Wirtschaft: Die IHK im Landkreis München schlägt Alarm – Landkreis München | ABC-Z

Grau hängt der Himmel an diesem Mittwochvormittag über der Landeshauptstadt, vereinzelte Schneeflocken rieseln vor den Fenstern der Industrie- und Handelskammer (IHK) an der Max-Joseph-Straße in der Münchner Innenstadt herab. Schon das Wetter allein kann in diesen dunklen Tagen eine bleierne Gemütslage auslösen, doch es ist nicht nur diese nasskalte, winterliche Witterung, die Florian Schardt zu der Erkenntnis gelangen lässt: „Die Stimmung war schon mal besser. Die Wirtschaft schwächelt und das spüren wir auch.“
Seit etwas mehr als einem halben Jahr ist der Unternehmer und SPD-Kreisrat aus Ottobrunn Vize-Präsident der IHK und Vorsitzender des Regionalausschusses für den Landkreis München, dem nahezu 50 000 Unternehmen vom Ein-Mann-Betrieb bis zu Global-Playern wie dem Neubiberger Halbleiter-Hersteller Infineon angehören. In dieser Funktion sieht sich Schardt, der selbst mehrere Start-ups gegründet hat, wiederum nach Jahren des schier unaufhaltsamen Wachstums in einer der wirtschaftsstärksten Regionen der Republik einem neuen Phänomen gegenüber: einer schwächelnden Wirtschaft samt sinkender Beschäftigtenzahlen. Schardt sagt an diesem Mittwoch in der IHK-Zentrale aber auch: „Eine Trendumkehr kann schnell gehen.“
Trotz der wirtschaftlich herausfordernden Zeiten nimmt der Landkreis München in Oberbayern, aber auch im gesamten Freistaat nach wie vor eine Sonderstellung ein: Mittlerweile gibt es im Landkreis mit seinen etwa 360 00 Einwohnern weit mehr als 250 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Es pendeln weit mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Job in den Landkreis als in umgekehrte Richtung. Die Arbeitslosenquote liegt nach wie vor sogar noch unter dem ohnehin schon niedrigen bayerischen Durchschnitt und nahe der Vollbeschäftigung. Und die Zahl der IHK-Auszubildenden erreichte zuletzt mit etwas mehr als 3200 einen neuen Höchststand.
Doch diese Kennzahlen, sagt Schardt beim Pressegespräch im IHK-Stammhaus, würden auch große Herausforderungen mit sich bringen. „Die Bevölkerung wächst, in den nächsten 20 Jahren kommen noch einmal 20 000 Einwohner hinzu“, so der IHK-Vorsitzende. Zudem würden immer mehr Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden. „Aber die Arbeit muss ja gemacht werden, im Kindergarten, in der Werkhalle, in der Spedition. Und die Menschen müssen irgendwo wohnen.“
Ohne ausländische Arbeitskräfte kommt kein Paket und fährt kein Bus
Das trifft freilich auch auf jene zu, die als Fach- oder Arbeitskraft neu ins Land kommen – und der Freistaat und insbesondere der so wirtschaftsstarke Regierungsbezirk Oberbayern sind auf den Zuzug von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angewiesen. In ganz Oberbayern fehlen nach den Worten von IHK-Pressesprecher Florian Reil derzeit weit mehr als 40 000 Arbeitskräfte. Angesichts wachsender Ressentiments gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund spricht Schardt daher auch eine eindringliche Warnung aus: „Man erlebt in Gesprächen, dass es bei Zugewanderten die Sorge gibt, dass sie sich angesichts der Stimmung hier nicht mehr wohlfühlen. Das ist gefährlich für die Wirtschaft.“ Es müsse allen klar sein, so der IHK-Vorsitzende, dass ohne ausländische Arbeitskräfte kein Paket mehr ankommen, kein Bus mehr fahren und kein Pflegeheim funktionieren würde.
Dennoch müssten auch andere heikle Debatten geführt werden, so Schardt, etwa wenn es um den Krankenstand unter Beschäftigten geht, die Arbeitsdauer und auch das Bürgergeld. „Wir dürfen diese Debatten aber nicht ideologisch führen, nicht auf Kosten von Menschen“, so der SPD-Politiker. „Aber wir müssen diese Debatten führen, lösungsorientiert – sonst werden wir sie nicht mehr los.“
Diesen Pragmatismus wünscht sich die Wirtschaft im Landkreis München laut dem IHK-Vorsitzenden auch, wenn es um das immer wiederkehrende Thema der überbordenden Bürokratie für Unternehmerinnen und Unternehmer geht. Schardt verweist dabei etwa auf das Lieferkettengesetz, das aus seiner Sicht Unternehmen zu viel Zeit kostet. „Das ist sehr komplex, sehr verschachtelt. Diese ganzen Berichtspflichten, das ist einfach zu viel.“ Ähnlich sehe es bei der CSR-Richtlinie, der Umweltberichterstattung für Firmen, aus oder beim sogenannten AI-Act der Europäischen Union, mit dem der Einsatz Künstlicher Intelligenz geregelt werden soll. Die Bürokratie zu entschlacken, so Schardt, sei ein „Konjunkturprogramm in Zeiten knapper Kassen“ – und das auch noch kostenlos.
Mit Blick auf die Bundestagswahl in knapp fünf Wochen und einen sehr wahrscheinlichen Regierungswechsel in Berlin wünscht sich der IHK-Vorsitzende, unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit, von der Politik primär „Verlässlichkeit, lösungsorientiertes Handeln und weniger Streit“. Etwa bei der Energiepolitik, die jahrzehntelang „konzeptionell nicht gut durchdacht“ gewesen sei. „Was wir brauchen, ist eine bezahlbare Energiewende, die den Klimazielen gerecht wird“, sagt Schardt, ohne dies mit einer klaren Wahlempfehlung zu verbinden.