Was Bankkunden jetzt wissen müssen | ABC-Z

Es klingt paradox: Verbraucherschützer erstreiten vor dem höchsten deutschen Zivilgericht wegweisende Urteile zu Negativzinsen. So geschehen am Dienstag, als der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe den klagenden Verbraucherzentralen und dem Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) in vier Streitfällen gegen Banken und Sparkassen bescheinigte, die angegriffenen Klauseln zu Verwahrentgelten seien unwirksam. Die Krux jedoch ist: Die Verbraucherschützer können nicht die Rückzahlung der zu Unrecht erhobenen Verwahrentgelte an die betroffenen Kunden verlangen. „Damit die Rückzahlungen der Negativzinsen auf den Konten der Verbraucher ankommen, müssen diese aktiv ihre Gebühren zurückfordern“, stellt Michael Hummel, Referatsleiter Recht der Verbraucherzentrale Sachsen, klar.
Wie kann das sein? Wieso müssen Banken- und Sparkassenkunden einzeln vor Gericht ziehen, um ihr Geld zurückzubekommen? Warum hat der BGH nicht gleich mitentschieden, dass die Banken die zu Unrecht erhobenen Verwahrentgelte von sich aus an die geschädigten Verbraucher zurückzahlen müssen? Die Antwort des XI. Zivilsenats lautet, kurz gefasst: Weil Verbraucherschutzverbände nach dem anzuwendenden Recht keinen entsprechenden „Beseitigungsanspruch“ haben. Das habe der BGH vergangenes Jahr schon in einem anderen Streit so entschieden, in dem der Vzbv auf Rückzahlung unzulässiger Gebühren an die betroffenen Verbraucher geklagt hatte. „Ein solcher Anspruch steht mit der Systematik des kollektiven Rechtsschutzes nach dem geltenden Recht nicht im Einklang“, heißt es in dem damals entschiedenen Fall (Urteil vom 11. September 2024 – I ZR 168/23).
Sammelklagen sind nicht möglich
Zwar hat der Gesetzgeber mittlerweile das Instrument der Sammelklage geschaffen. Damit können Verbände Ansprüche gegen Unternehmen unmittelbar gerichtlich einklagen. Doch das Gesetz zur Sammelklage, das im Herbst 2023 in Kraft trat, gilt nicht rückwirkend. Die kollektive Rückforderung von Negativzinsen ist danach ausgeschlossen. Denn die Europäische Zentralbank (EZB) hat die rund acht Jahre dauernde Phase der Negativzinsen im Sommer 2022 so gut wie beendet.
Aber zunächst zurück zu dem, was der BGH am Dienstag entschieden hat. Demnach sind Verwahrentgelte für Sparkonten und Tagesgeldkonten, mit denen Banken die Negativzinsen der EZB während der Niedrigzinsphase an ihre Kunden weitergaben, generell unzulässig. Bei Girokonten ist die Rechtslage anders: Grundsätzlich sind Entgelte für die Verwahrung von Guthaben hier möglich. Aber es kommt auf die konkrete Formulierung der Entgeltklausel an. So muss für den Kunden erkennbar sein, auf welches Guthaben das Verwahrentgelt anfällt. In den entschiedenen Fällen fehlte dem BGH die erforderliche Transparenz. Unklar sei vor allem, „ob die Berechnung des Verwahrentgelts taggenau erfolgen soll und bis zu welchem Zeitpunkt Tagesumsätze aus den Girokonten bei der Berechnung des maßgebenden Guthabensaldos berücksichtigt werden sollen“, schreibt der Gerichtshof.
Girokonten als “Verwahrstellen“
Aber wieso sind Negativzinsen für Sparkonten und Tagesgeldkonten kategorisch ausgeschlossen, für Girokonten aber möglich? Der BGH verweist auf den unterschiedlichen Zweck der Konten: Die Verwahrung von Guthaben auf Girokonten sei – neben Zahlungsdienstleistungen – eine Hauptleistung. Sowohl die Bank als auch der Kunde hätten ein Interesse an der Nutzung des Girokontos als „Verwahrstelle“ für das Geld. Diese Leistung mit einem Entgelt zu bepreisen, sei prinzipiell möglich, sofern für die Verbraucher hinreichend erkennbar sei, welche wirtschaftlichen Belastungen mit den Vertragsklauseln verbunden seien.
Bei Tagesgeld- und Sparkonten ist der BGH strenger. Denn diese dienten „nicht nur der sicheren Verwahrung von Geldern, sondern darüber hinaus auch Anlage- und Sparzwecken“. Ein Verwahrgeld, welches die Einlage bis zu einem Freibetrag fortlaufend reduziere, widerspreche den vertraglich berechtigten Erwartungen der Kunden, ihr Geld auf diesen Konten mindestens zu erhalten.
Schnelle Rückzahlungen sind unwahrscheinlich
Bankkunden, die der Ansicht sind, sie hätten zu Unrecht Verwahrentgelte gezahlt, können sich nun entweder selbst an ihre Bank wenden. Anhand der Kontoauszüge lasse sich zusammenrechnen, welche Beträge abgebucht worden seien. Die Rückzahlung sollte unter Angabe der gezahlten Negativzinsen unter Berufung auf das BGH-Urteil schriftlich mit Fristsetzung von ein bis zwei Wochen gefordert werden, sagte Verbraucherschützer Hummel. Weitere Dokumente seien dafür nicht erforderlich. Reagiere die Bank nicht, wäre der nächste Schritt, Klage auf Rückzahlung des Verwahrentgelts einzureichen. Aber die Verbraucherzentralen bieten, ebenso wie Anwaltskanzleien, auch Unterstützung für potentiell betroffene Bankkunden an. Man beginne mit der Ermittlung, für welche Art von Konto Verwahrentgelte erhoben wurden und wie viel Geld im Einzelfall auf dem Spiel stehe, erläuterte Hummel.
Wie viele Bankkunden insgesamt von den BGH-Urteilen zu den Negativzinsen profitieren könnten, dazu können die Verbraucherschützer derzeit noch keine Angaben machen, ebenso wenig wie zu den Beträgen, um die es bei den Rückforderungen geht. Schnelle Rückzahlungen sind jedenfalls kaum zu erwarten. Die Deutsche Kreditwirtschaft teilte ebenso wie die beklagten Banken und Sparkassen mit, man werde zunächst die schriftliche Urteilsbegründung des BGH abwarten, die voraussichtlich erst in ein paar Wochen vorliegen werde.
Potentiell betroffene Kunden sollten wegen drohender Verjährung aber nicht zu lange untätig bleiben, mahnt Hummel. Nach der Standardfrist von drei Jahren könnten Ansprüche aus dem Jahr 2022 nur noch bis Ende dieses Jahres geltend gemacht werden. Nach der bisherigen Rechtsprechung beginne die Verjährungsfrist mit Abbuchung des Verwahrentgelts vom Konto, sagt der Jurist. Die Verbraucherschützer argumentieren zwar, maßgeblich müsse die Kenntnis von dem höchstrichterlichen Urteil sein, welches Klarheit schaffe. Der BGH hat dieser, für die Verbraucher günstigeren Rechtsauffassung allerdings in einem früheren Urteil eine Absage erteilt.