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Wirtschaftskrise in Deutschland: Erwartungen an neue Regierung – Wirtschaft | ABC-Z

Ludwig Erhard gilt als Vater der sozialen Marktwirtschaft, und er hat schon vor Jahrzehnten den Satz geprägt: „Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie.“ Diese Erkenntnis des Mannes, der von 1949 bis 1963 Bundeswirtschaftsminister und danach der zweite Kanzler der Bundesrepublik war, hat sicher auch noch heute Geltung. Denn: Ist die Stimmung schlecht, wird noch weniger konsumiert und noch weniger investiert. Ist die Stimmung gut, kann es plötzlich wie von selbst laufen. Aber die Stimmung ist derzeit schlecht, möglicherweise noch schlechter als die Lage. Die deutsche Wirtschaft ist nach zwei Jahren ohne Wachstum und keinen guten Aussichten für 2025 zweifellos in der Krise. Ein drittes Rezessionsjahr in Folge hat es seit Gründung der Bundesrepublik noch nie gegeben.

Wird jetzt nach der Bundestagswahl und der Aussicht auf eine Koalition aus Union und SPD alles besser? Die Erwartungen und Hoffnungen auf eine Wende sind jedenfalls groß, der Druck auf eine neue Regierung enorm. „Diese Regierung muss wirklich liefern, sie muss mit weniger Ideologie und mit mehr Pragmatismus und Effizienz vorgehen“, sagt Tomaso Duso, Ökonom beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Vorsitzender der Monopolkommission, der Süddeutschen Zeitung. Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), sagt: „Das Warten ist vorbei, und das ist erst mal gut. Deutschland kann auf eine stabile Regierung hoffen.“ Aber er warnt auch: „Es sind dicke Bretter, die eine neue Regierung sich jetzt vornehmen muss.“

Achim Wambach ist Chef des ZEW in Mannheim. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Viele in der Wirtschaft drängen nun auf Reformen. Peter Adrian, Präsident der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), etwa fordert spürbare Entlastungen bei Bürokratie und Abgaben für die Unternehmen: „Insbesondere auf dem Feld der Wirtschaftspolitik sind jetzt dringend wichtige Weichenstellungen erforderlich.“ Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), fordert von der künftigen Regierung „einen wirklichen Neubeginn“. Eine schwarz-rote Koalition werde diesem Land nur gerecht werden, wenn sie sich als eine Koalition für die Lösung von großen Aufgaben verstehe. „Alles, was Wachstum schafft, muss jetzt im Mittelpunkt stehen“, sagte der Unternehmer aus Baden-Württemberg, der für die Wahl der CDU geworben hatte.

Es müsse jetzt schnell gehen, fordert die Wirtschaft

Viele Wirtschaftsvertreter betonen auch, dass es nun schnell gehen müsse. Deutschland brauche bald eine handlungsfähige Bundesregierung mit der Bereitschaft zu den gebotenen Reformen, mahnt etwa Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).  „Der Standort verfällt, weil der Staat seine Kernaufgaben nicht mehr erfüllt. In den guten Jahren wurden Steuereinnahmen verprasst, statt die Probleme anzugehen“, lautet der Befund von Hüther.

Doch was muss in der Wirtschaftspolitik passieren? „Eine neue Regierung muss Europa zur Chefsache machen, auch wenn wir natürlich auch viele deutsche Hausaufgaben zu erledigen haben“, sagt Ökonom Wambach der SZ. Gerade Themen wie Energie, Verteidigung, Handelspolitik, Bürokratieabbau seien eben auch europäische Themen. Ein großer Teil der bürokratischen Lasten für Unternehmen ist auf die Regulierung der EU zurückzuführen. „Die neue Bundesregierung muss dringend nach Europa schauen. Man muss in Europa Deutschland wieder sehen“, sagt auch DIW-Ökonom Duso. Die Ampelregierung habe die EU zuletzt eher vernachlässigt, das sei auch angesichts der geopolitischen Verwerfungen gefährlich. US-Präsident Donald Trump droht seit Wochen offen mit neuen Zöllen und einem Handelskrieg, was sehr negativ gerade auf die deutsche Wirtschaft wirken könnte.

Monika Schnitzer ist die Chefin des Sachverständigenrats Wirtschaft, der sogenannten Wirtschaftsweisen. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Besonders wichtig ist nach Ansicht vieler Ökonomen, dass sowohl Unternehmen als auch der Staat deutlich mehr investieren müssen. Deutschland habe einen hohen Investitionsbedarf, da brauche das Land eine Offensive, sagt Wambach. „Deutschland muss aus der Investitionsblockade rauskommen“, meint auch Duso.  Das Problem: Woher sollen die Mittel dafür kommen? Die Schuldenbremse verhindert derzeit eine höhere Verschuldung. Monika Schnitzer, die Chefin der Wirtschaftsweisen, schlägt deshalb vor, „die Schuldenbremse insgesamt stabilitätsorientiert zu reformieren“, um Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur und Bildung zu ermöglichen.

Ob das so schnell möglich ist? DIW-Forscher Duso findet, dass etwa ineffiziente Subventionen zuerst überprüft werden müssten. Die gescheiterte Ampelkoalition hatte zwar vereinbart, klimafeindliche Subventionen zu streichen, war damit aber nicht entscheidend vorangekommen. Dazu gehört unter anderem die steuerliche Bevorteilung von Flugbenzin, Dieselkraftstoff oder Dienstwagen. Zuletzt hatte Duso auch gefordert, dass der Staat seine Beteiligungen an den beiden Bonner Dax-Konzernen Deutsche Telekom und Deutsche Post-DHL verkaufen solle, was auch für den Wettbewerb gut wäre. Die beiden Aktienpakete sind zusammen derzeit mehr als 50 Milliarden Euro wert, das Geld könnte für Infrastrukturinvestitionen genutzt werden.

Wambach sieht im neu gewählten Bundestag zudem eine Chance für einen Infrastrukturfonds. Solche Pläne waren unter der Ampelkoalition gescheitert, vor allem am Widerstand von FDP und Bundesfinanzminister Christian Lindner. Die Partei ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und wird nicht mehr im Parlament vertreten sein. Zudem müsse der Haushalt nach Sparmöglichkeiten durchforstet werden. Wambach stellt fest: „Wenn wir mehr für Investitionen und Verteidigung ausgeben, dann können wir woanders weniger ausgeben.“ Die Organisation Oxfam forderte am Montag erneut, Milliardäre und Reiche durch eine höhere Besteuerung zur Finanzierung heranzuziehen. Auch die SPD hatte in ihrem Wahlprogramm eine höhere Steuer für die obersten Einkommensschichten gefordert, die Union lehnte das bislang strikt ab.

Eine ganz kleine positive Nachricht kommt von der Bundesbank

Sowohl Union als auch SPD hatten den Unternehmen im Wahlkampf eine Senkung der Energiekosten in Aussicht gestellt. Die Union will zudem die Unternehmensteuer deutlich senken. Die Energiekosten seien für den Großteil der Industrieunternehmen aber nicht das Hauptproblem, hatte zuletzt das DIW ausgerechnet, strukturelle Probleme würden so nicht gelöst. Steuererleichterungen oder eine Senkung der Stromkosten würden zu kurz greifen. Wambach fügte an, Deutschland stehe als Standort im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht da, sondern habe auch eine Menge zu bieten, „zum Beispiel politische Stabilität und Rechtssicherheit“.

Am Montag gab eine kleine positive Nachricht von Bundesbank: Für Januar bis März werde ein geringfügiges Anziehen der Wirtschaft erwartet. „Alles in allem könnte die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal marginal wachsen“, schreibt die deutsche Zentralbank in ihrem Monatsbericht. In der Grundtendenz bleibe die deutsche Wirtschaft aber nach wie vor in der Stagnation gefangen.

Kommt jetzt die Wende? Kann wenigstens die Stimmung mit einer neuen Regierung drehen? Die Firmen beurteilten nach dem neuen Ifo-Geschäftsklimaindex, einem wichtigen Wirtschaftsbarometer, ihre Geschäftslage zwar skeptischer als zuletzt, die Aussichten für die kommenden Monate aber seien etwas optimistischer. „Die deutsche Wirtschaft wartet ab“, sagte dazu Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Eine neue Regierung ist bei den Aussichten der Märkte sozusagen schon eingepreist“, meint dagegen Ökonom Wambach. Ein grundlegender Umschwung lässt also womöglich noch auf sich warten.

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