Wiesbaden: Verfahren wegen Holocaust-Applaus eingestellt | ABC-Z
Der Eklat im Wiesbadener Programmkino Caligari am 30. Januar dieses Jahres hatte für überregionales Aufsehen gesorgt und heftige Diskussionen ausgelöst. Fünf Schüler einer Wiesbadener Berufsschule sollen gegen Ende des Films „Die Wannseekonferenz“ geklatscht haben, es stand der Verdacht im Raum, dass sie absichtlich den Verbrechen des Nationalsozialismus und dem Holocaust Applaus gezollt hatten.
Nach Bekanntwerden des mutmaßlich antisemitischen Verhaltens hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Volksverhetzung eingeleitet. Dieses Verfahren ist am 11. September eingestellt worden, teilte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde am Montag auf Nachfrage mit.
Nach Auskunft des Staatsanwalts ist das Verfahren nach Paragraph 170, Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden, weil die „eingeleiteten Ermittlungen einen hinreichenden Tatverdacht gegen die beschuldigten Personen nicht ergeben hatten“. Im Gespräch sagte der Sprecher, die fünf jungen Männer hätten den Vorwurf, antisemitisch zu sein, zurückgewiesen.
Initiative zur Wertevermittlung an hessischen Schulen
Die Einstellung des Verfahrens sei aber vor allem deswegen erfolgt, weil nach Auskunft des Sprechers nicht nachgewiesen werden konnte, wann die fünf Berufsschüler applaudierten – ob gegen Ende des Films oder aber genau in dem Moment, in dem die Zahl der von den Nazis ermordeten jüdischen Menschen, nämlich sechs Millionen, am Ende des Films mit einem Text eingeblendet wurde.
Während der Vorführung waren etwa 60 weitere Schüler in dem Kinosaal, ebenso wie mehrere Lehrer. Die Staatsanwaltschaft, so der Sprecher weiter, habe gemeinsam mit der Polizei ermittelt und auch alle fünf Schüler vernommen. Nach dem Vorfall in dem Kino waren die jungen Leute Medienberichten zufolge von den anwesenden Lehrern getadelt und für zwei Wochen vom Unterricht suspendiert worden. Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) hatte den Vorfall als „unerträglich“ bezeichnet und eine schonungslose Aufklärung sowie Konsequenzen angekündigt.
Die Einstellung des Verfahrens mochte das Kultusministerium am Montag nicht kommentieren. Ein Sprecher sagte: „Es gab nach dem Vorfall eine intensive pädagogische Begleitung mit Maßnahmen für die betreffenden Schüler beispielsweise auch zusammen mit dem Anne-Frank-Zentrum.“ Unabhängig davon seien vom Staatlichen Schulamt weitere Schritte zur Prävention initiiert worden.
„Antisemitismus, Aggressionen und Hassgefühle gegenüber Israel sind mit unseren Werten unvereinbar und haben an unseren Schulen keinen Platz“, so der Sprecher weiter. Das Ministerium habe in diesem Schuljahr daher eine Initiative zur Wertevermittlung an Schulen begonnen.
Wachsender Antisemitismus beschäftigt die jüdische Gemeinde
Für Steve Landau, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde in Wiesbaden, ist der Vorfall „nach wie vor erschütternd“. Die Einstellung des Verfahrens kommentierte er mit den Worten: „Es geht nicht darum, die jungen Leute zu bestrafen. Es gilt, eine Lehre daraus zu ziehen, wie man junge Menschen an das Thema im schulischen Kontext heranführt.“
Bei der „Wannseekonferenz“, die den millionenfachen Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Europas thematisiert, handele es sich um einen Film, bei dem man betroffen das Kino verlasse, sagte der Geschäftsführer.
„Das größte Pogrom nach der Schoa auf jüdische Menschen hat weltweit die größte antisemitische Welle ausgelöst“, spannte Landau im Gespräch den Bogen zum Überfall der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres. Insbesondere kurz vor dem bevorstehenden ersten Jahrestag des Überfalls beschäftige der wachsende Antisemitismus auch die jüdische Gemeinde sowie die Wiesbadener Schulen.
Aufklärungsarbeit ist nie abgeschlossen
Laut Landau gibt es mittlerweile mehrere antisemitische Vorfälle an den Schulen in der Landeshauptstadt und das Schulamt sei deswegen tätig. In mindestens einem Fall ermittle auch die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, sagte der Geschäftsführer, ohne auf die Details einzugehen. „Wir verlassen uns auf das Rechtssystem“, sagte er abschließend zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft.
Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU) unterschied im Gespräch zu der Verfahrenseinstellung deutlich zwischen dem strafrechtlichen Aspekt und dem Umgang mit der Geschichte der Judenverfolgung während des Nationalsozialismus in der schulischen Aufklärungsarbeit.
Er war nach eigener Aussage nach dem Vorfall mit verschiedenen Wiesbadener Schulen im Gespräch und auch in Konferenzen zu diesem Thema anwesend. Eine Lehre aus dem Vorfall sei, dass die Aufklärungsarbeit nie abgeschlossen sein könne und mit jeder Schülergeneration neu erfolgen müsse. Dies sei notwendig, um einen angemessenen und ernsthaften Umgang mit dem Thema zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang forderte Becker, dass Lehrer, Erzieher und andere Mitarbeiter in den Schulen auch weiterhin Haltung zeigten und sich klar gegen Antisemitismus positionierten.