WM-Silber-Gewinner Sven Schwarz: Aus dem Schatten der Großen – Sport | ABC-Z

Sven Schwarz wirkte recht entspannt vor dem Abtrennband, das die Athleten in Singapurs WM-Schwimmhalle vor womöglich allzu distanzlosen Reportern schützen soll. Der 23-Jährige, dessen langjährige Heimat die Wassersportfreunde von 1898 Hannover sind, atmete gar nicht schnell. Er wirkte vielmehr, als käme er gerade von einem lockeren Einschwimmen zurück. Neben ihm zitterte der 400-Meter-Freistil-Weltmeister Lukas Märtens, ebenfalls 23, sein rechtes Bein gehorchte ihm bis zum Fuß hinunter nicht mehr. Ein untrügliches Zeichen für Laktateinschuss und völlige Erschöpfung. So unterschiedlich kann es einem Silber- und einem Bronzegewinner gehen nach einem WM-Rennen über 800 Meter Freistil.
„Zwei Leute auf dem Treppchen – das ist sehr lange her, da können wir sehr stolz drauf sein“, sagte Schwarz. Es ist wirklich lange her: Dies gelang aus deutscher Sicht bei einer Weltmeisterschaft zuletzt Hannah Stockbauer und Jana Henke vor 22 Jahren.
Am Mittag vor dem Finale über die zweitlängste Beckenstrecke hatte das deutsche Duo erfahren, dass Mitfavorit Sam Short nicht dabei sein kann im Kampf um Gold. Der Australier hatte seine Absage mit einer Lebensmittelvergiftung begründet, die er sich beim Essen im Hotel zugezogen habe. Während der WM hatten schon einige Schwimmer über Magen-Darm-Probleme geklagt, das US-Team war besonders betroffen, auch die Briten und vereinzelt andere Athleten.
:Die ganz große Überraschung
Die 23-jährige Deutsche gewinnt bei der Schwimm-WM über 100 Meter Brust. Nach Enttäuschungen und einer viermonatigen Pause hat sie einen Weg gefunden, tiefenentspannt statt nervös zu sein.
Schwarz und Märtens blieben gesund – und sie hatten nun einen großen Konkurrenten weniger. So zimmerten sie sich beim Sieg des überlegenen Tunesiers Ahmed Jaouadi, der mit der drittschnellsten je geschwommenen Zeit (7:36,88 Minuten) Gold gewann, ihr eigenes Rennen. Fast Kopf an Kopf absolvierten sie die letzten Bahnen, und Schwarz behielt mit seiner Prognose recht: „Ich hatte gehofft, dass Lukas vielleicht ein bisschen kaputt ist“, sagte er in Anspielung auf dessen 400-Meter-Titel vom Sonntag. Märtens selbst sagte schwer atmend: „Grade geht es mir nicht so gut, es war sehr, sehr anstrengend. Aber ich bin sehr zufrieden. Es war das Ziel, mit zwei Medaillen nach Hause zu gehen. Das habe ich jetzt schon geschafft.“
Schwarz hingegen ist nun endgültig aus dem Schatten der Großen herausgeschwommen, in einer Disziplin, in der die Deutschen in den vergangenen Jahren schon öfter zeigten, dass sie ihnen liegt. Es ist seine erste WM-Medaille auf der 50-Meter Bahn überhaupt, und es ist mit Abstand sein größter Erfolg. „Böse Leute sagen, ich gewinne immer nur die kleinen Medaillen“, sagte Schwarz, dann schmunzelte er.
Er galt bislang als der fast zu Nette, der die anderen unterstützt, sie anfeuert – und ihnen am Ende den Vortritt lassen muss. Meistens war das Florian Wellbrock. Als sich dann noch dessen Magdeburger Trainingskollege Märtens entschloss, sich ebenfalls an den langen Strecken zu probieren, schien die Tür für Schwarz verschlossen zu sein. „Ich hatte relativ viele Rückschläge in meiner Karriere, auch damals bei der Qualifikation für Tokio, wo ich dann Corona hatte“, sagte Schwarz nun in Singapur.
Doch dann unterbot er Anfang Mai bei den deutschen Meisterschaften in Berlin den Europarekord, verwies Wellbrock auf Platz zwei, schnappte diesem dadurch das WM-Ticket weg und war urplötzlich neben Märtens in Singapur auf dieser Strecke gesetzt. Jetzt kann er voller Selbstbewusstsein sagen: „Ich habe in dieser Saison gezeigt, dass ich über die 800 eher der Beste bin.“ Auch wenn er Wellbrock und Märtens nach wie vor „auf Augenhöhe“ sieht.
Um die Langstrecke braucht man sich im deutschen Schwimmen schon länger nicht mehr zu sorgen
Anders als Märtens und Wellbrock gehört Schwarz nicht zur Magdeburger Trainingsgruppe von Bundestrainer Bernd Berkhahn. Er schwimmt schon seit vielen Jahren unter Coach Emil Guliyev in Hannover – und ist durchaus glücklich damit, abseits der so im Fokus stehenden Goldschmiede in Hannover ein wenig für sich zu sein. Das Verhältnis zu seinen Konkurrenten von der Elbe gilt aber als freundschaftlich, zumal sich alle immer wieder bei Bundeswehrlehrgängen in Hannover treffen. Vor Singapur war Schwarz auch Teil der Gruppe um Wellbrock und Märtens, die Berkhahn mit ins Höhentrainingslager in die Pyrenäen nahm.
„Wir können super zufrieden damit sein, was für Fortschritte wir machen“, sagte Märtens nun nach seiner Bronzemedaille – und schloss Schwarz damit ausdrücklich ein: „Und wir haben noch überhaupt kein Alter.“ Um die Langstrecke braucht man sich im deutschen Schwimmen ohnehin schon länger nicht mehr zu sorgen. Denn neben dem Toptrio Schwarz, Märtens und Wellbrock kommt noch ein weiterer hochtalentierter, junger Mann hinzu: Johannes Liebmann, 18, stationiert in Magdeburg. „Da ist die Zukunft auch schon abgesichert“, sagte Märtens.
Dann gingen sie zum Ausschwimmen, Schwarz eher leichtfüßig, Märtens schweren Schrittes. Bis zum Vorlauf über 1500 Meter Freistil am Samstag hat Schwarz, der Oldtimer-Fan, nun ein wenig Zeit, sich weiter zu erholen. Er wird dort auf einen alten Bekannten treffen: Florian Wellbrock.