Wie Stephan Weil SPD-Arbeit und Regierung vermischt | ABC-Z
Die Gehaltsaffäre um die Büroleiterin von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil schien mit der Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Juni schon fast erledigt. Nun liegt der F.A.Z. allerdings ein interner Mailwechsel aus der Staatskanzlei vor, der auf eine langjährige Verquickung von Regierungsangelegenheiten und SPD-Parteiarbeit in Weils Büro hindeutet. Die Mails bieten zudem Einblicke in die Abläufe rund um deutsche Spitzenpolitiker.
Der Schriftverkehr stammt aus dem Februar 2024, als die oppositionelle CDU gerade die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses angekündigt hatte. In der Staatskanzlei bereitete man sich daher intern auf die Frage vor, wie das außertarifliche B2-Gehalt für die Büroleiterin zu rechtfertigen ist, das Ministerpräsident Weil und sein Staatskanzleichef Jörg Mielke gegen den Widerstand von Fachbeamten durchsetzten und sogar rückwirkend zahlen ließen. Die Regierungssprecherin bat deshalb den Vorgänger der neuen Büroleiterin, der mittlerweile auf einer anderen Position in der Staatskanzlei arbeitet, um eine Tätigkeitsbeschreibung. Dieser schrieb daraufhin „schnell mal runter, was mir so einfällt“: Als Büroleiter sei man dafür verantwortlich, dass „der Ministerpräsident zur richtigen Zeit, mit den richtigen Menschen, am richtigen Ort ist und die richtigen Informationen vorliegen hat“. Es gelte, „Schaden vom Ministerpräsidenten abzuwenden“. Der Büroleiter müsse zudem Kontakt zu „vielen wichtigen Büros anderer wichtiger Akteure“ halten.
Als Allererstes wird das „Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden VW“ genannt, was die enorme Bedeutung des Wolfsburger Konzerns für das Land Niedersachsen verdeutlicht. „Natürlich habe ich auch zur Büroleiterin des Bundeskanzlers einen guten Draht gehabt und konnte kurzfristig und spontan Dinge mit ihr vereinbaren“, setzt der Beamte seine Aufzählung fort. „Idealerweise“ sollte man auch zur „organisatorischen Leitung des Koalitionspartners einen sehr guten Draht haben, unabhängig davon, ob die politischen Chefs Trouble miteinander haben“. Die Büroleiter könnten so dafür sorgen, dass „unterhalb der politischen Ebene der Apparat geräuschlos arbeiten kann“.
Staatskanzlei als Schnittstelle zur Partei
Zu den wichtigen Kontakten werden aber auch die „SPD-Bundestagsfraktion oder das WBH“ gezählt, gemeint ist offenkundig das Willy-Brandt-Haus, die Berliner SPD-Zentrale. Hier deutet sich bereits der heikle Bereich zwischen Staat und Partei an, den der ehemalige Büroleiter im folgenden Abschnitt erläutert: Sofern der Ministerpräsident wie Stephan Weil auch „Vorsitzender einer Partei“ sei, „hast du als Büroleitung sofort noch eine andere Aufgabe, nämlich die Schnittstelle zu sein zur Partei“. Der Beamte beschreibt nun, wie er aus der Staatskanzlei heraus Weil dabei half, die niedersächsische SPD zu führen: „Ich war in vielen Punkten die Schnittstelle zum Landesgeschäftsführer, habe an Gremiensitzungen teilgenommen und den MP dazu begleitet.“ Am Ende der Mail schreibt der frühere Büroleiter auch, dass er „im Vorfeld von Landesparteitagen oder wichtigen Reden dem Chef Textbausteine direkt zukommen“ ließ. „Einen Teil hatte er auch regelmäßig benutzt.“
Aufschlussreich ist auch der Abschnitt über die Landtagsabgeordneten: Als Büroleiter müsse man einen „engen Draht zu allen Abgeordneten der Koalition“ pflegen und zwar „insbesondere zu den Abgeordneten, die gegebenenfalls etwas mehr Aufmerksamkeit und Pflege brauchen.“ Weils ehemaliger Büroleiter empfiehlt zudem, den Kontakt zu Oppositionsabgeordneten „geschmeidig“ zu halten. Generell gelte: „Als Büroleiter betreibst du direkt und unmittelbar politische Kommunikation – auch wenn du das nicht willst – nur dann ist es schlechte Kommunikation.“
Der Leiter der Rechtsabteilung in der Staatskanzlei, der früher ebenfalls Büroleiter von Weil war, antwortete auf diese ausführlichen Darlegungen mit einem Augenzwinkern: „Sagenhaft, was man da heute alles können muss auf diesem Posten.“ Staatskanzleichef Mielke reagierte keine zwanzig Minuten nach Eingang der Mail hingegen mit einer Mahnung. Der langjährige Vertraute von Stephan Weil warnte, dass die Vermischung von Tätigkeiten für die Regierung und für die Partei keinesfalls öffentlich werden dürfe: „Den parteipolitischen Teil würde ich sehr bewusst in der weiteren Darstellung nach außen weglassen“, schrieb Mielke.
Verschwimmende Grenzen
Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss dürfte dieser Mailwechsel für erheblichen Gesprächsstoff sorgen. Denn Partei- und Staatsangelegenheiten sollen sauber voneinander unterschieden werden, und die diesbezügliche Linie des Bundesverfassungsgerichts gilt unter Verwaltungsrechtlern als scharf. Die Ausführungen von Weils ehemaligem Büroleiter jedoch deuten darauf hin, dass es sich bei dieser Trennung um bloße Theorie handelt, in der politischen Praxis beide Sphären hingegen munter vermengt werden. Dies dürfte auch nicht nur im Umfeld von Stephan Weil so geschehen, sondern auch bei anderen Spitzenpolitikern. Es stellt sich allerdings die Frage, welches Ausmaß diese Vermischung hat: Bloße Gesprächskontakte zu Parteifunktionären sind etwas anderes als die Verfertigung von Parteitagsreden.
Weil musste bereits 2012 zugeben, dass er als Oberbürgermeister eine Parteitagsrede von seiner Sekretärin im Rathaus abtippen ließ. Dieser Vorwurf war kurz zuvor von der SPD noch als „obskure Behauptung“ zurückgewiesen worden. Bei Weil fällt zudem der hohe Durchsatz von SPD-Nachwuchspolitikern auf seinen Büroleiterstellen auf, die von dort später weiter aufsteigen. Allein im vorliegenden Mailverkehr trifft dies auf zwei der vier beteiligten Personen zu. Auch dies mag zum Verschwimmen der beiden Sphären beitragen – und vielleicht auch zu der verblüffenden Sorglosigkeit, diese Praxis auf dem dienstlichen Mailaccount ausführlich zu verschriftlichen.