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Wölfe in Deutschland: Klappt das Zusammenleben? | ABC-Z

Ein Hotelier bietet Wanderungen auf den Spuren des örtlichen Wolfsrudels an. Er beobachtet die Tiere – und vermittelt zwischen Mensch und Wolf.

Insgesamt sind in dem dünn besiedelten, waldreichen Landkreis Lüchow-Dannenberg vier Rudel ansässig Foto: Willi Rolfes/imago

GÖHRDE taz | Eines hat Kenny Kenner schon mal klargestellt, bevor die Wolfswanderung losgeht. Wölfe, hat er gesagt, werden wir auf unserer Tour wohl nicht zu Gesicht bekommen. Mit Rucksäcken und teils mit Ferngläsern ausgerüstet haben sich 15 Leute im Weiler Dübbekold versammelt – Gäste des Bio-Hotels „Kenners Landlust“ im niedersächsischen Göhrde und Interessierte aus der Gegend.

Kenner, der nicht nur Hotelier, sondern auch ehrenamtlicher Wolfsberater im Landkreis Lüchow-Dannenberg ist, führt die Gruppe an diesem Samstag durch die Göhrde. So heißt nicht nur der Ort, sondern vor allem der angrenzende Staatsforst. Es ist das größte zusammenhängende Mischwaldgebiet Norddeutschlands mit alten Bäumen, Naturdenkmälern und seltenen Tierarten.

Seit zehn Jahren leben in dem Gebiet auch wieder Wölfe in freier Wildbahn. Damals siedelte sich zunächst ein Paar an, im Sommer 2016 wurden erstmals Welpen nachgewiesen und so ein Rudel bestätigt. Insgesamt sind in dem dünn besiedelten, waldreichen Landkreis vier Rudel ansässig. Bundesweit gibt es etwa 180 Wolfsrudel mit geschätzt 1.300 bis 1.500 Tieren.

Noch beim Warten auf die Nachzügler vor dem „Wolfsbau“ genannten Wolf-Infozentrum des Hotels entspinnt sich die erwartbar kontroverse Diskussion über den Umgang mit Wölfen. „Warum darf man Wölfe nicht einfach abschießen wie anderes Wild auch?“, will eine Frau wissen. „Muss es da nicht wenigstens eine Obergrenze geben?“

Maximal 3.000 bis 4.000 Wölfe

„Das regelt sich von ganz alleine“, hält Kenner dagegen. „Wo ein Rudel ist, da kommt kein anderes hin.“ In Deutschland werde sich die Zahl bei maximal 3.000 bis 4.000 Tieren einpendeln, „für mehr gibt es keinen Platz und keine Nahrung“. Es werde ökologisch also nie zu viele Wölfe geben, fügt Kenner an, „aber für manche gibt es vom Gefühl her zu viele“.

Dass sich Jäger für die Jagd auf Wölfe starkmachen, hat aus Kenners Sicht nichts mit vorgeblicher Hege zu tun. Vielen gehe es einfach um die Trophäe.

Reguliert wird der Wolfsbestand auch durch Unfälle, zum kleineren Teil auch durch illegale Abschüsse, durch Krankheiten oder Verletzungen nach Kämpfen mit Beutetieren wie Wildschweinen. Mehr als 1.100 tote Wölfe wurden in Deutschland seit dem Jahr 2005 aufgefunden, 1.000 davon landeten auf den Seziertischen des Leibniz Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin.

Kenner meint, dass die Auseinandersetzung in der Wolfspolitik längst zu einem Kulturkampf mutiert ist: „Der Wolf steht so im Mittelpunkt, weil er die Menschen bewegt.“ Schon in Märchen und Mythen gerade im deutschsprachigen Raum wurden Wölfe von jeher verteufelt und später ausgerottet. In anderen Ländern, Kenner nennt Italien und Spanien, seien die Menschen an Wölfe gewöhnt und das Zusammenleben funktioniere viel entspannter: „Mein Interesse ist, dass das Zusammenleben auch hier klappt.“

Kurz nach dem Abmarsch die nächste Frage: „Was ist mit den Wölfen, die Schafe reißen? Muss man die nicht abschießen?“ Wenn es mehrere Übergriffe gibt, die einem bestimmten Wolf zugeschrieben werden können, und kein anderes Mittel hilft, dann schon, sagt Kenner. „Populistische Maßnahmen“, wie das von der Umweltministerkonferenz kürzlich vereinbarte „Schnellabschussverfahren“ seien aber nicht hilfreich.

Das Verfahren erlaubt in Regionen mit erhöhtem Rissaufkommen den Abschuss eines beliebigen Wolfes in einem Umkreis von 1.000 Metern und bis zu 21 Tage nach dem letzten Riss. Für Kenner ist das Sippenhaft, das Verfahren sei auch nicht rechtssicher. Was stimmt: Alleine in Niedersachsen kippten Gerichte in den vergangenen Tagen mehrere von Behörden erteilte Abschussgenehmigungen.

Wölfe töten mehr als sie fressen können

Dass Wölfe, wenn sie eine Schafherde überfallen, meist mehr Tiere tot beißen als zum Hungerstillen nötig ist, leugnet Kenner nicht. „Das ist, wie wenn sich die Menschen im Supermarkt die Wagen voll laden, also Vorratshaltung“. Das einzig wirksame Gegenmittel sei Herdenschutz, die allermeisten der in Niedersachsen von Wölfen gerissenen Weidetiere seien nicht oder nicht ausreichend geschützt gewesen.

Wenn alle Halter zumindest den Grundschutz – einen 90 Zentimeter hohen Elektrozaun mit 4.000 Volt Spannung – installierten, „hätten wir nur 20 bis 30 Prozent der Risse“. Kenner hat auch eine Vermutung, warum so viele Halter Herdenschutz ablehnen: „Da haben viele das Gefühl, ihnen wird was aufoktroyiert, dass das von oben kommt.“

Auch sogenannte Problemwölfe, weiß Kenner, ernährten sich zu rund 95 Prozent von pflanzenfressenden Wildtieren – von Hasen, Rehen, Hirschen, Wildschweinen. Sie bevorzugen dabei leichte Beute, jagen alte und kranke Tiere und erledigen auf natürliche Weise das Geschäft der Jäger, sind für diese also eher Kumpel als Konkurrent. Dass sich Jäger dennoch für die Jagd auf Wölfe starkmachen, hat aus Kenners Sicht nichts mit vorgeblicher Hege zu tun. Vielen gehe es einfach um die Trophäe.

Unvermittelt stoppt Kenner. Er hebt die Hand, beugt sich zum Boden. „Hier haben wir eine Wolfsspur“, sagt er. Der Abdruck im Sand sieht aus wie der eines größeren Hundes, doch Kenner ist sich zu 100 Prozent sicher. Das Trittsiegel eines Wolfes ist länglich-oval, länger als breit, die kräftigen Krallenabdrücke sind geradeausgerichtet. Im Vergleich dazu ist der Abdruck eines Hundes rundlich, und die Krallen weisen in verschiedene Richtungen.

Ein seltenes Mehr-Generationen-Rudel

Das Göhrde-Rudel ist innerhalb von Deutschland besonders gut dokumentiert. Kenner selbst hat dazu viel beigetragen: An rund 40 Stellen im Wald hängen seine Wildtierkameras, etliche Nächte hat er sich auf Hochsitzen um die Ohren geschlagen, um in der Morgendämmerung einen oder mehrere Wölfe vor die Kamera zu bekommen. Neben Totfunden und genetischen Nachweisen wie Blut oder Losung zählen Fotos und Filmaufnahmen zu den sogenannten C1-Nachweisen, den sicheren Beweisen für Wolfsvorkommen.

Vier Generationen umfasst das Göhrde-Rudel, es ist sozusagen eine Großfamilie, eine absolute Seltenheit: das Elternpaar, ein jüngeres Paar – die Fähe ist eine Tochter der alten Wölfin – zwei Jährlinge, also im vergangenen Jahr geborene Tiere, sowie eine nicht ganz genau bekannte Zahl von Welpen. Viele Wölfe würden mit anderthalb Jahren von den Eltern verstoßen, sie gingen auf Wanderschaft und versuchten, eigene Rudel zu gründen, erläutert Kenner. „Hier hat die alte Fähe erlaubt, dass eine Tochter bleibt und selber Kinder bekommt.“

Klappt die Partnersuche, schaut die Wölfin – oft schon vor der Paarung – nach geeigneten Höhlen als Geburtsort und Schutzraum für die Welpen. Oder gräbt selbst eine Wurfhöhle, in die sie sich kurz vor der Geburt zurückzieht. Hier bringt sie Anfang Mai ihre Welpen zur Welt. In den ersten zwei Wochen sind die Kleinen mit Trinken und Schlafen beschäftigt, dann wagen sie sich zum ersten Mal aus der Höhle und lernen das Rudel kennen.

Knapp zehn Wochen nach der Geburt, erzählt Kenner, ziehen die Welpen auf einen „Rendezvous-Platz“ um, der neben Rückzugsmöglichkeiten auch Freiraum für die ersten Jagdversuche bietet. Häufig sind es kleine, von Buschwerk umgebene Lichtungen, abseits der Pfade und Wege. Mehrere solche Rendezvouz-Plätze, auf denen die Eltern ihre Kinder auf das Leben und Überleben vorbereiten, hat Kenner auf seinen Göhrde-Wanderungen schon entdeckt.

„Das Göhrde-Rudel ist ein besonderes Rudel“, sagt Kenner beim nächsten Halt nach anderthalb Stunden auf einer Wegkreuzung. „Ein besonders verrücktes Rudel.“

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