Wie viel Einfluss hat die Kirche noch? | ABC-Z

Berlin. Papst Franziskus war bekannt dafür, sich in politischen Fragen zu äußern. Das passte nicht allen. Doch kann ein Papst die Politik verändern?
Dass es ausgerechnet US-Vizepräsident JD Vance war, der am Tag vor dem Tod des Papstes der letzte offizielle Besucher des Pontifex war, entbehrt nicht einer bitteren Ironie. Der Trump-Vize gilt gerade in der Migrationspolitik als einer der Scharfmacher in der amerikanischen Administration, die auf strikte Abschottung gegenüber Flüchtlingen sowie auf rigorose Abschiebungen setzt – und sich damit völlig anders positioniert als Franziskus.
Erst im Februar hatte Franziskus gerade die damals von den USA angekündigten Massenabschiebungen von Migranten scharf kritisiert. In einem Brief an die Bischöfe in den USA bezeichnete er die verschärfte Migrationspolitik als „große Krise“ für die USA: „Das rechtmäßig gebildete Gewissen kommt nicht umhin, ein kritisches Urteil zu fällen und seine Ablehnung gegenüber jeder Maßnahme zum Ausdruck zu bringen, die den illegalen Status einiger Migranten stillschweigend oder ausdrücklich mit Kriminalität gleichsetzt.“ Trump und Vance waren von dieser klaren Ansage aus dem Vatikan nicht eben begeistert, vorsichtig ausgedrückt.
Politischer Einfluss: Franziskus scheute klare Worte nicht
Der Tod des Papstes, der sich immer wieder nicht nur in Sachen Migration, sondern auch beim Umgang mit dem Klimawandel oder mit Kapitalismuskritik zu Wort meldete, wirft auch die Frage auf, welche politische Macht, welchen Einfluss auf Regierungen und Parteien die großen Kirchen noch besitzen, in Zeiten, in denen der Glaube vor allem in Europa für immer weniger Menschen eine wichtige Rolle spielt.
Franziskus scheute klare Worte nicht. Doch was bewirken sie? Lassen sich die Staatsoberhäupter und Regierungschefs, die am Wochenende zu Dutzenden bei der Trauerfeier für den verstorbenen Papst mit ernsten Mienen in den vordersten Reihen saßen, leiten von Mahnungen und Forderungen aus dem Vatikan? Hat die Menschlichkeit eine Chance gegen Realpolitik?
Die Kirchen wollen ein Stachel sein im Fleisch der Politik. Eine stete, unbequeme Mahnung, die Grundsätze von Nächstenliebe und Barmherzigkeit und Humanität im politischen Alltagsgeschäft mit seinen Kompromissen und Sachzwängen nicht zu vergessen. Dafür steht exemplarisch die Haltung in der Migration. Franziskus reiste demonstrativ zu den Menschen in die Flüchtlingslager nach Lampedusa und Lesbos – während europäische Regierungen auf die abschreckende Wirkung der katastrophalen Zustände in den Lagern setzten.
Julia Klöckner: „Dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer“
Und auch hierzulande zeigten die Kirchen Flagge. Die Evangelische Kirche Deutschlands schickte auf eigene Initiative mehrere Schiffe zur Rettung in Seenot geratener Bootsflüchtlinge ins Mittelmeer. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki feierte einmal die Fronleichnamsmesse vor dem Kölner Dom mit einem Flüchtlingsboot als Altar, um auf das Schicksal der Migranten aufmerksam zu machen. „Wer Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt, lässt Gott ertrinken“, so Woelki in seiner Predigt.
Die Politik reagiert auf deutliche Wortmeldungen aus der Kirche mitunter wenig begeistert. Dies beweist die aktuelle Diskussion in Deutschland. Ausgerechnet die Unionsparteien, die das „Christliche“ in ihrem Namen tragen, zeigten sich zuletzt sehr dünnhäutig, wenn sich Kirchenvertreter bei politischen Themen zu Wort meldeten.
Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) warf in zwei Interviews den Kirchen vor, sie würden sich zu oft zu politischen Themen zu Wort melden. Sie halte es „für nicht immer sinnvoll, wenn Kirchen glauben, eine weitere NGO zu sein und sich zu Tagespolitik äußern“, sagte sie dem Domradio. Kirchliche Institutionen sollten „ihre Stimme“ vor allem bei Fragen vom „Anfang und Ende des Lebens“ oder der Bewahrung der Schöpfung erheben, nicht aber zu Fragen eines Tempolimits. „Dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer“, so Klöckner.
Das Beste am Sonntag
Die besten Geschichten der Woche – exklusiv ausgewählt von Birgitta Stauber.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Und in einem Interview mit Bild am Sonntag monierte die Politikerin, die Kirche gebe derzeit nicht immer die Antworten, die die Menschen bräuchten. So hätte die Kirche während der Pandemie „vielleicht noch einen Tick mehr an Stabilität, mehr an Sinnstiftung und Seelenbegleitung geben können“. Da habe die Kirche „eine Chance verpasst“.
Erzbischof Udo Markus Bentz: „Ich lasse mir von niemandem einen Maulkorb verpassen“
Klöckner fing sich für ihre Abrechnung Kritik ein, vor allem aus den Reihen von SPD und Grünen. Und auch die Kirche konterte: Paderborns Erzbischof Udo Markus Bentz etwa betonte, dass die katholische Kirche sich auch in Zukunft nicht auf fromme Themen beschränken werde. „Ich lasse mir von niemandem einen Maulkorb verpassen, egal zu welchem Thema“, so Bentz im Interview mit der Zeitschrift Herder Korrespondenz.
Doch Klöckner steht nicht allein mit ihrer Position. Das zeigte sich zuletzt im Februar, während des Bundestagswahlkampfs. Damals hatten hochrangige Vertreter der beiden großen Kirchen die Union und ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz mit ungewöhnlich deutlichen Worten davor gewarnt, für einen härteren Kurs in der Migrationspolitik AfD-Stimmen im Bundestag in Kauf zu nehmen. Zudem bezeichneten sie die Vorschläge der Union in der Migrationspolitik als teilweise rechts- und verfassungswidrig.
Auch interessant
Das gefiel dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder aus Bayern überhaupt nicht. „Vielleicht kümmert ihr euch manchmal auch um die einen oder anderen mehr christlichen Themen“, stichelte der bayerische Ministerpräsident in einer Parteitagsrede. Söder verwies explizit auf Steuern und Gehälter, die die Kirchen vom Staat erhielten. Bayern stehe „wie kaum ein anderes Bundesland“ zu den Kirchen. Söder mahnte: „Nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht. Nicht, dass irgendwann man ganz plötzlich allein steht. Denkt mal darüber nach.“ Unterstützung aus der Politik also nur gegen wohlgefälliges Verhalten?