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Auf griechischen Inseln kommen immer mehr Migranten an | ABC-Z

Wer Kap Trypiti erreicht hat, ist am Ende. Die Landspitze am südlichsten Zipfel von Gavdos, der südlichsten Insel Griechenlands, ist der südlichste Punkt Europas. Gavdos liegt näher an der libyschen Küste als an Athen. Diese geographische Exzentrik hat Folgen. Immer wieder landen Boote mit Migranten aus Afrika oder Asien auf dem nur von wenigen Dutzend Bewohnern bevölkerten Eiland vor der Südküste Kretas. An Bord sind meist junge Männer aus Ägypten und Sudan, aber auch aus Pakistan, Bangladesch und anderen asiatischen oder afrikanischen Ländern. Für sie ist Gavdos nicht das Ende, sondern der Anfang von Europa.

Dass Migranten auf Gavdos und Kreta landen, kommt schon seit vielen Jahren vor, doch früher waren es nur ein paar Dutzend oder höchstens einige Hundert im Jahr. Auch 2015 und 2016, als mehr als eine Million Menschen, vor allem Syrer, über Griechenlands Ägäische Inseln nach Europa kamen. Vor einem Jahrzehnt wurde viel über Lesbos, Samos oder Chios gesprochen, aber nicht über Gavdos und Kreta. Die beiden Inseln lagen nicht auf der Route, über die sich die damalige Masseneinwanderung nach Europa vollzog.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Seit dem vergangenen Jahr hat sich das geändert. Zwar sind die Dimensionen von 2015 noch längst nicht erreicht, doch die Zahlen steigen. In den ersten Monaten dieses Jahres kamen etwa 8000, nach anderen Angaben um die 10.000 irreguläre oder illegale Migranten auf Gavdos und Kreta an. Manche erreichen die Inseln direkt, viele werden von der griechischen Küstenwache aus Seenot gerettet. Ausgangspunkt der neuen Route ist nicht wie 2015 die türkische, sondern die libysche Küste.

Ein libyscher Warlord verdient gut an den Migranten

Dort hat der im Osten Libyens herrschende Warlord Chalifa Haftar den Menschenschmuggel – oder zumindest dessen Duldung – zu einem Geschäft gemacht. Die Schleuserbanden, die von der Hafenstadt Tobruk aus Menschen in altersschwache Kutter Richtung Europa pferchen, könnten schwerlich ungestört agieren, wenn sie nicht einen Teil ihres Gewinns an den Haftar-Clan abgäben. Der Profit ist groß. Migranten auf Kreta gaben an, zwischen 4000 und 6000 Euro für die Überfahrt gezahlt zu haben.

Migranten haben ihre nass gewordenen Kleidungsstücke am Hafen der Insel Gavdos zum Trocknen aufgehängt.
Migranten haben ihre nass gewordenen Kleidungsstücke am Hafen der Insel Gavdos zum Trocknen aufgehängt.Picture Alliance

Und selbst mit denen, die solche Summen nicht aufbringen können, lässt sich Geld verdienen. In Libyen gibt es Banden, die Migranten entführen und foltern. Videos davon schicken sie an Angehörige der Opfer. Fließt kein Lösegeld, ist das Leben der Geiseln in Gefahr. Im Februar wurden mindestens 28 Leichen aus einem Massengrab in der libyschen Wüste nördlich der Stadt Kufra geborgen. Sie wiesen Spuren von Folter auf. Auch in der Region Jikharra im Südosten Libyens war zuvor ein solches Massengrab gefunden worden.

Das Potential für Geschäfte mit Mi­granten in Libyen ist riesig. Laut Angaben der Vereinten Nationen hielten sich Ende 2024 etwa 825.000 Migranten aus mehreren Dutzend Ländern in Libyen auf. Wer Haftar dazu bringen will, in dem von seinem Clan beherrschten Küstengebiet die Boote am Ablegen zu hindern oder sie in libyschen Gewässern aufzubringen und zur Rückkehr zu zwingen, muss also noch mehr Geld bieten, als sich mit dem Menschenhandel verdienen lässt – und das ist sehr viel.

Am anderen Zwischenstopp der Route Richtung Nordwesteuropa, in Athen, gibt es Politiker wie Griechenlands neuen Migrationsminister Thanos Plevris. Griechenland werde sich nicht zur Geisel eines „fehlgeleiteten Sinns für Humanität“ machen lassen, kündigte Plevris bei seiner Amtsübernahme Ende Juni an. Für abgelehnte Asylbewerber dürfe es künftig nur noch eine simple Wahl geben: Rückkehr in die Heimat oder Gefängnis in Griechenland. Dazu kursiert inzwischen ein Gesetzentwurf, der bald dem Parlament vorgelegt werden soll. Wer sich nach der Ablehnung eines Asylantrags noch in Griechenland aufhält, soll demnach mit drei bis fünf Jahren Haft bestraft werden. Die einzige Möglichkeit, dem Gefängnis zu entgehen oder die Haft abzukürzen, soll in der freiwilligen Heimreise bestehen.

Die Migranten sollen bis zu ihrer Ausweisung in Haft bleiben

Außerdem hat die Regierung des konservativen griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis die Prüfung von Asylanträgen für Antragsteller, die über Nordafrika ins Land kommen, Mitte Juli für drei Monate ausgesetzt. Von den 300 Abgeordneten des griechischen Parlaments stimmten 177 dafür und 74 dagegen. Plevris jubelte danach: „Die illegalen Migranten, die in den vergangenen Stunden aus Libyen ins Land gekommen sind, wurden von der Küstenwache verhaftet. Sie haben kein Recht, Asyl zu beantragen.“ Man werde die Menschen bis zu ihrer Ausweisung in Haft halten. Der Minister kündigte auch den Bau eines Haftzentrums auf Kreta an, musste aber nach lokalen Protesten einlenken. Die Demonstranten forderten, dass Migranten von Kreta aus sofort aufs Festland gebracht werden.

Ein Flüchtlingsboot wird vor der Insel Gavdos abgeschleppt.
Ein Flüchtlingsboot wird vor der Insel Gavdos abgeschleppt.AP

Der Minister hält die staatliche Unterstützung für Asylbewerber – sie bekommen in Griechenland 75 Euro im Monat – außerdem für zu großzügig und hat eine Politik der „negativen Anreize“ angekündigt. Zudem will er Druck auf Libyen ausüben: „Wenn es keine Kooperation von der anderen Seite gibt, werden wir unsere Antwort verschärfen.“ Doch dann musste er lernen, dass es so einfach nicht funktioniert. Plevris war Teil einer europäischen Delegation um den EU-Migrationskommissar Magnus Brunner, der auch die zuständigen Minister Maltas und Italiens angehörten. Sie wollten in Libyen durchsetzen, dass das Land die illegale Migration bekämpft und die Boote am Ablegen hindert oder in libyschen Gewässern aufbringt. Die Reise begann in der Hauptstadt Tripolis. Dort erklärte Plevris: „Wir wollen ein klares Signal senden, dass wir Libyen dabei unterstützen werden, illegale Migranten zurückzuhalten, Abfahrten in Richtung EU zu verhindern und gleichzeitig illegale Mi­granten in ihre Herkunftsländer zurückzubringen. Wir werden in diese Richtung zusammenarbeiten.“ Kreta, so der Minister, stehe „unter enormem Druck“, und das müsse sich ändern.

Die zweite Etappe der Reise sollte nach Benghasi führen, in das andere Machtzentrum des Landes, wo Chalifa Haftar das Sagen und zugleich den international nicht anerkannten Anspruch hat, ganz Libyen zu repräsentieren. Doch die Machthaber in Benghasi, die sich zuletzt der Türkei angenähert haben, waren wütend, dass die europäische Delegation ihre Reise in Tripolis begonnen hatte. Die Europäer wurden kurzerhand zu unerwünschten Personen erklärt. Sie durften nicht einmal das Flugzeug verlassen.

Vielen Griechen fällt auf, dass die markigen Worte nichts nutzen

In Griechenland mehrt sich inzwischen die Kritik an dem vollmundigen Migrationsminister. Vielen fällt auf, dass seine markigen Worte in der Praxis kaum eine Wirkung haben. Ein Kommentator der Athener Tageszeitung „Kathimerini“, die der konservativen Regierung eigentlich gewogen ist, merkte dieser Tage an, Italien sei es gelungen, die Zahl der Ankünfte aus Nordafrika durch ein Abkommen mit Tunesien zu senken – doch einen ähnlichen Deal mit den Machtzentren in Libyen habe Athen nicht zustande gebracht. Stattdessen habe die Regierung ein „politisches Feuerwerk“ gezündet und Fregatten der Marine entsandt. Die aber können Migrantenboote mit europarechtskonformen Mitteln nicht stoppen. Das sei Verschwendung von Steuergeldern.

Von der Küstenwache gerettete Migranten in einem Bus, der sie zu einem Aufnahmelager bringt.
Von der Küstenwache gerettete Migranten in einem Bus, der sie zu einem Aufnahmelager bringt.AFP

Auch die Aussetzung der Asylprüfung wurde als Bühnenzauber kritisiert. Denn die meisten Männer auf den Booten wüssten ohnehin, dass sie nicht asylberechtigt seien. Sie kalkulieren die Ablehnung ihrer Asylanträge von vornherein in ihre Pläne ein – aber eben auch die Unfähigkeit der EU-Staaten, abgelehnte Asylbewerber wieder in deren Heimatstaaten zurückzuschicken. Die Aussetzung der Asylprüfung werde also niemanden mit einem solchen Kalkül von einer Überfahrt abschrecken. Plevris selbst hat unfreiwillig zugegeben, dass diese Kritik zutrifft, als er unlängst sagte, die meisten der auf Kreta ankommenden Männer seien keine politischen Flüchtlinge, sondern Wirtschaftsmigranten aus Ägypten.

Letztlich sei die Effekthascherei der Regierung kontraproduktiv, warnte „Kathimerini“. Sie wecke Erwartungen, deren Enttäuschung sicher sei. Und enttäuschte Wähler sind gefährlich.

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