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Wo ein Plagiat beginnt: Darf man Faktendarstellungen kopieren? | ABC-Z

Trotz einer jahrelangen Debatte über Wissenschaftsplagiate, an der Universitätskommissionen, Ombudsstellen, Verwaltungsgerichte und Öffentlichkeit beteiligt waren, scheint das Feld noch nicht komplett vermessen. Zwar erklärte das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2017, Plagiatsstellen müssten eine „Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen“, und setzte damit den Prüfungsmaßstab für den Entzug eines Doktorgrades fest. Als Plagiat definierte das Gericht allerdings lediglich die „Übernahme aus fremden Texten“. Es verlor kein Wort dazu, ob Übernahmen zulässig sind, wenn Fakten referiert werden.

Tatsachen, wie die Hauptstadteigenschaft von Paris oder das Datum eines Kriegsbeginns, sind Allgemeingut und daher nicht plagiatsfähig. Wie weit sich dieses Allgemeingut erstreckt, ob es auch Bewertungen umfasst (beginnend bei der Frage, ob ein Krieg ein Angriffskrieg ist), bleibt fluide. Unbestritten ist, dass, wer sich an der Schöpfungshöhe anderer bedient, das Feld reiner Faktenübernahmen verlässt. Was aber gilt, wenn ein urheberrechtlicher Verstoß nicht vorliegt, evidente Textübernahmen jedoch großflächig erscheinen, ja, ganze Faktenstränge und Gliederungsebenen übernommen werden? Unter zwei Rechtshistorikern gibt es darüber einen Streit, und das Landgericht Berlin hat, noch nicht rechtskräftig, entschieden: Auch übernommene Faktendarstellungen können von einem Rezensenten als Plagiat bezeichnet werden.

Rechtsmaschinen und Textmaschinen

Peter Oestmann, Rechtshistoriker an der Universität Münster, befasste sich in zwei Aufsätzen in der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“ mit drei Büchern seines Fachkollegen Stephan Meder aus Hannover: „Rechtsmaschinen“, „Ius non scriptum“ und „Rechts­geschichte“. Oestmann wirft Meder vor, Textpassagen aus anderen Büchern und Fachaufsätzen übernommen zu haben, ohne sie zu kennzeichnen, auch aus der Wikipedia und von einer Spickseite für Schüler habe er sich beleglos bedient. „Eines der erfolgreichsten Lehrbücher zur Rechtsgeschichte ist ein Plagiat“, behauptet Oestmann: „Zu ganz erheblichen Teilen ist der Text dieses Lehrbuchs aus anderen Studienbüchern abgeschrieben.“ Tausende von Studierenden haben sich in den vergangenen Jahrzehnten dieses Buch gekauft. „Die Plagiate hätten sich leicht aufdecken lassen, wenn etwa Seminarteilnehmer für die Vertiefung einer Spezialfrage mehrere Lehrbücher parallel benutzt hätten.“

Für das Landgericht sind Oestmanns Äußerungen, für die er viele Belege anführt, keine Tatsachenbehauptungen, sondern zulässige Meinungsäußerungen. Zunächst verwundert diese Qualifizierung: Sieht man sich die in Plagiatsfällen regelmäßig erstellten Übernahmekonkordanzen an, würde man meinen, die Aussage, hier liege eine Kopie vor, sei den Mitteln des Beweises zugänglich, also eine Tatsachenbehauptung. Die Konkordanz, die Original und Übernahme gegenüberstellt, dient nicht nur dem Beweis, sie ist geradezu der Beweis. Auch Oestmann hatte eine solche Konkordanz veröffentlicht, das Gericht sieht trotzdem überwiegend Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens, wohl weil Meder zuvorderst die beiden Rezensionen als Ganzes angreift. Insofern überwiegen nach Auffassung des Landgerichts die Elemente des Meinens und Dafürhaltens. Eine urheberrechtliche Prüfung unterbleibt ganz, denn vom Urheberrecht hatte Oestmann gar nicht gesprochen. Sein Plagiatsbegriff ist ein wissenschaftsimmanenter. Im Ergebnis hält das Gericht die Rezensionen für zulässig, auch die von Meder behauptete Schmähkritik liege „hier nicht im Ansatz“ vor.

Bei der Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Rezensierten und der Meinungsfreiheit des Rezensenten hebt das Gericht als leitenden Gesichtspunkt das Interesse der (Fach-)Öffentlichkeit daran hervor, „dass (vermeintliches) wissenschaftliches Fehlverhalten aufgedeckt wird“. Oestmanns Beleglisten stellen sich dem Gericht als zweckdienlich dar: Sie versetzen „die Leser des Aufsatzes in die Lage, sich selbst eine Meinung darüber zu bilden, ob sie die Auffassung“ des Rezensenten „teilen“; gleich­zeitig wird dem Rezensierten „ermög­licht, eine substantiierte Gegenposition einzunehmen und zu veröffentlichen“.

Druckausgabe vom Markt genommen

Meders Rechtsanwalt erklärt gegenüber dieser Zeitung, der Plagiatsbegriff sei bei einem Lehrbuch wie der „Rechtsgeschichte“ genauso unpassend wie im Journalismus. Ob die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis für Lehrbücher gelten, war indes schon im Jahr 2012 diskutiert worden, als der Nomos Verlag die Auslieferung des Lehrbuches „Juristische Arbeitstechniken und Methoden“ wegen Plagiatsvorwürfen einstellte. Die drei Herausgeber schrieben damals: „Auch wenn das Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, sondern nur praktische Arbeitsanleitungen geben will, sind doch Plagiate grundsätzlich nicht hinnehmbar.“ Gleiches wird für Meders Werk gelten müssen. Wohl deshalb hat der Verlag die Printversion der „Rechtsgeschichte“ vom Markt genommen.

Meders Anwalt macht geltend, dass in den Regeln der Universität Hannover das wissenschaftliche Plagiat mit dem Urheberrecht verknüpft werde; es gebe mithin kein Plagiat, wenn keine Verletzung des Urheberrechts vorliege. Allerdings wird ein Rezensent bei seiner Bewertung kaum an interne Regeln der Anstellungskörperschaft eines Autors gebunden sein. Es kann ein Plagiat behauptet werden und sogar vorliegen, auch wenn es in Hannover disziplinarrechtlich nicht sanktionsfähig ist. Zudem weist Oestmanns Rechtsanwalt darauf hin, dass die Hannoveraner Untersuchungskommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, nachdem sie zwei Gutachten eingeholt hatte, „eine beträchtliche Anzahl von wörtlichen Textübernahmen“ feststellte, die weder als wörtliches Zitat kenntlich gemacht noch mit einer Quellenangabe versehen wurden. Die Kommission ordnete die Passagen „im Hinblick auf die Qualität und den Umfang der Übernahmen als grob fahrlässig“ ein.

Trotzdem bleibt Meders Rechtsanwalt bei der Aussage, sein Mandant habe nur historische Fakten wiedergegeben. Es handele sich, sagt er, um Inhalte der Allgemeinbildung, bei denen zum allergrößten Teil vorgegeben sei, welche Worte man zu ihrer Wiedergabe wählen werde. Schaut man sich Oestmanns Konkordanz an, gewinnt man den Eindruck, dass manche Textstellen zwar möglicherweise keine urheberrechtliche Schöpfungshöhe haben, aber andererseits auch mehr als Faktenwiedergaben sind, etwa: „Savigny würde nicht den Ruf als der bedeutendste deutsche Jurist erworben haben, wenn sein Anliegen nur die Darstellung von Rechtsdenkmälern gewesen wäre“ oder auch: „Der Satz vom römischen Recht als ratio scripta wird von einer unwiderleglichen Fiktion zu einer widerlegbaren Vermutung. Das heimische Recht aber, das seine Vernünftigkeit erweist, hat nun umgekehrt wenigstens rechtspolitisch den Anspruch, gemeines Recht zu werden und sich über die Rolle des nur geduldeten Partikularrechts zu erheben.“

Es bleibt abzuwarten, wie das Kammergericht die Dinge sehen wird. Wohlweislich kündigt Meders Anwalt schon einmal an, dass man „die Thematik etwaiger Textübereinstimmungen bei der nächsten Auflage des Buches berücksichtigen“ werde.

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