Politik

Das neue Foto Arsenal in Wien | ABC-Z

Im Südosten des Wiener Hauptbahnhofs, wo einst Kasernen und Waffenfabriken ihren Sitz hatten, ist das heute zum 3. Wiener Gemeindebezirk gehörende, gut drei Quadratkilometer große Arsenal mit seinen markanten Rohziegelbauten eine Mischung aus Gewerbe- und Museumsbauten. Die Firmenzentrale des größten Kommunikationsanbieters des Landes überragt das Ensemble, das Heeresgeschichtliche Museum behauptet sich wie eine Trutzburg. Jetzt soll nach dem Willen der Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler hier ein Kulturcluster heranwachsen.

Im Objekt 19, so werden hier die Gebäude nummeriert, die Art for Art. Das ist die Servicegesellschaft der österreichischen Bundestheater. Die Probengebäude und Depots aus den frühen Sechzigern werden kontinuierlich von Lkw angefahren, die Bühnenbilder für Staatsoper und Burgtheater transportieren. Nach Nordwesten zu befindet sich im Schweizergarten eine Dependance der Galerie Belvedere, das Belvedere 21, das im von Karl Schwanzer erbauten Pavillon der Expo 1958 residiert, lange als 21er Haus bekannt.

Im Objekt 19A ist das Foto Arsenal als Mieter eingezogen. Träger der 2022 gegründeten Einrichtung, die zunächst in provisorischen Räumen im Museumsquartier untergebracht war, ist die Stadt Wien Kunst GmbH. Sie finanziert mit einem jährlichen Budget von zwei Millionen Euro zwölf Planstellen und den Ausstellungsbetrieb, eine eigene Sammlung hat das Zentrum für Fotografie und Lens Based Media nicht. Es widmet sich der zeitgenössischen Fotografie und organisiert das alle zwei Jahre veranstaltete Festival Foto Wien, das dieses Jahr von 3. bis 31. Oktober stattfinden wird.

Andere Länder, andere Gedecke: Aus Martin Parrs Serie“Mexiko“ (2002)Martin Parr/Magnum Photos

Objekt 19A wurde für drei Millionen Euro saniert und aufgestockt. Eingezogen ist auch das Filmmuseum LAB, ein Kompetenzzentrum für Konservierung und Archivierung. Die 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind technisch auf dem neuesten Stand. Die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz ist allerdings suboptimal, Parkmöglichkeiten rar. Angepeilt werden 12.000 Besucher im Jahr, allein am Eröffnungswochenende kamen 7000.

Leiter des Foto Arsenals ist der 1972 geborene deutsche Kunsthistoriker Felix Hoffmann, zuvor Hauptkurator bei C/O Berlin. In seiner ersten Ausstellung im neuen Haus setzt er auf Bewährtes, Fotografien der 1947 in New York gegründeten genossenschaftlich organisierten Agentur Magnum. Beginnend mit den Kriegsfotografien Robert Capas vom D-Day, Dennis Stocks „James Dean am Times Square“ (1955) oder Inge Moraths „Ein Lama auf dem Times Square“ (1957), wird der allzu vertraute Eindruck dieser Fotoklassiker unterlaufen, indem die Schau sozusagen die Rückseiten der Bilder in den Blick nimmt. Denn die aus dem Pariser Archiv der Agentur geliehenen Bilder erzählen eine eigene Geschichte, zeigen, was sonst verborgen bleibt: Anweisungen für die Mitarbeiter in der Dunkelkammer, an welchen Stellen die Bilder nachbearbeitet werden sollen, welchen Nutzungsbedingungen sie unterliegen.

Das Archive of Public Protests (APP) sammelt Dokumente sozialer Bewegungen und Protest-Initiativen, darunter Bilder wie Rafał Milachs „Strajk“ (2021)
Das Archive of Public Protests (APP) sammelt Dokumente sozialer Bewegungen und Protest-Initiativen, darunter Bilder wie Rafał Milachs „Strajk“ (2021)Rafal Milach/Magnum Photos

Ausgangspunkt ist jeweils der Bogen mit Kontaktabzügen, auf ihm wird markiert, welche Bilder vergrößert werden, wie sie weiterbearbeitet werden. Man folgt der Genese längst ikonischer Fotografien aus der Perspektive der Entwickler – Manipulation war auch damals schon fixer Bestandteil des Gewerbes.

Kriegsfotografie, Stars und Kuriosa: Die Nachkriegsjahre sind das Zeitalter der Illustrierten, allein „Life“ erreicht eine Auflage von 20 Millionen Exemplaren. Das Medium par excellence für Fotografien, sind die Illustrierten doch der wichtigste Absatzmarkt auch für die junge Agentur. Magnum will die inhaltliche und urheberrechtliche Kontrolle behalten, liefert präzise Bildbeschreibungen – und faszinierende Qualität. So porträtiert Eve Arnold, erstes weibliche Vollmitglied, 1961 den schwarzen Bürgerrechtler Malcolm X, und René Burri macht Bilder von Che Guevara (1963), die um die Welt gehen. Für eine „Stern“-Reportage („Die teuerste Faust der Welt“) begleitet Thomas Hoepker den Schwergewichts-Weltmeister im Boxen, Muhammad Ali, und zeigt ihn in Lebenslagen jenseits des Rings – etwa in einer Bäckerei beim Flirt mit seiner späteren zweiten Frau Belinda.

Leitet das neue Haus: Der deutsche KunsthistorikerFelix Hoffmann
Leitet das neue Haus: Der deutsche KunsthistorikerFelix Hoffmanndpa

Das Konzept der Ausstellung ist unverhohlen didaktisch. Felix Hoffmann weiß, dass Muhammad Ali heutigen Jugendlichen nichts mehr sagt, ebenso wenig wie Kenntnisse über analoge Fotografie erwartet werden dürfen. Insofern ist der Ansatz, Inhalte und Technik voraussetzungslos zu vermitteln, stimmig. Die Ausstellung liefert nebenbei auch die technische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte mit, von Schwarz-Weiß zu Farbe, von analog zu digital, von Zeitung, Zeitschrift und Buch zu Handyfotografie.

Für Schulklassen ein unvertrautes Geräusch: Das surrende Rattern von Diaprojektoren beim Bilderwechsel liefert den Soundtrack zu Paul Fuscos Serie „Robert F. Kennedy’s Funeral“ am 8. Juni 1968, die Tausende Amerikaner aller Altersgruppen und sozialer Schichten entlang der Gleise zeigt, auf denen der Sarg des ermordeten Politikers in einer achtstündigen Fahrt von Manhattan nach Washington transportiert wurde.

Blick in den Raum mit Simon Lehners Arbeiten - „Clean Thoughts. Clean Images“
Blick in den Raum mit Simon Lehners Arbeiten – „Clean Thoughts. Clean Images“dpa

Highlights aus dem Reiche Magnum sind Bruce Davidsons Langzeitbeobachtung von Menschen in der New Yorker U-Bahn (1980) oder Martin Parrs englische Kulinarik-Albträume „Common Sense“ (1995/99). Im letzten Raum dann der Sprung ins 21. Jahrhundert. Nach Susan Meiselas’ historischer Tiefenbohrung über die Kurden als Volk im Schatten der Geschichte zeigt die 1986 geborene Belgierin Bieke Depoorter die 2015 begonnene Serie „Michael“. Ein Zufallsbekannter in Portland, der ihr Einblick in sein Leben gab, die Wände voller Zettel und Memorabilien, an Max Frischs Figur Herr Geiser erinnernd. Als Michael verschwindet, sucht Depoorter unermüdlich nach ihm. Ob diese Obsession echt oder inszeniert ist, bleibt offen.

Radikal politisch agiert dagegen das polnische Magnum-Mitglied Rafał Milach, der mit der Serie „Strajk“ die Aktivistenbewegung Archive für öffentlichen Protest begleitet, die sich für Frauen- und LGBTQ-Rechte einsetzen. Zunächst als Zeitung gedruckt und verbreitet, werden diese Bilder nun in einem öffentlich zugänglichen Internetarchiv gesammelt. Ein Raum ist schließlich einem aufstrebenden Jungstar der österreichischen Fotografie, Simon Lehner, gewidmet, dessen hochartifizielle 3D-Bilder die Grenzen zu Malerei und Skulptur überschreiten und die Fotografie hinter sich zu lassen scheinen. Als nächste Ausstellung geht es von 14. Juni an erneut Richtung Magnum, Bilder des Gründungsmitglieds Henri Cartier-Bresson werden gezeigt. Klingt, als wolle Felix Hoffmann auf Nummer sicher gehen.

Magnum. A World of Photography. Foto Arsenal, Wien. Bis 1. Juni. Der Katalog (Steidl Verlag) kostet 38 Euro.

Back to top button