Wie Helsinki ein Jahr ohne Verkehrstote gelungen ist | ABC-Z

In Helsinkis Stadtteil Kontula ereignete sich Anfang Juli 2024 ein schwerer Verkehrsunfall. Es war der letzte, bei dem ein Mensch zu Tode kam. Seit mehr als einem Jahr liegt die Zahl der Verkehrstoten in der finnischen Hauptstadt bei null. Zwar ist Helsinki nicht die erste Stadt, die es geschafft hat, ein Jahr lang keine Verkehrstoten zu verzeichnen. Mit 660.000 Einwohnern ist die finnische Hauptstadt aber bisher eine der größten Städte, der das gelungen ist. Wie ist das möglich?
Nach Ansicht des Umweltamtes in Helsinki gibt es dafür eine Reihe von Gründen: verbesserte Rad- und Fußgängerwege, eine intensivere Zusammenarbeit von Umweltamt und Verkehrspolizei sowie mehr Verkehrskameras. Das sagte der zuständige Verkehrsingenieur Roni Utriainen dem öffentlich-rechtlichen Sender Yle vergangene Woche. Eins hob er dabei allerdings besonders hervor: das Tempolimit von 30 Stundenkilometern. Das gilt in Helsinki zwar nicht flächendeckend. Anders als noch in den Achtzigerjahren, als auf vielen Straßen noch 50 Stundenkilometer erlaubt gewesen seien, gelte Tempo 30 nun aber zumindest auf gut der Hälfte aller Straßen, so Utriainen .
Auch deutsche Städte hatten Jahre ohne Verkehrstote
Damit ist Helsinki in Europa nicht allein: Unter anderem Paris und Brüssel haben ihre innerstädtische Geschwindigkeitsbegrenzung weitgehend auf 30 Stundenkilometer herabgesenkt, in spanischen Städten gilt seit vier Jahren Tempo 30 auf allen zweispurigen Straßen. Neben positiven Effekten für Klima und Anwohner ist damit die Hoffnung verbunden, die Zahl der Verkehrstoten langfristig zu senken – eine Zielvorgabe, die sich seit einigen Jahren unter „Vision Zero“ in Europa etabliert hat.
Wie gut die Umsetzung dieser Vision gelingt, zeigt seit 2014 eine interaktive Karte der Prüfgesellschaft Dekra. Sie veranschaulicht, welche Städte in insgesamt 29 Ländern mindestens ein Jahr lang keine Verkehrstoten zu verzeichnen hatten. Eine Stadt mit mehr als 310.000 Einwohnern ist nicht dabei. Kleineren Städten jedoch, darunter auch Aachen, Gelsenkirchen und Freiburg, ist es in der Vergangenheit bereits gelungen, ein Jahr ohne tödliche Verkehrsunfälle zu erreichen.
Auch politisch ist die „Vision Zero“ in Deutschland verankert. Mittelfristig soll die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 um 40 Prozent reduziert werden, wie das Bundesverkehrsministerium in seinem aktuellen Verkehrssicherheitsprogramm festlegt. Im vergangenen Jahr gab es 2770 Verkehrstote in Deutschland. Eine flächendeckende Herabsenkung des Tempolimits in Städten wurde in der Vergangenheit zwar immer wieder diskutiert, umgesetzt wurde sie bislang jedoch nicht.
„Am Ende geht es vielleicht weniger um die Frage: Tempo 30 – ja oder nein?“
Allerdings verabschiedeten Bundestag und Bundesrat im Herbst 2024 eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes, die Städten und Gemeinden mehr Spielraum bei der Einführung von Tempo-30-Strecken gibt. So können sie die Geschwindigkeit nicht nur wie bislang im unmittelbaren Umfeld von Schulen, Kitas oder Krankenhäusern auf 30 Stundenkilometer begrenzen, sondern auch in der Nähe von Spielplätzen oder auf viel befahrenen Schulwegen. Zudem wurden die Hürden gesenkt, um Tempo-30-Zonen miteinander zu verbinden. Durften sie für einen sogenannten Lückenschluss vorher höchstens 300 Meter auseinandergelegen haben, können es seit der Gesetzesänderung bis zu 500 Meter sein.
„Das war ein wichtiger Schritt“, sagt Stefan Grieger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), der sich für mehr Sicherheit im Straßenverkehr einsetzt. Laut Grieger ist nun aber wichtig, dass die neuen rechtlichen Spielräume auch konsequent genutzt werden: „Gerade dort, wo viele Menschen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder Pedelec unterwegs sind, schafft eine geringere Geschwindigkeit nachweislich mehr Sicherheit.“
Lokal begrenzte Tempo-30-Zonen reichen aus Sicht des DVR jedoch langfristig nicht, um die „Vision Zero“ zu erreichen. Verkehrsanlagen müssten saniert, die Sicherheit an Kreuzungen, Einmündungen und Kreisverkehren erhöht – und Alkohol am Steuer gänzlich verboten werden.
Ob eine flächendeckende Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer helfen könnte, ist für Grieger dabei aktuell zweitrangig. Einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch zu Tempo 30 befürwortet der DVR für Deutschland zwar durchaus. „Am Ende geht es vielleicht weniger um die Frage: Tempo 30 – ja oder nein?“, sagt Grieger. Priorisiert werden solle zunächst die konsequente Anwendung und Überwachung von Tempo 30 dort, wo es notwendig sei. Wenn in Städten kein flächendeckendes Tempo-30-Limit gelte, müsse im Gegenzug in andere wirksame Maßnahmen investiert werden: „Vor allem in sichere Infrastruktur“.