Wirtschaft

Wirtschaft in Ostdeutschland: Ein guter Rat | ABC-Z

Joachim Ragnitz Volkswirt, stellvertretender Leiter der Niederlassung Dresden des ifo Instituts

DIE ZEIT: Was war der größte wirtschaftspolitische Fehler seit 1990?

Joachim Ragnitz:
Der allergrößte Fehler war, dass völlig unvorbereitet das komplette
westdeutsche Rechtssystem auf den Osten übertragen wurde. Das hat die
Leute überfordert. Es findet sich auch sonst viel, wenn man einmal
anfängt zu suchen: Treuhand, Rückgabe vor Entschädigung, auch die rasche
Lohnangleichung. Anfangs lagen die Löhne bei nur 35 Prozent des
Westniveaus, aber sie sind dann recht schnell auf 60 Prozent
angestiegen, und dafür war die Produktivität im Osten schlicht nicht
ausreichend. Andererseits wären die Leute bei produktivitätsgerechten
Löhnen in noch größerer Zahl in den Westen gegangen, es war eine
Zwickmühle.

ZEIT: Welche wirtschaftspolitische Maßnahme würde am meisten nützen?

Ragnitz:
Ich würde auf Innovation und Forschung setzen und zwei, drei weitere
Großforschungsinstitute ansiedeln, die vielleicht nicht gerade
Astrophysik machen. So ähnlich wie der Bund das beim Center for the
Transformation of Chemistry in Delitzsch gemacht hat. Eines dieser
Zentren würde ich auch nach Mecklenburg-Vorpommern setzen, da fehlen
solche Strukturen besonders.

ZEIT: Gibt es Weltregionen, von denen die Wirtschaftspolitik lernen kann?

Ragnitz:
Der Osten hat sich, trotz aller Herausforderungen damals, ganz gut
entwickelt. Im Vergleich mit osteuropäischen Ländern muss man sagen: Da
geht nicht viel mehr. Die hatten den Nachteil, dass sie nicht so viele
Transferleistungen erhalten haben – aber den Vorteil, dass es jetzt mehr
Stolz auf das aus eigener Kraft Erreichte gibt.

ZEIT: Braucht der Osten noch Sonderförderung?

Ragnitz:
Ich bin gegen so eine Sonderförderung. Es gibt Landkreise im Osten, die
funktionieren deutlich besser als manche im Bayerischen Wald. Lieber
eine gesamtdeutsche Förderpolitik nach einheitlichen Kriterien! Wir
brauchen im Osten vor allem mehr Freiräume, mehr Bürokratieabbau. Das
brauchen wir zwar auch im ganzen Land, aber man könnte sagen: Wir öffnen
Experimentierräume, wir probieren das fünf Jahre lang im Osten und
schauen, ob es was bringt – und danach gilt es in ganz Deutschland.

ZEIT: Welches Unternehmen würden Sie mit Subventionsmilliarden in den Osten locken?

Ragnitz:
Ich halte nichts davon, mit öffentlichen Mitteln Intel zu holen oder
TSMC
. Wenn, dann sollte man die Standortbedingungen so verbessern, dass
Unternehmen von selbst kommen. Besser, man stärkt schon vorhandene
Strukturen, als dass man versucht, ganz neue zu schaffen.

ZEIT: Welche Ungerechtigkeit müsste man sofort abschaffen?

Ragnitz:
Wir haben gewisse Probleme, was die öffentliche Daseinsvorsorge
betrifft. Der Staat kann keinen Einfluss nehmen bei der Zahl der
Kneipen. Er kann Einfluss nehmen bei Schulen, öffentlichem Nahverkehr
und Gesundheit – das hat Priorität.

ZEIT: Fachkräftemangel, Fremdenhass: Können wir sowieso zusperren?

Ragnitz:
Was wollen Sie denn machen, eine Mauer aufbauen? Wir müssen
akzeptieren, dass wir eine strukturschwache Region bleiben – da muss man
den Leuten auch mal reinen Wein einschenken. Aber die Mieten sind
geringer, und das Reallohnniveau liegt bei 94 Prozent des Westens. Die
Angleichung der Lebensverhältnisse ist doch weit gediehen!

ZEIT: Zeit, Danke zu sagen. Wem?

Ragnitz:
Letzten Endes waren es die westdeutschen Steuerzahler, die Bürger im
Westen also, die auf den Ausbau von Infrastruktur verzichten mussten,
weil Geld in den Osten gegangen ist. Der Westen hat die vergangenen 35
Jahre auf alles Mögliche verzichtet. Das Wort Danke ist zwar fehl am
Platz, weil es auch eine rechtliche Verpflichtung dazu gab und gibt.
Aber man sollte das stärker würdigen, als es tatsächlich geschieht.

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