Wie Köche die Mode beeinflussen | ABC-Z
Ein Mitglied von Daniel Gottschlichs Küchen-Team kommt hinter der gläsernen Schiebetür hervor, die für einen Moment den Blick auf dampfende Töpfe freigibt. Wie lange dürfen die Linsen kochen, sodass sie nicht mehlig werden? „45 Minuten“, sagt Gottschlich. Sein Restaurant „Ox & Klee“ hat er 2010 in Köln gegründet, mittlerweile ist es mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Der Koch hat aber nicht nur eine Leidenschaft fürs Essen, sondern auch für Mode. Die traditionellen weißen Kochjacken haben hier deshalb noch nie eine große Rolle gespielt.
Vor gut 200 Jahren hat Marie-Antoine Carême entschieden, dass Köchinnen und Köche zweireihige weiße Jacken und weiße Hüte tragen sollten. Und weil Carême derjenige war, den Kaiser, Prinzen und Zaren für ihre Staatsbankette anreisen und kochen ließen, war der Rest der Kochwelt mit seiner Kleidungswahl einverstanden. Dass Weiß in der Küche unpraktisch sein könnte, war Carême durchaus bewusst. Mit dieser Farbwahl sollte signalisiert werden: Ich verstehe mein Handwerk, bei mir geht nichts daneben. Und wenn doch, konnte man den Zweireiher so umknöpfen, dass man den Fleck nicht direkt sehen konnte.
Bis heute hat sich an dieser Küchenmode wenig geändert. Doch eine junge Generation von Köchinnen und Köchen bricht mit diesen Fashion-Regeln. Sie kombiniert Arbeitskleidung mit bequemer Alltagsmode und wird teilweise selbst zu Modemachenden – und Stilvorbildern.
Der Londoner Chefkoch Sertaç Dirik hat für das Jeans-Label Lee eine Kollektion entworfen, Social-Media-Koch Pierce Abernathy wurde das Gesicht von Story Mfg. Starkoch Matty Matheson hat mit Rosa Rugosa direkt ein eigenes Label auf den Markt gebracht – mit Kleidung, die widerstandsfähig gegen Öl und Hitze ist. Und das Motto der Modemarke Service Works des langjährigen Kochs Tom Hudley lautet: „Designed for chefs, adapted for all“.
Auch Daniel Gottschlich hat die Uniformen seines Teams im „Ox & Klee“ mitentworfen. Sie bestehen aus einer schwarzen Lederschürze, die speziell nach seinen Vorstellungen angefertigt wurde. Stylisch, strapazierfähig, nachhaltig. Und darunter trägt das Küchenteam schwarze T-Shirts der Marke Drykorn, die für zeitlose und schlichte Kleidung steht. „Die Shirts kannst du 1000-mal waschen, die Farbe bleibt“, sagt Gottschlich. „Und das Material ist widerstandsfähig, aber nicht so dick, dass du dich kaputt schwitzt.“ Praktisch, aber eben auch modisch.
Ein T-Shirt Schwäbischen Alb in „The Bear“
„Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass gerade einige Küchen auf weiße T-Shirts und blaue Latzschürze umstellen“, sagt der Kölner Sternekoch und grinst. Denn auch er kennt die Serie „The Bear“ – und dieses gewisse weiße T-Shirt. Das Internet hat es in Aufruhr versetzt und einen Hype um eine kleine Firma von der Schwäbischen Alb ausgelöst. „Und ich glaube, dass auch zu Hause einige Leute sagen: Beim Kochen trage ich jetzt immer so ein weißes Shirt, dann fühle ich mich so ein bisschen wie in der Serie.“
In „The Bear“ übernimmt Sternekoch Carmen „Carmy“ Berzatto nach dem Selbstmord seines Bruders den schrulligen Sandwich-Familienbetrieb in Chicago. Gespielt wird Berzatto von Jeremy Allen White, der für seine Rolle zwei Golden Globes, einen Emmy und den inoffiziellen Titel des Sexsymbols 2024 gewonnen hat. Eine Unterwäsche-Kampagne für Calvin Klein hat ihr Übriges getan, aber die wäre nicht entstanden, würde White in „The Bear“ nicht so wahnsinnig cool durch seine fiktive Chicagoer Küche tänzeln, sexy auf Tischen sitzen und verletzlich in die Kamera starren – oft in einem T-Shirt der Marke Merz b. Schwanen.
Die Kostümdesignerin von „The Bear“ hat sich nach langer Recherche und Gesprächen mit vielen Köchinnen und Köchen für das Oberteil von der Schwäbischen Alb entschieden. Sie hat sich die Figur „Carmy“ Berzatto als jemanden vorgestellt, dem Qualität und Handwerk wichtig ist. Und mehr von beidem ist weltweit wohl in keiner anderen T-Shirt-Produktionsstätte zu finden.
In der Strickerei werden die Oberteile noch auf alten Rundwirkmaschinen hergestellt, die älteste stammt aus dem Jahr 1890. Das führt zu einer unvergleichlichen Qualität – der Stoff der Shirts ist robust, weich, atmungsaktiv. Es führt kurzfristig auch zu langen Wartezeiten – über 12.000 Personen haben sich auf einer E-Mail-Liste eingetragen, wenn Carmys Shirt, das Modell 215, wieder verfügbar sein sollte.
Seit Monaten ist es ausverkauft, obwohl die 36 Maschinen in Albstadt mittlerweile 17 Stunden im Dreischichtbetrieb laufen. Aber diese traditionelle Art der Herstellung braucht eben Zeit. Die Produktion dauert ungefähr 20-mal länger als auf modernen Maschinen, erzählen Gitta und Peter Plotnicki. Das Berliner Design-Ehepaar hat über 20 Jahre als Freelancer im Modebereich gearbeitet, hat Kollektionen, Marken und Logos entwickelt, aber der Traum von etwas Eigenem war immer da. Dann entdeckten sie auf einem Flohmarkt zufällig ein 100 Jahre altes Henley-Shirt von Merz b. Schwanen. Sie waren sofort in das Stück verliebt. Nur: 2005 hatte die Firma den Betrieb eingestellt. Aber die Plotnickis sahen das riesige Potential. Sie belebten die Traditionsmarke mit großem Aufwand, viel Herzblut und dem Segen der Familie Merz 2011 wieder.
„Wollen die Leute wie ein Koch aussehen, oder wollen sie wie Jeremy Allen White aussehen?
Mitten im großen Fast-Fashion-Fieber der Zehnerjahre war es allerdings schwierig, Konsumenten zu vermitteln, warum ein weißes T-Shirt nicht 20 Euro, sondern 80 Euro kosten sollte. Ein Problem, das die Plotnickis seit „The Bear“ nicht mehr haben. Und auch schon vor dem T-Shirt in „The Bear“ legten Modebranche und Modeliebhaber immer mehr Wert auf Workwear: robuste, schlichte, bequeme und hochwertige Arbeitskleidung. Früher waren (Latz-)Hosen von Dickies (1922 für Erntehelfer gegründet) oder Carhartt (1889 für Eisenbahner gegründet) der Standard in Bereichen wie Dachdeckerei oder Landschaftsgärtnerei. Heute tragen sie Skater und Kunststudentinnen.
Oder eben Köchinnen und Köche. Dazu ein robustes, atmungsaktives T-Shirt, rutschfeste, bequeme Clogs, ein Schauspieler wie Jeremy Allen White, und fertig ist der nächste Social-Media-Modetrend: Chefcore.
„Wollen die Leute wie ein Koch aussehen, oder wollen sie vielleicht viel eher wie Jeremy Allen White aussehen?“, fragt sich Caleb Lin von Goodfight. Das Label aus Los Angeles hat schon 2019, drei Jahre vor „The Bear“, eine Kollektion veröffentlicht, die von Küchenpersonal inspiriert war. Zum Beispiel von Fotos von Köchinnen, die in ihrer Pause in der Gasse hinter dem Restaurant eine Zigarette rauchen. Daraus entstanden ist zum Beispiel eine Kochschürze, die auch zu einem Rock oder einer Umhängetasche umfunktioniert werden kann.
2020 kam das Sternerestaurant „Kato“, ebenfalls aus L.A., auf Caleb Lins Modelabel zu. Sie wollten für ihr Küchen- und Service-Team neue Uniformen und fragten an, ob Goodfight ihnen nicht etwas entwerfen könne. „Wir haben uns viele Gedanken über die Materialien und die Funktionsweisen der Kleidungsstücke gemacht“, erzählt Lin. Die Kochjacken haben zum Beispiel Druckknöpfe bekommen – damit man sie schneller ausziehen kann, wenn heißes Öl draufspritzt. Mit ihrem klaren Schnitt und dem für Goodfight typischen Doppelkragen sind die Uniformen von „Kato“ aber auch so auffällig, dass ständig Restaurantgäste wissen wollten, wo es diese Kleidungsstücke denn zu kaufen gäbe. Goodfight hat daraufhin eine limitierte Kollektion der „Kato“-Designs im Ladenlokal angeboten. Sie waren innerhalb von wenigen Stunden ausverkauft.
Ob Musikrichtungen wie Grunge oder Punk, Sportarten wie Basketball oder Skateboarden, Freizeitaktivitäten wie Wandern oder Pilzesammeln – das alles hatte schon seine mindestens 15 Minuten im Moderampenlicht. Dass aktuell die Küche dran ist, überrascht Caleb Lin gar nicht. Denn die beiden Branchen haben viel gemeinsam. „Egal ob man kocht oder ein Kleidungsstück entwirft und herstellt – es ist ein sehr ästhetisches Handwerk, mit dem man Menschen Freude machen will. Köche drücken ihre Ideen genauso aus wie Designer, nur eben mit Essen statt mit Stoffen.“
Ästhetisierung und mehr Sichtbarkeit für die Gastronomie
Und es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten: Das Personal in beiden Branchen ist in der Regel unterbezahlt und überarbeitet. Auch deshalb kann die Gastronomie eine Ästhetisierung und größere Sichtbarkeit via Chefcore gut gebrauchen. 2023 mussten in Deutschland 14.000 Restaurants, Cafés und Bars schließen. Die Prognosen für 2024 sind laut einer Studie der Wirtschaftsauskunft Creditreform noch schlechter. Und der Nachwuchs fehlt. In Hamburg gebe es mittlerweile Kopfgelder auf junge Köchinnen und Köche, beschwerte sich kürzlich Tim Mälzer.
Die Halbwertszeit von Trends wie Chefcore ist traditionell recht kurz. Drei Tiktoks weiter wartet schon das nächste XY-Core. Dazu kommt der übliche Reflex der Modebranche: Wenn sie sich in eine proletarische Subkultur verguckt hat, dauert es meist nicht lange, bis diese Berufsgruppe sich die von ihr inspirierten Kleidungsstücke nicht leisten kann. Die Arbeitsjacke, die Goodfight fürs Restaurant „Kato“ entworfen hat, kostet 388 Dollar. Rutschfeste Clogs gibt es von Dolce & Gabbana für 695 Euro.
Solange sich die Preise für die tatsächliche Arbeitskleidung dadurch nicht erhöhen, sollte das für Köchinnen und Köche aber kein Problem sein. Dass ihnen nun manchmal hippe Modeinteressierte auf der Straße entgegenkommen, die angezogen sind, als hätten sie gerade eine harte Schicht am Herd hinter sich, ist vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber daran gewöhnen sollte man sich schon mal. Denn so schnell wird der Workwear-Trend nicht verschwinden. Zu praktisch ist die Kleidung, zu bequem, zu funktional, zu leicht kombinierbar, zu unisex. Aber trotzdem ist es wichtig, sich an die Ursprünge des Trends zu erinnern und daran, wer erst bewiesen hat, wie wertig diese Mode ist. Ohne das hart arbeitende Restaurantpersonal gäbe es Chefcore nicht. Und auch nicht ohne Jeremy Allen White.