Bürgerentscheide über Krankenhäuser sollen ausgeschlossen sein – Bayern | ABC-Z

Das Klima am runden Tisch sei „überragend gut“ gewesen, sagt Günther Beckstein, der frühere Ministerpräsident. Aber wer ihm zusieht, in der Orangerie der Staatskanzlei, der fragt sich natürlich: Wenn sich alle so überragend gut verstanden haben, warum steht Beckstein ganz allein neben Staatskanzleichef Florian Herrmann (beide CSU)? Und wieso haben die anderen Rundtischler zu einer eigenen Pressekonferenz geladen, in ein Café, fünf Gehminuten entfernt?
Vor einem Jahr haben sich Vertreter verschiedener Parteien und Verbände zum ersten Mal mit Moderator Beckstein getroffen, um über die Zukunft der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu beraten, an diesem Freitag fand das sechste und letzte Treffen statt. „Bürgerentscheide können befrieden, aber sie werden zunehmend auch als Blockade eingesetzt“, hatte Markus Söder im Juni 2024 gesagt und eine Reform angeregt. Er wollte höhere Hürden für Bürgerbeteiligung setzen, um wichtige Infrastrukturprojekte nicht zu gefährden, etwa den Bau von Windrädern, die Neuordnung der Krankenhauslandschaft oder die Ansiedlung von Unternehmen. Nun steht fest: Für ein paar Neuerungen hat es gereicht, für eine umfassende Reform lagen die Meinungen dann doch zu weit auseinander.
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Das wichtigste Ergebnis des runden Tisches betrifft die Krankenhausreform, also die Entscheidung darüber, wo es künftig welche Kliniken geben soll und welche Häuser womöglich zusperren. Diese Fragen könnten künftig von Bürgerbegehren ausgeschlossen sein, kündigt Beckstein an. Er spricht von einem breiten Konsens am runden Tisch.
Selbst der Verein „Mehr Demokratie“, der sich für mehr direkte Demokratie einsetzt, hat am Freitag angekündigt, sich bei den Krankenhäusern nicht zu verkämpfen – mit dem Argument, dass die formalen Hürden in solchen Fällen hoch seien und ein Bürgerbegehren die Schließung einer Klinik mittelfristig nicht verhindern könne, weil ein unrentables Krankenhaus ohnehin schließen müsse.

:„Manchmal muss die Politik eben Unpopuläres machen“
Ministerpräsident Söder plant eine Reform der Bürgerbeteiligung. Die Beratungen moderieren soll der frühere Regierungschef Günther Beckstein. Ein Gespräch über direkte Demokratie, vernünftige Niederbayern – und den widerspenstigen Hubert Aiwanger.
Trotz des breiten Konsenses ist aber selbst dieser Punkt noch wackelig – weil sich ausgerechnet die Regierungsparteien CSU und Freie Wähler uneins sind. Die Debatte um die Krankenhausreform sei schon emotional genug, findet FW-Fraktionschef Florian Streibl, da sei es „schlecht, wenn man das Signal gibt, Mitspracherechte zu beschneiden“ und die Menschen „vor vollendete Tatsachen“ zu stellen. Mit Blick auf die Kliniken wolle er alles „so lassen, wie es ist“ und auf den Dialog mit den Menschen setzen. „Bürgerentscheide gehören zur Genetik der Freien Wähler“, sagt Streibl.
„Ein breites Anliegen“ sei dagegen gewesen, dass Unterschriften für ein Bürgerbegehren nicht „auf Vorrat gesammelt“ und „zwei, drei, vier Jahre später“ eingereicht werden können, sagt Beckstein. Deshalb sollen die Unterschriften bald nur noch befristet gültig sein, sechs oder zwölf Monate, je nach Größe der Kommune. Kürzere Fristen soll es laut Beckstein auch bei Bürgerentscheiden gegen bereits gefasste Beschlüsse von Stadt- oder Gemeinderäten geben. Außerdem wolle man rechtlich prüfen, inwieweit digitale Unterschriften möglich seien. Das sind die wesentlichen Punkte, mit denen sich am 29. Juli zunächst der Ministerrat befassen soll und später der Landtag.

Dass sich Ministerpräsident Söder für höhere Hürden bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ausgesprochen hat, wertet Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze als „Kampfansage an die direkte Demokratie“. Dass die CSU nun bei vielen Punkten zurückgerudert sei, liege „auch daran, dass wir, die hier sitzen, gekämpft haben wie Löwinnen und Löwen“, sagt Schulze beim gemeinsamen Pressegespräch mit Horst Arnold (SPD) sowie Vertretern von „Mehr Demokratie“ und Naturschutzverbänden, die allesamt am runden Tisch beteiligt waren. Wer Bürgerentscheide wirklich weiterentwickeln wolle, sagt Schulze, müsse frühzeitige und unkomplizierte Mitsprache ermöglichen, etwa durch regelmäßige Bürgerforen und Bürgerräte.
Auch Martin Geilhufe, Landesbeauftragter des Bundes Naturschutz, sagt: „Wir brauchen mehr Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, nicht weniger. Die Praxis zeigt, dass oft erst Bürgerbegehren Bewegung in umstrittene Vorhaben bringen und Kompromisse ermöglichen.“ Wer die Menschen dagegen nicht einbinde, laufe „Gefahr, dass gegen Bauprojekte auf dem Klageweg vorgegangen wird, was zu einer jahrelangen Verzögerung führen kann“, sagt Helmut Beran, Geschäftsführer des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz. Und der SPD-Abgeordnete Arnold wirft der Staatsregierung vor, Bürgerbeteiligung als „Einfallstor für lästige Partikularquerulanten“ zu sehen.
Auch aus der außerparlamentarischen Opposition kommen am Freitag kritische Stimmen. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die repräsentative Demokratie vor dem Bürgerwillen geschützt werden möchte“, teilen die ÖDP-Landesvorsitzenden Agnes Becker und Tobias Ruff in einer gemeinsamen Erklärung mit. „Wir sehen die Gefahr, dass die ohnehin schon geringe Beteiligung an Kommunalwahlen durch eine Einschränkung der direkten Demokratie kurz vor der Wahl noch weiter nach unten gedrückt werden könnte. Dieser Gefahr muss unbedingt entgegengetreten werden.“
Ministerpräsident Söder, der die Reformpläne angestoßen hat, äußert sich am Freitag zunächst nicht zu den Ergebnissen des runden Tisches. Teilnehmer berichten, dass Söder keines der sechs Treffen besucht habe.