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Wie Herbert Kickl es nach oben schaffte | ABC-Z

Vor dem leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg, in dem der österreichische Bundespräsident seine Amtsräume hat, und dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz haben sich wieder einmal Demonstranten versammelt. Sie rufen Parolen wie „Nazis raus“ und „Van der Bellen, schmeiß ihn raus!“ Doch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat den Vorsitzenden der rechten Partei FPÖ nicht rausgeschmissen. Er hat ihn, wenn auch sozusagen händeringend, mit der Regierungsbildung beauftragt.

Er habe sich den Schritt nicht leicht gemacht. Aber der Respekt vor dem Wählervotum gebiete es, dass der Präsident Mehrheiten im Nationalrat achte. Und eine Mehrheit für Kickl ist nun absehbar, seit die ÖVP mit ihrem von Van der Bellen nachdrücklich geförderten Versuch gescheitert ist, eine Regierung an Kickl vorbei zu bilden. Nach dem Schwenk der Christdemokraten war derjenige des Bundespräsidenten unausweichlich.

Wer ist dieser Mann, den zuvor alle anderen Kräfte mit einer „Kickl-Verhinderungsstrategie“ (so Kickl selbst) vom Ballhausplatz fernhalten wollten? Und zwar auch die ÖVP. Sie hatte nicht wie die anderen eine Regierung mit der FPÖ absolut ausgeschlossen, sondern ihre Absage an die Person Kickls geknüpft. Das war einerseits logisch, schließlich regiert sie in fünf Bundesländern mit den Freiheitlichen. Andererseits war das verquer. Die derzeitige FPÖ ist Kickl.

Nachwirkungen seiner Zeit als Innenminister unter Kurz

Er hat sie aus dem Tief der Ibiza-Affäre geführt. Er hat sie in Umfragen auf die erste Stelle gebracht, er schwang sich – auch angesichts der Schwäche der Sozialdemokraten – zum eigentlichen Oppositionsführer gegen die türkis-grüne Regierung Nehammer auf. Und er schaffte es auch, die Führung auch in konkrete Wahlgewinne umzumünzen. Die FPÖ gewann die Europawahl im Mai, dann auch die Nationalratswahl am 29. September. Kickl von seiner Partei zu trennen, war angesichts dessen illusorisch. Auch wenn die ÖVP das versuchte. Etwa, wenn Stocker seiner Absage an Kickl hinzufügte, es gebe ja auch ein paar „vernünftige“ Leute bei den Freiheitlichen.

Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses zwischen der ÖVP und Kickl ist seine Zeit als Innenminister in der Regierung unter Sebastian Kurz (2017-19). Aus seiner Sicht, die er immer wieder einmal hat anklingen lassen, wurde ihm mit seiner Entlassung nach der Ibiza-Affäre 2019 der Dolch in den Rücken gestoßen. Mit der eigentlichen Affäre hatte er ja nichts zu tun: Sie war entstanden, weil Teile eines auf Ibiza gedrehten Videos mit skandalösen Äußerungen des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache an die Öffentlichkeit gespielt wurden. Kickl ließ Strache in jenen Stunden im Mai blitzschnell fallen. Doch auch nach dem Rücktritt Straches war die ÖVP nicht zur Fortsetzung der Regierung bereit. Nach FPÖ-Darstellung: Entgegen den Absprachen.

Kurz erklärte damals, die Aufklärung der Affäre könne nicht neutral gewährleistet werden, wenn das Innenministerium von einem Politiker geführt werde, dessen Partei darin verwickelt sei – und, wer weiß, vielleicht auch er selbst. Der damalige Bundeskanzler ging zum Bundespräsidenten mit dem Antrag, den Innenminister zu entlassen. Van der Bellen, schon damals Staatsoberhaupt, entsprach dem Ansuchen. In der österreichischen Verfassung ist dieser Vorgang vorgesehen. Vorgekommen war er bis dahin noch nie. Der Stachel sitzt tief bei Kickl.

Kickl, der verschlossene Einzelgänger

Die ÖVP spürt ihrerseits auch einen Stachel, mit dem wiederum Kickl sie empfindlich getroffen hat. Und zwar schon kurz nach Beginn der gemeinsamen Regierungszeit. Da wurde aus dem Büro des damaligen Innenministers eine Hausdurchsuchung im Verfassungsschutzamt orchestriert, die später als rechtswidrig verurteilt wurde. Was das mit der ÖVP zu tun hat? Das Innenministerium ist seit den Neunzigerjahren – bis dahin „rot“ geführt – in der Hand christdemokratischer Politiker gewesen, die zudem aus der ÖVP-Machtbastion Niederösterreich stammten.

Sie haben das Haus nachhaltig geprägt – Kritiker sagen: schwarz umgefärbt. Das wurde auch dem Verfassungsschutz nachgesagt. Was genau Kickls Leute mit dem Schlag bezweckten, der das Amt und damit auch Österreichs internationale Nachrichtendienstkontakte schwer beschädigte, ist trotz eines U-Ausschusses und eines Abrechnungsbuchs des damals betroffenen Verfassungsschutzchefs Peter Gridling nicht ganz klar. Vielleicht war es ein Bündel an Motiven, womöglich wollte man auch an Informationen zur Beobachtung der rechtsradikalen Szene kommen. Jedenfalls wurde der als ÖVP-nah geltende Beamte Peter Gridling geschasst – musste aber, weil die Gründe rechtswidrig waren, später wieder eingesetzt werden. Jedenfalls wurde Kickls Angriff auf den Verfassungsschutz, und auch seine Personalmaßnahmen im Ministerium, von der ÖVP auch als Angriff auf sich selbst wahrgenommen.

Kickl, vor 56 Jahren in Villach geboren, entstammt einer Kärntner Arbeiterfamilie. Unter FPÖ-Honoratioren und Funktionären, die eher in deutschnationalen Burschenschaften sozialisiert wurden, war er lange Zeit eher ein Außenseiter. In einem kritischen Porträtbuch von Gernot Bauer und Robert Treichler, das in zwei Details Recherchefehler enthält, aber insgesamt ein schlüssiges Bild zeichnet, wird Kickl als misstrauischer, verschlossener Einzelgänger geschildert. Als Student der Philosophie – der das Studium nie abschließen sollte – dockte er zu Zeiten des Charismatikers Haider bei der FPÖ an. Haider war damals Landeshauptmann in Kärnten. Kickl arbeitete sich hoch vom Laufburschen zum engen Mitarbeiter, der schließlich Haiders Kampagnen organisierte und nicht zuletzt für ihn provokante Sprüche drechselte.

Führte Straches Russland-Orientierung fort

Haider verließ die FPÖ als Trümmerhaufen, den Strache wieder aufbaute. Auch ihm diente Kickl loyal. Obwohl er selbst gespürt haben musste, dass er dem Vorsitzenden rhetorisch weit überlegen war. Zu spüren war das an Parteitagen, etwa 2013 in Klagenfurt, als Strache hölzern vor sich hin schrie, was ihm jemand (wahrscheinlich Kickl) aufgeschrieben hatte, während der damalige Generalsekretär Kickl den Saal hinauf- und hinuntermoderierte, mal zum Toben und mal zum andächtigen Schweigen brachte.

Nach 2019 war es dann Kickl selbst, der die Trümmer aufräumte. Zunächst machte er Straches Nachfolger Norbert Hofer durch Sticheleien und Eigenmächtigkeiten mürbe, dann übernahm er selbst. Rhetorisch legte er sich keine Zügel mehr an. Die Maßnahmen gegen die Pandemie – nach einem kurzen Ausflug, auf dem er sie als zu lasch kritisierte – lehnte er rundweg ab und machte sie verächtlich. Politiker der Regierung schrieb er rhetorisch auf „Fahndungslisten“. Die zu Straches Regierungszeiten geltende Distanzierung zu den teils extremistischen Identitären ließ er beenden. Schon 2016 hatte er sie auf einer Veranstaltung der „Verteidiger Europas“ in Linz als Gleichgesinnte begrüßt.

Ein anderer kritischer Punkt ist die außenpolitische Orientierung der FPÖ-Politik an Russland. Strache, der damit begonnen hatte, ist zwar Geschichte. Doch auch Kickl machte rhetorisch gegen die Unterstützung der Ukraine mobil. Er ließ eine übertragene Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Parlament boykottieren. Und dann ist da noch eine unaufgeklärte Affäre um eine Agentur namens „Ideenschmiede“, die zumindest früher Kickl gehörte und von öffentlichen Aufträgen profitierte. Die ÖVP hat Kickl wegen eines Auftritts im Untersuchungsausschuss unter anderem hierzu sogar wegen Falschaussage angezeigt. Von Kurz hat die FPÖ wegen solcher Vorwürfe einst den Rücktritt verlangt.

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