Wirtschaftselite hofiert Trump: Kettensäge statt Diversity in Davos | ABC-Z

Wirtschaftselite hofiert Trump
Kettensäge statt Diversity in Davos
26.01.2025, 09:51 Uhr
In den vergangenen Jahren prägten Themen wie Nachhaltigkeit, Vielfalt oder Inklusion die Agenda des Weltwirtschaftsforums. 2025 stoßen sie auf Desinteresse. Stattdessen erlebt ntv-Chefkorrespondent Ulrich Reitz in Davos eine Demonstration in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Trumpismus.
Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos war über viele Jahre ein Ort, an dem die Zukunft verhandelt wurde. In diesem Jahr wurde vor allem eine Zukunft besiegelt: Donald Trumps zweite Amtszeit. Kaum hatte die globale Elite aus mehr als 130 Ländern ihre Hotelzimmer bezogen, stieg in Washington die Feier zur Inauguration des neuen US-Präsidenten. Die sorgsam vorbereitete Davos-Agenda: Makulatur. Ein neues und alles beherrschende Thema war gesetzt.
Am Donnerstag zündete Trump dann den Turbo. Seine Video-Schalte auf die „Main Stage“ des vollbesetzten Konferenzsaals heizte die Diskussionen weiter an. Mein Eindruck nach wirklich vielen, häufig vertraulichen Gesprächen: Die Frage war nicht mehr, wie man Trump die Stirn bietet, sondern wie man ihn für sich gewinnt. Oder ob man jemanden aus seinem engeren Umfeld kennt, den man ansprechen kann.
In seiner Video-Rede gab Trump den Mafia-Paten, der Deals unterbreitet, die man auf den ersten Blick kaum ablehnen kann. Wer in den USA investiert, bekommt Steuererleichterungen und günstige Energiepreise. Wer dort Jobs schafft, seine Gunst. Wer das ausschlägt, wird bestraft in Form von höheren Zöllen und sonstigen Strafen. „America first“ ist zurück und die globale Wirtschaftselite in Davos hörte gebannt zu, klatschte sogar. Aus Angst? Vielleicht auch reflexartig aus Höflichkeit.
Musk, aber nicht Elon
Nach seiner Schalte wurde Trump auf der Bühne von vier CEOs aus der Finanzbranche befragt. Oder besser gesagt: hofiert. Brav und artig, wie Schüler vor dem Direktor. Bloß keine kritische Nachfrage stellen, bloß keinen Widerspruch provozieren, bloß nicht Trumps Unmut auf sich ziehen. Wer vorauseilenden Gehorsam mal auf globaler Bühne erleben wollte – in Davos war das zu sehen.
Tagelang hielt sich das Gerücht, dass Elon Musk in Davos sei. Auch ich wurde mehrfach gefragt, ob ich denn wüsste, wo man den Trump-Intimus treffen könne. Fehlanzeige: Musk war zwar da. Aber nicht Elon, sondern sein Bruder Kimbal. Der Mitbegründer von „The Kitchen“ engagiert sich für den Zugang zu gesunder Ernährung. Für viele Musk-Interessierte nicht halb so interessant.
Javier Milei, Argentiniens Präsident, war auch da. Mit seinen Aussagen passt er gut in den Trumpschen Zeitgeist. Er wolle, sagte er vollkommen schmerzbefreit auf der Bühne, den „Wokismus“ mit der Kettensäge zerschmettern. Doch in Davos war diese Sägearbeit längst erledigt – zumindest beim WEF-Programm. Eines der Dauerthemen der vergangenen Jahre – Diversity – wurde allenfalls als Alibi diskutiert. Wo in den Vorjahren Panels zu Frauenförderung, ESG-Kriterien und Inklusion für volle Säle gesorgt hatten, herrschte 2025 Desinteresse.
Mitspielen, solange es etwas zu gewinnen gibt
Besser hielt sich da schon das Thema Künstliche Intelligenz. Unternehmen und Investoren überboten sich mit Visionen, welche Revolution die KI in den kommenden Jahren auslösen werde. Doch zwischen Euphorie und Sorge klaffte eine breite Lücke: Welche Regeln braucht es? Wer bestimmt, welche ethischen Grenzen gesetzt werden? Auch hier das gleiche Muster. Während Trump versprach, in den USA mit mehr als 500 Milliarden Dollar die KI-Entwicklung nach vorne zu peitschen, wurden langfristige und entscheidende Fragen in den Hintergrund gedrängt.
Davos hat in diesem Jahr die Chance vertan, auf diese und viele andere Fragen Antworten zu finden. Die inoffizielle Agenda hieß: Trump ist zurück – wie richten wir uns am besten danach aus? Die Antwort war häufig: Mitspielen, solange es etwas zu gewinnen gibt. Die Haudrauf-Politik ist zurück. Entgegenzusetzen hatte man in Davos nichts. Außerdem sei das Sache der Politik, hörte man insbesondere von Teilnehmern aus Deutschland. Berlin müsse endlich für bessere Rahmenbedingungen sorgen – und Brüssel für ein starkes Europa.
Beim Weg aus dem Kongresszentrum am Freitag traf ich an der Garderobe zufällig einen langjährigen WEF-Bekannten, einen Industrie-Titan aus Indien. Wir sprachen kurz über Trump und Europa. Sein Fazit: Europa halte sich für wichtiger, als es ist. Der Rest der Welt sehe das längst anders. Mein diplomatischer Kommentar: „Ansichtssache“. Hoffentlich irrt er sich.