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„Wir haben Netflix on demand auf die Baustelle gebracht“ | ABC-Z

Der Call kommt von Baustelle 3. Stelios Georgiadis sitzt in Hattersheim vor zahlreichen Monitoren, auf einem meldet sich Halil Albayrak. Ausnahmsweise ist er heute unterwegs, er steht in Ludwigshafen vor der Kinderbibliothek. „Wir sind umgezogen“, steht auf einem Schild an der Tür, innen wird gewerkelt. Albayrak trägt ein Stirnband mit Kamera, deshalb kann er Georgiadis mit auf die Baustelle nehmen. „Der Sack da muss natürlich noch weg“, sagt Georgiadis und zeigt auf einen einsamen Müllsack an der Wand. Umgekehrt kann Albayrak über ein Display sehen, wenn Georgiadis mit ihm etwa Konstruktionspläne auf dem Bildschirm teilt.

Albayrak arbeitet seit 25 Jahren auf Baustellen. Seine Erfahrung ist viel wert, doch irgendwann schafft man es nicht mehr, täglich selbst auf Baustellen irgendwo im Bundesgebiet zu stehen. Deshalb sitzt Albayrak normalerweise in Hattersheim vor den Bildschirmen und verbindet sich mit den Bauarbeitern vor Ort. „Er kann an neun Baustellen gleichzeitig seine Erfahrung einbringen“, erklärt Tobias Luger, Personalleiter bei T.O.M., was für Technisches Oberflächenmanagement steht.

Satte Prämien beim Erreichen der Ziele für Mitarbeiter

Das wiederum steht für die Sanierung von Beton, etwa Brücken oder Parkhäusern, doch mittlerweile bietet die 2018 gegründete Firma noch mehr an. Vor allem hat sie den Umgang mit Baukolonnen völlig neu erfunden, dafür gab es Ende Oktober eine Auszeichnung des Landeswirtschaftsministers als „Hessenchampion“ in der Kategorie „Jobmotor“.

Herzstück ist das „Supervisor-System“, mit dem die Arbeiter zumindest virtuell nicht allein sind. Aber auch Bauleiter oder Planungsbüros können sich aufschalten und über den Fortschritt informiert werden, erklärt Georgiadis. Schadstellen oder Aufmaße können per Video festgehalten werden, der Polier schreibt bequem am Schreibtisch mit. Auch auf den Arbeitsschutz kann er ein Auge haben, etwa herumstehende Müllsäcke, die da nicht hingehören. Und natürlich kann auch der Kunde regelmäßig schauen, wie es vorangeht. „Wir haben praktisch Netflix on demand auf die Baustelle gebracht“, sagt Personalchef Luger.

T.O.M.-Geschäftsführer Tim Göhlich treibt mit digitalen Systemen die Modernisierung der Baubranche voran.Maximilian von Lachner

Auch für die Arbeiter ändert sich einiges. „Die Woche wird vorgeplant“, erläutert Geschäftsführer Tim Göhlich. „Die Mitarbeiter bekommen einen Stundenplan mit Leistungen für jeden Tag.“ Ob die Leistungen eingehalten wurden, kann die Zentrale mitverfolgen. Am Montag der Folgewoche bekommen die Mitarbeiter die Nachricht, ob sie im Plan lagen, dann gibt es eine satte Prämie.

„Zu 85 Prozent erreichen sie das“, sagt Göhlich. Bis zu 1000 Euro können das pro Monat sein. Dafür ist die Arbeitszeit auf neun Stunden pro Tag gedeckelt. Auf anderen Baustellen, vor allem wo schwarzgearbeitet wird, dauern die Tage länger, und auf den ersten Blick kommt mehr dabei herum. Doch durch das Prämiensystem machen die Arbeiter am Ende das bessere Geschäft: kürzere Tage und das gleiche Geld. Das motiviert.

„Viele kennen nur Schwarzarbeit“

„Betoninstandhalter ist kein Ausbildungsberuf“, sagt Personalleiter Luger. Seine Leute, die aus Polen, der Türkei, Rumänien stammen, haben unterschiedliche Hintergründe. Das Startmodul von neun Monaten absolvieren alle, daneben wird schon voll gearbeitet. Momentan bastelt man bei T.O.M. am Aufbaumodul, das eine Spezialisierung in Richtung Bau, Technik oder Konstruktion anbieten soll. Bald soll es zertifiziert werden, dann dürfen die Vorgesetzten das prüfen. „Das machen wir alles nebenbei, als Hobby“, sagt Tim Göhlich.





Dieser Text entstammt der aktuellen Ausgabe des F.A.Z.-Wirtschaftsmagazins „Metropol“.

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Dazu kommen Deutschkurse. „Viele kennen nur Schwarzarbeit“, sagt Luger. Bei T.O.M. bekommen sie erstmals eine Perspektive. „Wir haben hier Baustellenleiter, die kamen mit nichts, die konnten nicht einmal Deutsch.“ Das spricht sich herum, die meisten kommen über Mundpropaganda, und Mitarbeiter bringen ihre Söhne oder Freunde mit. „Das ist auch für uns als Arbeitgeber ein Kompliment“, sagt Luger.

Im Ingenieurbüro im Erdgeschoss, das bald nach der Gründung der Baufirma hinzukam, geht es mindestens ebenso international zu. Ein Brasilianer, ein Spanier, eine Afghanin, ein Mitarbeiter vom Balkan, zwei Deutsche mit polnischem und mit ivorischem Hintergrund arbeiten zusammen, momentan an mehreren Projekten am Frankfurter Flughafen. Auch aus anderen Ländern wollen die Gründer Arbeitskräfte anwerben, Ägypten und Costa Rica etwa.

Große Diversität im Unternehmen

Gegenüber von Stelios Georgiadis sitzt Kevin Eilers, der vom Hattersheimer Schlockerhof kommt, wo Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen arbeiten. Am Anfang übernahm er leichteste Arbeiten, inzwischen klickt er sich routiniert durch das Programm und kontrolliert, ob alle ihre Baustellenprotokolle abgegeben haben. Auch ein Freundschaftsspiel zwischen seiner Fußballmannschaft, der inklusiven Eintracht Hattersheim, und seinem Arbeitgeber hat er schon organisiert.

Inzwischen hat sich das Angebot der Baufirma erweitert. Nicht nur der Bau, auch die Elektrik gehört dazu. T.O.M. kann komplette Parkhäuser sanieren, samt Beleuchtung und Brandmeldeanlage, Kläranlagen oder Autobahnbrücken, denen man ihr hochkomplexes Innenleben nicht ansieht. So kam André Reidelbach dazu, ein Spezialist für die Wartung und Instandsetzung von tragbaren Gaswarngeräten, eine zugegeben eher seltene Spezialisierung. Weil er Geräte warten kann, die sonst teuer zum Hersteller zurückgeschickt werden müssten, gründete sich 2021 als Unterfirma die T.O.M. Technologies.

Zielgruppe sind etwa Industrieparks und große Fabriken, aber auch jedes Parkhaus hat einen Gaswarner. Zunächst war T.O.M. in Flörsheim, seit 2023 residiert das Unternehmen in Eddersheim. Vor der Tür rollen die Bagger, eine neue Lagerhalle soll hier entstehen. Weil in den Sechziger- und Siebzigerjahren schnell und viel errichtet wurde, befinden sich momentan viele Betonbauten am Ende ihres Lebenszyklus, und die Betonsanierer haben gut zu tun. Auch, weil Beton Pflege brauche und sich die öffentliche Hand nicht eben regelmäßig um ihre Bauwerke kümmere. „Für die Politik bringt die Eröffnung einer neuen Brücke viel mehr Prestige als die Instandhaltung“, vermutet Tobias Luger.

Aber das ist ein ganz eigenes Thema, über das man mit den T.O.M.-Gründern lange reden könnte – der Sanierungsstau, die langen Verträge, Gelder, die nicht abgerufen werden, weil die Ressourcen fehlen, komplizierte Ausschreibungen nach Gewerken, die gerade nicht vorsehen, dass eine Sanierung aus einer Hand erfolgt. „In der freien Wirtschaft macht man nicht so einen Affentanz – weil das eben nicht funktioniert“, sagt André Reidelbach. Und das müsse eigentlich auch nicht sein, findet Geschäftsführer Tim Göhlich. Ein Pilotprojekt in Hessen, mit einem Wartungsvertrag, das wäre eine gute Sache. Den Kontakt zum Ministerium hat man in Hattersheim ja jetzt.

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