Wolfgang Grupp, Beziehungskiller Kind und ein intimer Blick auf die Geburtenrate | ABC-Z

Berlin. Wolfgang Grupp schafft es nicht, loszulassen. Und viele junge Leute lehnen Verantwortung ab. Newsletter-Rückblick auf eine gesellschaftlich relevante Woche.
einem Kollegen habe ich mal erzählt, dass ich meine Pflanzen im Garten nicht so oft gieße, dafür aber länger. Damit die Wurzeln nach unten wachsen, dort, wo es feucht bleibt. „Wow“, sagte er zu mir. „Du erziehst sogar deine Pflanzen“. Der Dialog ist schon eine Weile her, damals lebte ich noch mit meiner fünfköpfigen Familie im Ruhrgebiet mit Garten. Inzwischen sind wir zu zweit in Berlin, wo meine Pflanzen in Terrakottatöpfen auf dem Balkon stehen und nicht nur täglich Wasser brauchen, sondern auch ziemlich viel Dünger.
Wenn die Gen-Z-Kinder kommen, herrscht Chaos
Wenn die Gen-Z-Kinder zu Besuch kommen, sich mit ihren Taschen, Schuhen, ihrer Kosmetik ausbreiten, den Kühlschrank plündern, wenn sie essen, trinken, reden und dann noch eine Flasche Wein für die nächste Party verschwindet, dann genießen wir Eltern das Chaos und sind doch froh, dass es wieder vorbei geht. Dass wir unseren Alltag zurück haben und Netflix schauen können, wenn uns danach ist. Oder eine Laufrunde drehen. Ins Theater gehen. Mit Freunden feiern. Vor allem: Endlich Vollzeit arbeiten, ohne über Kita-Öffnungszeiten nachzudenken, Au-pairs anzuheuern, Hausaufgaben-Betreuung zu organisieren – und in überfüllten Wartezimmern der wenigen Kinderärzte auszuharren.
In vielen Städten gibt es zu wenig Ärztinnen und Ärzte für Kinder.
© Getty Images | miniseries
Apropos Kinderärzte: In vielen Städten ist der Mangel schlimmer denn je, so eine exklusive Auswertung des Vergleichsportals Verivox, die meine Kollegin Katharina Engeln analysiert hat. Hier lesen Sie, wie dramatisch die Lage in Ihrer Stadt ist. Sollten Sie im Mangelgebiet leben und kleinere Kinder haben, fühle ich mit Ihnen mit. Ich weiß, was Eltern deswegen durchmachen.
Doch zurück zu meiner Familie: Wir haben unsere Kinder lange genug gegossen, jetzt sind sie alt genug, um ihr Wasser selbst zu finden. Ich gieße sie nicht mehr, vielleicht empfehle ich höchstens noch ein wenig Dünger. Der Erziehungsauftrag ist jedenfalls erfüllt.
Immer weniger Geburten – daran ändern auch die Vätermonate nichts
Ob wir es wieder so machen würden? Gleich drei Kinder und Job? Mit Teilzeitfalle und hohen Investitionen in die Betreuung? Und allen Nachteilen bei der Rente? Mit dem Wissen von heute würde ich wohl nicht mehr so unbefangen da rein schlittern. Also einfach mal schwanger werden und dann schauen, wie es weiter geht. Das ist offenbar auch der Trend, der dazu führt, dass die Geburtenrate wieder seit Jahren sinkt – trotz Elterngeld, das es damals nicht gab. Trotz der vielen Kitaplätze auch für Kleinkinder, und zwar bis 18 Uhr. Trotz der Bereitschaft vieler Väter, selbst in Elternzeit zu gehen und danach die Arbeitszeit zu reduzieren.

Die Geburtenrate ist in Deutschland wieder gesunken.
© dpa-Zentralbild/dpa | Patrick Pleul
Familien brauchen mehr: Diese Auffassung vertritt meine Kollegin Alina Juravel, selbst junge Mutter, in ihrem Kommentar. „Kinderkriegen bleibt Luxus“, schreibt sie darin. Zudem gebe es viel zu wenig Anreize, die Last – ob finanziell oder mental – auf die Schultern beider Elternteile zu verteilen. Es bleibe eben immer noch viel zu viel an den Frauen hängen.
Das ersehnte Kind ist da. Doch plötzlich klappt es mit dem Partner nicht mehr
Also vor allem der sogenannte Mental Load, also die Frage: Wer backt den Kuchen für das Buffet beim Fußballturnier? Wer kontrolliert Hausaufgaben? Wer organisiert den Kindergeburtstag? Dass es immer noch die gleichen Fragen sind wie vor 20 Jahren, das finde ich in der Tat ermüdend. Offenbar haben die üblichen paar Vätermonate wenig daran geändert, dass sich Männer raushalten. Vielleicht auch rausgehalten werden, weil die Mütter sich das nicht nehmen lassen? Tatsächlich birgt so eine Familiengründung Sprengstoff, auch darüber hat Alina Juravel geschrieben. Ihre eigene Beziehung hat jedenfalls nach der Geburt ihrer Tochter ganz schön gelitten.
Vater, Mutter, Kinder: Bei mir löst der Dreiklang positive Gefühle aus. Negativ gelesen klingt er nach Abwärtsspirale. Nach Freizeit, die sich auf das gemeinsame Essen am Familientisch beschränkt. Nach Hierarchie und Hausfrau. Nach Verlust: von Freiheit, Geld und Unabhängigkeit. „Ein Kind? Niemals! Das würde ja mein ganzes Leben auf den Kopf stellen“: Diese Haltung höre ich oft. Dahinter steckt die Angst, nicht mehr die eigenen Bedürfnisse ins Zentrum der Lebensplanung stellen zu können. Und die Bedürfnisse der Beziehung. Es geht, zumindest in den ersten Jahren, vor allem um die Bedürfnisse des Kindes.
Kinder? Familie? Das bleibt ein einziges Abenteuer
Damit umgehen zu können, ist wohl die größte Herausforderung der Elternschaft. Zudem ist das Ergebnis völlig offen: Wie entwickelt sich das Kind? Was passiert ihm, was passiert uns als Familie? Ich kenne keine Familie mit einem oder mehreren Kindern, die nicht schwere Zeiten durchgestanden haben. Meine ist da auch keine Ausnahme. Sich auf eine Familie einzulassen, bleibt eben ein großes Abenteuer.
Wolfgang Grupp, der Trigema-Unternehmer, hat stets keinen Hehl aus seinen traditionellen Familienwerten gemacht. Die Kinder gehören zur Mutter, der Vater kümmert sich ums Geld. „Wenn heute die Frauen die Jobs wollen und die Männer sollen den Haushalt machen, dann ist die Welt verkehrt geworden“, sagte er in einem Podcast. Und weiter: „Ich habe noch nie einen Hirsch mit einem Kalb rumlaufen sehen – immer nur die Hirschkuh“.
Wolfgang Grupp gesteht Suizidversuch: Dafür verdient er Anerkennung
Nun ist es so, dass der Hirsch Grupp mittlerweile 84 Jahre alt ist und sein Unternehmen in die Hände seines Sohnes und seiner Tochter gelegt hat. Damit hat er den entscheidenden Teil seiner Aufgabe abgegeben, was in ihm eine schwere Depression auslöste, die in einem Suizidversuch gipfelte. Tagelang hatte die Öffentlichkeit gerätselt, was bei den Grupps los war, schließlich gab es einen Schuss, eine verletzte Person, einen Rettungsflug per Hubschrauber. Und der Senior lag im Krankenhaus.

Umringt von seiner Familie: Wolfgang Grupp sind traditionelle Werte wichtig.
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Altersdepressionen bleiben oft unerkannt, weil körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen. „Man denkt, Tinnitus oder Rückenschmerzen seien der Grund, warum es einem so schlecht geht“, sagt Diplompsychologin Dr. Ines Keita. Sie ist Vize-Geschäftsführerin der Deutschen Depressionshilfe und Suizidprävention. Meine Kollegen Natalja Fischer hat mit ihr gesprochen, nachdem der Brief von Wolfgang Grupp an die Öffentlichkeit kam.
Man mag Grupp für sein konservatives Weltbild kritisieren. Aber dass er so aufrichtig seine früheren Mitarbeiter mit einem Brief über seinen Suizidversuch aufklärte – auch das passt zu seinen klaren Werten, seiner Struktur und Haltung. Der Brief findet bei mir große Anerkennung. Insofern wünsche ich ihm schnelle Genesung und neuen Lebensmut.
Letzte Empfehlung: der neue Newsletter „Ein FUNKE Liebe“
Und hier noch eine Empfehlung: Es gibt einen neuen Newsletter aus der Zentralredaktion ihrer Tageszeitung: Alle zwei Wochen, immer sonntags, lesen Sie bei „Ein FUNKE Liebe“ spannende Geschichten zum Thema Beziehung, Sexualität und Kinderwunsch. Wie verändert ein Kind die Partnerschaft? Wie schlimm ist Fremdgehen wirklich? Und was sollte man tun, wenn man an einen Narzissten gerät? Hier treffen persönliche Erzählungen auf Expertenwissen – mal unterhaltsam, mal tiefgründig, immer ehrlich. Abonnieren können Sie den Newsletter hier. Viel Spaß bei der Lektüre!
Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Sonntag.
Ihre Birgitta Stauber
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