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Wo bleibt die Euphorie?: Am Ende sagt Merz beinahe “Wir schaffen das” | ABC-Z

Der Kleine Parteitag der CDU erledigt seine Pflicht: Die Delegierten stimmen dem Koalitionsvertrag zu und die designierten Minister finden durchaus Anklang. Und doch kommt keine Euphorie auf. Merz versucht, aus der Not eine Tugend zu machen.

Die CDU ist eine Partei, die regieren will – das zeigt sich auch an diesem Montag im Berliner Estrel-Hotel. Dort sollten knapp 150 Delegierte der Partei dem Koalitionsvertrag zustimmen. Und das taten sie auch, trotz der Katerstimmung nach dem Ergebnis der Bundestagswahl. Trotz der Zugeständnisse an die SPD, die auch die eigene Glaubwürdigkeit ankratzten. Als Partei der Politikprofis wollen die Delegierten ihrem Vorsitzenden und designiertem Bundeskanzler Friedrich Merz nicht schaden, sie wollen ihm ein wenig Rückenwind verschaffen. Sie erheben sich sogar pflichtbewusst von den Sitzen, um dem Chef zu applaudieren. Doch Begeisterung sieht anders aus.

Das sagt auch Merz in seiner Rede. “Es ist keine Euphorie”, räumt er ein. Allerdings führt er das nicht auf das maue Wahlergebnis von 28,5 Prozent und die Lockerung der Schuldenbremse zurück. Sondern auf die schwierigen Zeiten: “Das ist jetzt nicht die Zeit für Euphorie”, sagt er. “Um uns herum wanken die Säulen, auf die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten vertraut haben.” Das Vertrauen in die Demokratie sei beschädigt, die Wirtschaft schwächele, die Sozialsysteme seien nicht mehr zukunftsfähig und auch das Projekt Europa sei bedroht. Ganz zu schweigen vom Krieg in der Ukraine und dem Zollstreit mit US-Präsident Donald Trump.

Schwarz-Rot werde eine Arbeitskoalition und sei kein “gesellschaftliches Projekt”, was er mit einer Spur Abscheu ausspricht. Das Ziel: Probleme Stück für Stück abarbeiten, Optimismus verbreiten, das Leben der Menschen besser machen. Er sagt auch wieder, er habe einen Kredit auf seine Glaubwürdigkeit aufgenommen. Womit er das meint, was ihm gemeinhin als Wortbruch ausgelegt wird: Die Schuldenbremse zu lockern und neuen Schuldentöpfen zuzustimmen. Obwohl er sich vor der Wahl noch über diese Art der Politik lustig gemacht hatte.

“Natürlich ist das nicht CDU pur”

Die Quittung bekam er nach der Wahl. In manchen Umfragen, teils auch im Trendbarometer von RTL und ntv, überholte die AfD die Unionsparteien. Merz wollte neues Vertrauen zurückgewinnen. Noch vor Beginn seiner Amtszeit steht aber erstmal ein weiterer Verlust zu Buche.

Generalsekretär Carsten Linnemann hatte vor der Merz-Rede etwas offener Selbstkritik geübt. “Natürlich ist das nicht CDU pur”, sagte er über den Koalitionsvertrag. Aber 14 der 15 Punkte aus dem CDU-Wahlprogramm stünden drin. “Wahr ist auch, wir hätten uns alle ein anderes Ergebnis gewünscht. 28,5 Prozent sind zu wenig.” Dafür übernehme er als Generalsekretär Verantwortung.

Zurücktreten will er natürlich nicht. Er hatte auf einen Ministerposten verzichtet, um an der Parteispitze zu bleiben. Nein, es solle eine Wahlanalyse geben, versprach er. Die kommende Regierung redete er stark: “Wenn Sie mich persönlich fragen, ist meine feste Überzeugung, dass diese Bundesregierung überraschen wird. Im positiven Sinne.”

Wer die Minister dieser Bundesregierung sein werden, ist seit diesem Montag teilweise klar. Die CDU stellte am Morgen ihre sieben Kandidaten vor, inklusive überraschender Personalien wie dem Saturn-Mediamarkt-Chef Karsten Wildberger , der erster Bundesdigitalminister wird, oder auch Nina Warken als Chefin des Gesundheitsressorts und Patrick Schnieder, der Verkehrsminister werden soll. Auch die CSU schickt einen ins Rennen, der noch keine Ministererfahrung hat: Alois Rainer wird Landwirtschaftsminister. Alexander Dobrindt übernimmt erwartungsgemäß das Innenressort, Dorothee Bär das Ministerium für Forschung und Raumfahrt.

Kabinett der No-Names?

Bei ntv sagte der Politik-Kommentator Albrecht von Lucke, Merz sei mit den Personalien durchaus ein Risiko eingegangen. Es sei ein Kabinett der No-Names und Neulinge. Auf dem Bundesausschuss, wie der Kleine Parteitag auch genannt wird, bekommen aber auch die freundlichen Applaus.

Einer, der gar nicht da war, äußerte deutliche Kritik: Dennis Radtke beschwerte sich in der “Süddeutschen Zeitung” darüber, dass kein Vertreter des Sozialflügels Minister wird. Das habe es von Adenauer bis Merkel nicht gegeben, wetterte er. Radtke ist Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Auch Junge-Union-Chef Johannes Winkel zeigte sich kritisch. Er bemängelte das fehlende Rentenkonzept und sagte, er habe den Eindruck, der Koalitionsvertrag wolle niemandem weh tun.

Merz gelobt in seiner Rede in Richtung Junger Union: “Wir verfrühstücken hier nicht eure Substanz”, im Gegenteil, man schaffe sie mit der neuen Politik. Ein Satz, der ihm im Wahlkampf nicht über die Lippen gekommen wäre, zumindest nicht in Verbindung mit massiver neuen Schuldenaufnahme. Aber das viele Geld, das seiner Regierung zur Verfügung stehen wird, kann auch er gut gebrauchen: Der Strompreis solle sinken, die Verteidigungsfähigkeit sich verbessern, die Wirtschaft wachsen und vor allem die Migration begrenzt werden. All das summiere sich zum versprochenen Politikwechsel, meint Merz.

In seiner Rede bleibt der künftige Kanzler nüchtern, wirkt aber zugleich engagiert. Erst zum Schluss wird Merz emotionaler und spricht den Delegierten Mut zu: “Es gibt keinen Grund zu verzagen und zu sagen: Das ist nicht zu schaffen. Wir können das schaffen und wir können das aus eigener Kraft schaffen.” Er stünde nicht hier, wenn er nicht die Überzeugung hätte, dass das geht. Womit er beinahe Angela Merkels berühmten Ausspruch aus der Flüchtlingskrise wiederverwertet hätte. Aber nur fast. Euphorie kam trotzdem nicht auf. Die muss sich die Arbeitskoalition nun erarbeiten.

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