Wie Schalke 04 von Umbruch zu Umbruch taumelt | ABC-Z

Selten hat der FC Schalke 04 seine ganze Widersprüchlichkeit derart komprimiert an einem einzigen Abend zur Schau getragen wie an diesem Karsamstag. Das Publikum war erfüllt von einem herrlichen Schalke-Glück, „es war richtig, richtig geil, eines der geilsten Spiele, die ich hier machen durfte, fast schon magisch“, sagte der Kapitän Ron Schallenberg nach dem Spiel gegen den Hamburger SV.
Schalke hatte hingebungsvoll gekämpft und trotz einer mehr als 90 Minuten andauernden Unterzahl ein 2:2 gegen den Tabellenführer erkämpft. Vervollständigt wurde der Abend jedoch von der tief in diesem Klub verwurzelten Unfähigkeit, positive Dinge einfach mal wirken zu lassen, ohne sofortige Wendung ins Gegenteil.
Eine Stunde nach dem Abpfiff war die Freude nämlich schon wieder überdeckt von einem ebenfalls denkwürdigen Auftritt des Trainers Kees van Wonderen. Der tat, was die Klubführung seit Wochen verweigert: Er sprach in klaren Worten über seine Zukunft. „Für mich sind alle Signale da, dass ich nach der Saison nicht mehr hier bin“, sagte der Niederländer. „Denn wenn man auf demselben Weg ist, tauscht man sich mehr und besser aus.“
„Bitte hör auf“
Damit bestätigte er die rund um den Klub wabernden Gerüchte über einen bevorstehenden Trainerwechsel im Sommer. Und das obwohl der Sportdirektor Youri Mulder noch am Samstagabend zu einem „Sky“-Reporter gesagt hatte: „Bitte hör auf, es geht immer, jede Woche, über diesen Trainer. Warum, das verstehe ich nicht.“
Es wäre interessant zu hören, zu welchen Überlegungen diese Demonstration der Uneinigkeit den künftigen Schalker Sportvorstand Frank Baumann inspiriert hat, der den Klub in eine bessere Zukunft führen soll. „Schalke ist ein außergewöhnlicher Verein, hat eine große Strahlkraft, hat sehr viele Emotionen, eine sehr große Wucht“, hat Baumann Anfang April in einem Interview mit der Medienabteilung seines neuen Klubs gesagt. Ansonsten schweigt der langjährige Sportchef von Werder Bremen, offiziell beginnt seine Arbeit in Gelsenkirchen im Juni.
„Enttäuschend und nicht gut“
Die Sache mit der Wucht konnte er am Samstagabend sogar vor dem TV-Bildschirm spüren. Aber eben auch die Unwuchten, die hier seit Jahren eine wichtige Rolle im Prozess des fortwährenden Niedergangs einnehmen. Als van Wonderen gefragt wurde, ob sich seine Kritik an der Klubführung explizit gegen den Vorstandsvorsitzenden Matthias Tillmann richtete, erwiderte der Trainer: „Zum Beispiel“, und erklärte, er hätte sich Rückendeckung nach der Niederlage in Regensburg am Wochenende zuvor gewünscht. „Stattdessen hört man nichts, und es heißt hinter den Kulissen, dass es Zweifel gibt. Das finde ich enttäuschend und nicht gut. Das ist schade.“
Ob van Wonderen nun der richtige Trainer für das Auferstehungsprojekt ist, das Tillmann mit der neuen Sportlichen Leitung um Baumann, Mulder und den Kaderplaner Ben Manga realisieren möchte, lässt sich kontrovers diskutieren. Klar ist aber, dass der Klub auch in dieser Angelegenheit kein gutes Bild abgibt.
Am Ostersonntag tagte Baumann mit den Verantwortlichen und mit van Wonderen, um die Lage zu beruhigen. „Grundsätzlich erwarten wir, dass wir alle kritischen Punkte, die jemand sieht, intern besprechen“, teilte Tillmann anschließend über die klubeigenen Kanäle mit. „In der Öffentlichkeit haben allerdings solche Punkte nichts zu suchen.“ Eine der wichtigsten Aufgaben Baumanns wird darin bestehen, diese Art der öffentlichen Selbstschädigung künftig zu vermeiden.
Auch wirtschaftlich „hinter dem Plan“
Baumann ist jedoch, genau wie die vielen anderen Sportchefs der jüngeren Vergangenheit, Zwängen ausgesetzt, die den dringend notwendigen Gesundungsprozess erschweren. Um einen Punktabzug zu verhindern, muss der FC Schalke sein negatives Eigenkapital von derzeit knapp 100 Millionen Euro Jahr für Jahr um fünf Prozent reduzieren. In manchen Jahren müssen zudem große Kredite umgeschuldet oder zurückgezahlt werden.
Die riskanten finanziellen Manöver der Vergangenheit werden die Entwicklung noch für viele Jahre verlangsamen. Zumal das beim FC St. Pauli so erfolgreiche Projekt einer Stadiongenossenschaft auf Schalke unerwartet langsam Fahrt aufnimmt. Die Finanzvorständin Christina Rühl-Hamers hat neulich bestätigt, dass der Klub nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich „hinter dem Plan“ liege.
Explizit im Schaufenster stehen deshalb der Stürmer Moussa Sylla, der eine hohe einstellige Millionensumme einbringen soll, und Taylan Bulut, der den Verein dank einer Ausstiegsklausel wechseln kann. 15 bis 20 Millionen Euro sollen durch Spielerverkäufe in die Kassen fließen. Außerdem werden Gehälter eingespart, indem die auslaufenden Verträge von Tobias Mohr, Marcin Kaminski und Mehmet Aydin nicht verlängert werden. Alle fünf Spieler gehörten dem Team an, das im Duell mit dem HSV die großen Schalke-Gefühle entstehen ließ.
Hoffen auf Baumanns Solidität
Auf dem Bestehenden aufbauen werden die Schalker also abermals nicht. Dabei hat Rühl-Hamers zuletzt in einem Hintergrundgespräch von ihren Erkenntnissen aus den jüngsten Zweitligasaisons berichtet: In vielen Fällen seien Teams aufgestiegen, deren Personalkosten nicht direkt auf einen Platz weit vorn in der Liga hindeuteten. Heidenheim, Darmstadt oder Kiel zum Beispiel. Das Zweitligaerfolgskonzept besteht nicht darin, die besten Gehälter und die höchsten Ablösesummen bezahlen zu können, sondern in der Entwicklung von Teams, die in einem gesunden Tempo wachsen konnten. Schalke aber taumelt von Umbruch zu Umbruch.
Immerhin wurde mit Timo Becker von Holstein Kiel ein Herzensschalker fürs kommende Jahr unter Vertrag genommen, in Abstiegsgefahr steckt der Klub auch nicht mehr. Außerdem ist mit Baumann ein Sportchef gefunden worden, der eine Solidität ausstrahlt, die der Verein gut gebrauchen kann. Das Ziel, das der neue Vorstand Sport ausgerufen hat, klingt zwar fast utopisch, enthält aber immerhin die Klarheit, die dem Klub an vielen anderen Stellen fehlt: „Schalke wieder zu einem dauerhaften und erfolgreichen Erstligisten zu machen.“