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Wie Russland Jugendliche in der Ukraine zur Sabotage anstiftet | ABC-Z

Stand: 06.08.2025 00:56 Uhr

Russland versucht, die ukrainische Gesellschaft auch mit Sabotageakten zu zermürben. Dazu wirbt es im Internet vor allem Minderjährige an. Die Anstiftung läuft nach einem bestimmten Muster.

Von Florian Kellermann, ARD Kiew

Sie zünden Autos und Gebäude an, und sie sind oft minderjährig: Ukrainer, die im Internet von Agenten russischer Geheimdienste geworben und verführt werden. In den vergangenen Monaten berichteten ukrainische Medien über immer mehr solcher Fälle. Besonders Autos von Armeeangehörigen und Rekrutierungszentren der Armee stehen im Fokus der Angriffe. Nach Angaben der ukrainischen Polizei wurden allein im ersten Halbjahr 128 Fälle von Brandstiftungen an Autos von Armeeangehörigen registriert.

In der Regel gingen diese auf den russischen Geheimdienst zurück. Und es gibt ein Muster, wie Russland vorgeht.

Ein typischer Fall ist Ihor, 18 Jahre alt. Das Interview mit ihm findet in Anwesenheit von Agenten des ukrainischen Geheimdiensts SBU statt. Seinen richtigen Namen will er nicht veröffentlicht sehen, weil er unter Anklage steht und sich schämt.

Ihor hat in seiner Heimatstadt in der nördlichen Ukraine ein Servicezentrum angezündet, in dem Bürger Pässe, aber auch Sozialhilfe beantragen können. Seine Familie hat diesen Service selbst in Anspruch genommen.

Lockmittel: schnell verdientes Geld

“Mindestens 1000 Dollar, hieß es, könne man für 15 bis 20 Minuten Arbeit verdienen”, erzählt Ihor. Auf die entsprechende Annonce kam er über eine Internetseite mit lokalen Nachrichten.

Dort bekam er den Hinweis auf einen Kanal im Messengerdienst Telegram. Als er Interesse zeigte, meldete sich ein Mann bei ihm, der sich “Ferrari” nannte, erzählt Ihor.

“Ferrari” gab sich als Ukrainer aus und behauptete, er gehöre einer Widerstandsbewegung im Untergrund an. Ihr angebliches Ziel: die Arbeit der Rekrutierungszentren (TZK) zu stören, die Soldaten für den Krieg einziehen.

Die Unzufriedenheit ausnutzen

Das sei ein übliches Schema, sagt Walerija Jehoschyna, Investigativjournalistin in der ukrainischen Redaktion von Radio Swoboda. Jehoschyna und ihre Kollegen haben mehrere Sabotageakte recherchiert. Die russischen Agenten nutzten Unzufriedenheit in der ukrainischen Gesellschaft aus, zum Beispiel mit der Mobilisierung von Soldaten.

Ihor gibt an, dass er selbst gesehen habe, wie TZK-Mitarbeiter einen jungen Mann in ein Auto zerrten und wegbrachten. “Deshalb hat Ferrari mich schon beeinflussen können”, sagt Ihor.

Die Hauptmotivation der jungen Leute, die sich auf russische Geheimdienste einlassen, sei allerdings das Geld, sagt Jehoschyna. Ihor gibt an, dass “Ferrari” ihm auch mal einfach so spontan Geld für Bier überwiesen habe.

Außerdem sei während der Zusammenarbeit mit dem russischen Agenten bekannt geworden, dass seine Mutter Krebs habe, so Ihor. Bis dahin habe er sich nur dazu bereit erklärt, Kabelverteilerschränke anzuzünden. Doch dann habe er sich, um seiner Mutter helfen zu können, auch zum Angriff auf das Servicezentrum bereiterklärt.

Ihor hielt den Kontakt mit seinem russischen Agenten nicht nur wegen des Geldes so lange aufrecht. Der Mann, der wie ein älterer Herr klang, habe ihm emotionalen Halt gegeben, sagt er.

Im Fokus Russlands: Minderjährige

Alle Fälle, die Jehoschyna und ihre Kollegen recherchiert haben, betrafen Minderjährige. Der bisher jüngste in der Ukraine bekannte Jugendliche, der von russischen Geheimdiensten geworben wurde, war zehn Jahre alt. Über ihn berichtete die Staatsanwaltschaft in der nordukrainischen Stadt Charkiw.

Minderjährige ließen sich leicht beeinflussen, sagt Jehoschyna. Als ein Junge, mit dem sie sprach, sich umentschied und doch keinen Anschlag verüben wollte, habe sein russischer Betreuer gedroht. “Wir wissen, wo du wohnst, wir wissen, wo du entlanggehst”, habe er ihm gesagt. Oft genüge schon die Drohung, dass sie die Eltern über die bisherige Kommunikation informieren würden.  

Spaltung und Propaganda

Die direkte Wirkung der Anschläge sei begrenzt, so Beobachter. Selbst einige hundert ausgebrannte Pkw könnten die Moral in der ukrainischen Armee kaum beeinflussen.

Wichtiger sei für die russischen Geheimdienste das Bildmaterial, das sie von den Jugendlichen bekommen. Brennende Autos von Soldaten, brennende Rekrutierungszentren – damit könnten sie in russischen Propagandafilmen den Eindruck erwecken, in der Ukraine gebe es breiten Widerstand, die Menschen wollten sich nicht mehr gegen Russland verteidigen.

“Es geht darum, die ukrainische Gesellschaft noch mehr zu spalten”, so Jehoschyna. Die Propagandafilme verbreite Russland dann wiederum über soziale Medien wie Telegram.

Psychologisch geschickte russische Agenten könnten mit kleinem Aufwand großen Schaden anrichten, meint Jegoschyna. Sie wirbt dafür, in den Schulen besser über russische Desinformation aufzuklären, um junge Menschen vor Manipulation zu schützen.

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