Die Macht der Türkei: “Erdogan hat uns ein Stück weit in der Hand” | ABC-Z

Die Macht der Türkei
“Erdogan hat uns ein Stück weit in der Hand”
10.04.2025, 14:00 Uhr
Die Türkei ist zweitgrößter Nato-Partner und strategisch von großer Bedeutung. Präsident Erdogan weiß das genau. Kritiker protestieren gegen seinen zunehmend autokratischen Kurs. Können sie gegenhalten? Und wo steht Deutschland?
Es braucht viel Mut, um in der Türkei zu Protesten auf die Straße zu gehen. Da ist sich Martin Lück sicher. Der Volkswirt beobachtet mit großem Interesse, was aktuell am Bosporus passiert: Seit Ekrem Imamoglu, der inzwischen abgesetzte Bürgermeister Istanbuls, am 19. März festgenommen wurde, kritisieren dessen Anhänger den zunehmend autoritären Kurs des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Weit über 800 Menschen wurden inzwischen angeklagt. Europa, so meint Lück, könnte durchaus mehr Kante zeigen.
Imamoglu ist innenpolitisch der schärfste Konkurrent Erdogans. Längst sitzt der Oppositionsführer in Untersuchungshaft. Offiziell geht es um Korruptions- und Terrorunterstützung, doch für seine Gegner sind diese Vorwürfe politisch motiviert. “Erdogan hat entschieden, Imamoglu aus dem Spiel zu nehmen”, sagt Türkei-Kenner Lück im Podcast “Wirtschaft Welt & Weit”. Auch der Zeitpunkt der Festnahme, kurz bevor Imamoglu von seiner Partei als Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen aufgestellt werden sollte, ist für ihn kein Zufall.
Kritische Stimmen “bemerkenswert leise”
Kritische Rufe nach schneller Aufklärung kommen zwar auch aus Deutschland. Doch diese Stimmen, so Lück, sind “bemerkenswert leise”. Die Türkei ist ein Land, das aus europäischer Sicht strategisch enorm wichtig ist. So ist Erdogan zwar auf der einen Seite Partner des Westens, doch zugleich pflegt er einen guten Draht zu Putin. Was auf ersten Blick kaum zusammenpasst, stärkt die Verhandlungsposition des türkischen Präsidenten gegenüber seinen europäischen Partnern enorm. “Erdogan weiß um seine Macht”, sagt der Volkswirt. “Ich würde fast sagen, er hat uns ein Stück weit in der Hand.”
Denn seit US-Präsident Donald Trump die Weltordnung durcheinanderwirbelt, ist die Türkei aus europäischer Perspektive wichtiger denn je: Dabei geht es nicht nur um Handelsrouten und Flüchtlingsdeals, sondern auch um sicherheitspolitische Aspekte. Die Türkei ist ein Nato-Partner von enormer Schlagkraft: Nach den USA verfügt das Land am Bosporus über die zweitgrößte Truppenstärke aller Bündnispartner.
Für Lück steht fest: Erdogans Lust an der Macht ist groß. Das Vorgehen des türkischen Präsidenten gegen Imamoglu hält er für einen Schritt in Richtung Diktatur. Mit einem schärferen Vorgehen gegen türkische Propaganda auf deutschem Boden könnte man Erdogan “vielleicht ein bisschen weh tun”. Ausreichen werde das aber nicht. Vor allem hofft Lück deshalb auf den Mut der Menschen in der Türkei – und dass sie sich auch in Zukunft nicht einschüchtern lassen. Denn auch Erdogan, so Lück, “wird nicht ewig an der Macht sein”.
Was muss Deutschland tun, um in der Wirtschaftswelt von morgen noch eine wichtige Rolle zu spielen? Von wem sind wir abhängig? Welche Länder profitieren von der neuen Weltlage? Das diskutiert Andrea Sellmann im ntv-Podcast “Wirtschaft Welt & Weit” mit relevanten Expertinnen und Experten.
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