weimer an dieser Stelle jene Persönlichkeiten ins Rampenlicht gestellt, die Deutschlands politische und gesellschaftliche Debatten bestimmen – Politiker, Unternehmer, Denker. Heute erlebt diese Kolumne eine verblüffende Wendung, denn plötzlich steht der Kolumnist selbst im Fokus: Wolfram Weimer wird neuer Kulturstaatsminister im Kabinett Friedrich Merz.
Der Verleger Weimer, parteilos und liberal-konservativer Gesinnung, zählt zu den profiliertesten Publizisten Deutschlands. Er war Chefredakteur der “Welt” und des “Focus”, Gründer des Debattenmagazins “Cicero”, Gründer und Verleger der Weimer Media Group mit Titeln wie “Business Punk” und “The European”, einem Hort des liberalen Meinungsaustauschs. Seine Präsenz in Talkshows von Lanz bis Maischberger machte ihn in den vergangenen Jahren zum Gesicht des bürgerlichen Diskurses – ein “public intellectual” der breiten Mitte, der, ja, stets die scharfe These sucht, dies aber immer mit der zugewandten Geste verbindet.

Wolfram Weimer steht für eine konservative Wende, die dem Kulturbetrieb neue Impulse geben soll. Andererseits ist seine Berufung auch ein geschickter Brückenschlag: Ein Mann von außen, der nicht aus dem Kulturbetrieb stammt, soll frischen Wind bringen.
(Foto: IMAGO/)
Mit seiner Verlagsgruppe, die seine Frau Christiane Goetz-Weimer, ebenfalls Journalistin, nun allein weiterführt, etablierte er zudem die wohl wichtigste politische Großveranstaltung des Landes, den Ludwig-Erhard-Gipfel. Beim Stelldichein am Tegernsee, bei dem auch der “Freiheitspreis der Medien” verliehen wird – vergangenes Jahr im Rahmen einer bewegenden Würdigung an das Ehepaar Nawalny – kommen jedes Jahr Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft und Medien zusammen. Der Gipfel, das “deutsche Davos”, ist zu einem zentralen Forum für wirtschaftliche und politische Debatten geworden.
Kühne und kluge Wahl
Dass Merz Weimer nun zum Kulturstaatsminister macht, ist eine ebenso kühne wie kluge Wahl – und zugleich ein bemerkenswertes Novum, denn erstmals seit 23 Jahren übernimmt kein Berufspolitiker, sondern ein prominenter Praktiker aus dem Kultur- und Medienbetrieb dieses Amt. Wolfram Weimer ist aus drei Gründen genau der richtige Kulturstaatsminister:
1. Expertise und Erfahrung: Weimer bringt jahrzehntelange Erfahrung aus der Medienbranche mit. Ja, er ist nicht seit Jahrzehnten im Kulturbetrieb unterwegs. Als erfolgreicher Journalist und Verleger versteht er allerdings nicht nur die kulturellen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, sondern auch die organisatorischen und wirtschaftlichen Herausforderungen einer modernen Kulturpolitik. Dieses Wissen wird entscheidend sein, um Deutschlands Kulturlandschaft nachhaltig zu fördern und zu stärken.
2. Klarheit und Haltung: Weimers journalistisches Markenzeichen ist seine Fähigkeit, komplexe Themen pointiert zu analysieren. In einer Zeit kultureller Orientierungslosigkeit und polarisierter Diskussionen braucht es diese analytische Schärfe und zugleich die offene Gesprächsbereitschaft, die Weimer auszeichnen. Er wird für mehr Mut zur kulturellen Identität und zum integrierenden Miteinander sorgen.
3. Unabhängigkeit und Liberalität: Als parteiloser Denker und Publizist vertritt Weimer eine liberale und zugleich wertebewusste Position, die ihn befähigt, Brücken zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu schlagen. Seine Unabhängigkeit garantiert, dass Kulturpolitik nicht von kurzfristigen parteipolitischen Erwägungen, sondern von langfristigen kulturellen Interessen geleitet wird.
Damit wird es Weimer gelingen, der Kultur wieder zum notwendigen Stellenwert in der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung und Selbstverortung zu verhelfen. Denn beim Kulturstaatsminister geht es doch eher weniger um Bayreuth, Filmförderungsstrukturen und Preisverleihungen. Es geht um die Frage, wie sich dieses Land austauscht über seine Geschichte, über Antisemitismus und Intoleranz jedweder Art, über den Umgang mit Kriegen und Krisen, wie es auf die Modernisierungsversprechen und Modernisierungszumutungen blickt, wie es das Glück des Einzelnen mit dem Gelingen der Gemeinschaft verbindet, welche Visionen und welche Ängste es teilt, wie es größtmögliche Aufgeschlossenheit gegen einengende Strukturen verteidigt und der ausufernden Beliebigkeit eine neue Verbindlichkeit entgegenstellt. Kurz, die Art und Weise unserer Debatte selbst wird sich mit dem neuen Kulturstaatsminister ändern: Der kulturelle Diskurs jenseits des Politischen wird wieder zum Resonanzraum der Gesellschaft. Wolfram Weimer wird hoffentlich dafür sorgen, dass Kulturpolitik nicht länger als Randthema, sondern als essenzieller Bestandteil einer lebendigen Demokratie wahrgenommen wird.
Denn Weimers Gestus ist der des Einmischers. Und seine politischen Standpunkte sind geprägt von einer Haltung, die individuelle Freiheit, wirtschaftliche Eigenverantwortung und einen wertebewussten Patriotismus verbindet. Man kennt ihn als einen Liberalen, manchmal als einen Konservativen. Im klassischen Sinne: Seine Mission ist nicht, die Asche zu behüten, sondern die Flamme zu bewahren. Weit weg ist er von jedem Anflug des Rechten oder gar Rechtsextremen. Gegen die “AfD und die Umtriebe des Rechtspopulismus” schreibt er seit Jahren tapfer an. Was Weimer ist: ein “leidenschaftlicher Europäer” und Freund des kultivierten Wettstreits der Ideen.
Sein Denken wurzelt dabei in der Überzeugung, dass eine offene Gesellschaft nicht nur ökonomisch erfolgreich, sondern auch kulturell selbstbewusst sein muss. Dies zeigt sich auch in seinen zahlreichen Publikationen, in denen er vehement für eine Kultur des freien Diskurses und gegen ideologische Verengungen argumentiert.
Klarheit, Verbindlichkeit und Empathie
Dabei scheut Weimer nie die Kontroverse, bleibt jedoch stets konziliant im Ton. Kulturkampf ist seine Sache nicht, auch wenn ihm dies gelegentlich vorgeworfen wurde. “Ich bin kein Kulturkämpfer, aber ein Kulturverfechter”, sagte er einmal über sich selbst. Weimer vertritt dezidiert bürgerliche Positionen, kritisiert jedoch auch die Mitte, wenn sie sich im Diffusen oder im Opportunismus verliert. Seine politische Haltung ist nie dogmatisch, sondern stets pragmatisch. Er ist Provokateur, natürlich. Aber ohne auszugrenzen. Er ist mehr “verliebt ins Gelingen als ins Besserwissen”. Klar, vermutlich ist er näher an Thomas Mann als an Bertolt Brecht, näher an Goethe als an Schiller. Aber vor allem ist er als Germanist nahe an der Literatur.
Mit der Berufung Weimers erinnert Friedrich Merz übrigens an die Wahl Gerhard Schröders, der seinerzeit mit Michael Naumann ebenfalls einen namhaften Verleger zum Kulturstaatsminister ernannte – ein historischer Zufall mit ironischer Note, denn Naumann wurde nach seiner politischen Karriere Chefredakteur von Weimers “Cicero”.
Privat bietet Weimers Vita nur kleine Überraschungen. Eher bodenständig und eskapadenfrei sein Leben, aber nicht langweilig: Als Friedrich Merz – nach eigener Darstellung – mit dem Moped um den Dorfplatz kreiste, wuchs Weimer in Portugal auf. Später machte er in Gelnhausen als bester Schüler Hessens Abitur. Er war bei der Bundeswehr und Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Anschließend wirkte er als Korrespondent der FAZ in Madrid, so spricht er mehrere Sprachen fließend. Er spielt leidenschaftlich Klavier und jubelt als Vater dreier Söhne gelegentlich mit Eintracht Frankfurts Ultras in der Fankurve. Merz und Weimer begegnen einander auf Augenhöhe: Beide messen exakt 1,98 Meter. Beide sind am 11. November geboren. Den künftigen Kanzler und den künftigen Kulturstaatsminister verbindet aber vor allem ein freundschaftliches Verhältnis – gelegentlich bricht man zu gemeinsamen Mountainbike-Touren am Tegernsee auf.
Nun tritt also der stets kluge Beobachter, der wortgewaltige Kritiker, auf die Bühne der aktiven Politik. Weimer wird sein Talent als brillanter Kommentator gegen die Rolle des entschlossenen Gestalters eintauschen müssen. “Ein Schritt mit Risiken, aber auch mit enormem Potenzial”, raunt es im politischen Berlin. Gerade in Zeiten intensiver kultureller Debatten braucht die Bundesrepublik genau solche Stimmen: klar, mutig und stilvoll.
“Menschen machen Geschichte. Also schauen wir uns sie einmal genauer an”, kommentierte Weimer den Beginn seiner Kolumne bei ntv 2014. Wir bedanken uns für über 500 kluge und inspirierende “Personen der Woche”.
Und so beschließen wir die Reihe mit Wolfram Weimer, der “Person der Woche”.