Politik

Wieduwilts Woche: Fairness im Wahlkampf? Zeig Respekt, du Opfer! | ABC-Z

Die Wahlkämpfer haben zwei bewährte Strategien für sich entdeckt: das Beleidigen und das Beleidigtsein. Sie sind spät dran, denn Donald Trump ist ihnen in beidem weit voraus.

Haben Sie schon die nun veröffentlichten Wahlprogramme der Parteien studiert? Deutschland steckt ja tief in der Krise und es sind sich alle einig: Ein Ruck muss jetzt durch die Ökonomie gehen! Stellenweise wurde tatsächlich eine Weile über Inhalte gesprochen. Aber damit war es, Gott sei Dank, schnell wieder vorbei. Denn jetzt ist erst einmal “Fritze”-Zank!

Der Bundeskanzler nannte Friedrich Merz in dieser Woche öffentlich bei diesem Spitznamen und behauptete, er, “Fritze” Merz, erzähle “gerne Tünkram”. Das wirkte ein bisschen knuffig, weil alles, was man auf Plattdeutsch sagt, ein bisschen knuffig wirkt. Reagiert hatte Olaf Scholz damit auf eine gemeine Anekdote, die Merz über ihn auf den Weg brachte.

Hass und Hodentöter

Die Strategie der SPD liegt auf der Hand: Sie will, dass Merz das macht, was ihm häufiger passiert. Er soll die Contenance verlieren. Derzeit nämlich wirkt der Sauerländer wie eine irgendwie vernünftige Alternative zum rauchenden Trümmerhaufen einer Ampelkoalition. Dieses Bild gilt es zu erschüttern und bekanntlich hat der CDU-Chef eine kurze Zündschnur. Aber darf man das, pöbeln in der Politik?

Man darf, sagen die einen: Wer die “Fritze”-Hitze nicht aushält, hat in der Küche nichts verloren! Früher war der Ton immerhin auch nicht besser. Man erinnere sich an den Sozialdemokraten und rhetorischen Haudrauf Herbert Wehner, der die Abgeordneten Wohlrabe und Todenhöfer im Bundestag “Übelkrähe” und “Hodentöter” nannte. So farbenfroh ist Politik ja kaum noch.

Andere bangen allerdings um “den Diskurs” und die politische Kultur in Deutschland. Haben wir nicht schon genug “Hass und Hetze”? Und muss das sein, in der Adventszeit?

Ein Fairnessabkommen

Jetzt debattieren Parteivertreter also allen Ernstes ein “Fairnessabkommen”. Damit sollten sich die Wettbewerber in die Hand versprechen, auf Hass, Hetze und Falschinformationen zu verzichten.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Hass, Hetze und Falschinformationen sind immerhin genau die Untaten, derer die Politik sonst die Bürger verdächtigt. Wegen dieses Problems verschärft der Staat das Strafrecht, überwacht den digitalen Diskurs und durchsucht Wohnungen. Gerade soll ein Mann für 30 Tage ins Gefängnis. Er hatte die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, als “Märchenerzählerin” bezeichnet und eine hierfür verhängte Geldstrafe über 3000 Euro nicht bezahlt.

Und dieselben Leute, die auf diese Weise an der Meinungsfreiheit herumschleifen, haben sich so wenig im Griff, dass sie sich im Wahlkampf gegenseitig Fairness versprechen müssen? Was sind das eigentlich für Leute?

Beleidigen und Beleidigtsein

Wie auch immer: Jenseits von Moralfragen dürfte sich die “Fritze”-Herabwürdigung schlecht auf das Image des SPD-Kandidaten auswirken. Spitznamen und öffentliches Abwatschen assoziiert man heute nicht mehr mit fröhlich-derben Sozialdemokraten im Bundestag, sondern mit Populisten.

Donald Trump ist berüchtigt dafür, dass er jedem seiner Gegner einen neuen Namen verpasst. Will so wirklich ein Noch- und Möchtewieder-Bundeskanzler in Deutschland klingen? Passt das zu “Respekt”?

Wer andere beleidigt, muss sich zudem darauf einstellen, dem Gegner eine geradezu ebenso wichtige Waffe in die Hand zu geben: eine Gelegenheit zum Beleidigtsein. Die Welt ist heute voller Opfer, denn leicht lässt sich die eigene Betroffenheit zum gesellschaftlichen Problem aufblasen. Dann wird die individuelle Wut zur kollektiven Empörung: Menschen sind gern gemeinsam sauer auf Ungerechtigkeiten.

In Nullkommanix einen eigenen Podcast

Die israelische Soziologin Eva Illouz hat in ihrem neuesten Buch “Explosive Moderne” nachgezeichnet, wie eine Kultur der Menschenrechte und ein moderner Fokus auf Gefühlsverletzungen dazu führe, dass politische Akteure den Groll, das Beleidigen und Beleidigtsein als politische Strategie verwenden. Empörung findet eben leicht Gehör, auch auf Sozialen Medien – nicht wegen sinistrer Algorithmen, sondern weil Menschen nun einmal schlicht gestrickte Rudeltiere sind.

Die Selbstveropferung ist dabei blitzeinfach, manchmal genügen schon zwei Worte. Beispiel: Wenn Sie feststellen, dass Sie schon wieder keinen Handyempfang haben, sagen Sie nicht: “Scheiß Vodafone!” Sagen Sie: “Armes Deutschland!” Zack, Opferrolle. Wenn Sie mit dem Sound ein bisschen auf Twitter schimpfen, haben Sie in Nullkommanix einen eigenen Podcast.

Populisten sind die Großmeister dieser Selbstveropferung, denn sie jammern pausenlos für das wahre, von den Eliten aber leider gebeutelte “Volk”. Bei Trump vermischt sich das persönliche Übelnehmen mit Empörung für “Amerika”: Kaum jemand teilt so gern aus wie er und niemand ist so schnell und kunstvoll eingeschnappt.

“Widerlichste Hetze”

Fast so gut im Beleidigtsein wie Populisten sind allerdings die Grünen: Der woke Anteil der Ökos ist tief verwurzelt in den zahllosen identitätspolitischen Varianten der Selbstveropferung. Das bleibt nicht ohne Wirkung, was sich stets zeigt, sobald die Grünen kritisiert werden: Als im vergangenen Wahlkampf Annalena Baerbocks Plagiate moniert wurde, droschen die Ökos dermaßen auf die Medien ein, als wollten sie mit der AfD koalieren.

An dieser Dünnhäutigkeit hat sich wenig geändert: Weil ARD und ZDF Robert Habeck nicht zum Kanzlerduell einluden, sprachen die Grünen nun von einem “Eingriff in den Wahlkampf”. Sie übersehen offenbar, dass an zweiter Stelle in den Umfragen weder die Grünen noch die SPD steht, sondern die AfD.

Und weil kürzlich der brave Marco Buschmann aus der FDP überraschend schneidig forderte, man müsse das Bundesumweltamt abschaffen, eine “staatlich finanzierte Aktivisteneinrichtung”, hieß es von einem Spitzengrünen, das sei “widerlichste Hetze”. Offenbar hat heutzutage auch eine Bundesoberbehörde in Dessau-Roßlau Gefühle und Menschenrechte!

Alte weiße Männer sind keine Opfer

Friedrich Merz findet sich in der Welt des Beleidigen und Beleidigtseins nicht gut zurecht. Er “verbitte” sich den “Fritze”, sagte er lediglich, die Demokratie habe schon genug Schaden genommen unter der Ampel. Arme Demokratie! Naja.

Merz ist fürs ordentliche Beleidigen zu bürgerlich und für eine ordentliche Selbstveropferung zu weiß und alt. Denn diese Gruppe, die der alten weißen Männer, tut sich mit dieser Strategie schwer. Versuche gibt es durchaus: So insistierte gerade ein 67 Jahre alter Bundesrichter a.D., dass die Behauptung “alte weiße Männer stinken” auf einem feministischen Aktionstag eine Volksverhetzung sei, Paragraf 130 Strafgesetzbuch.

Er drang aber nicht durch: Die Bezeichnung “alter weißer Mann” bezeichne keine besonders verletzliche Gruppe, entschied schließlich ein herzloses Oberlandesgericht. Armes Deutschland!

Wäre der ruppige SPD-Mann Herbert Wehner noch am Leben, hätte er sich über den empfindsamen Bundesrichter und den allgemeinen Opfertrend vermutlich kaputt gelacht. Zugleich würde Wehner allerdings wohl die Haustür auflassen – damit die Polizei leichter in die Wohnung kommt.

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