Wie findet man seinen eigenen Stil? | ABC-Z

In einem Newsletter ließ die französische Fashion-Bloggerin und Designerin Justine Leconte kürzlich wissen, sie habe den Eindruck, dass gerade besonders viele Menschen nach dem eigenen Stil suchen. Sie überlege deshalb, einen Kurs zum Thema anzubieten, sei sich jedoch nicht restlos sicher. Falls die Empfänger der Mail ihren Eindruck teilten, schrieb sie, so wäre sie für eine Bestätigung dankbar.
Tja, schwierig, das mit dem eigenen Stil. Interessant ist der Hinweis aber schon. Wobei ich skeptisch bin, was die Begründung angeht: dass es nämlich an der Fast Fashion liege, wenn Menschen in diesen Tagen intensiv nach ihrer persönlichen modischen Handschrift fahnden. Es gäbe da aktuell dramatischere Anlässe.
Aus der Überforderung ist eine existenzielle Verunsicherung geworden, in der das kleine Wörtchen „Stil“ mehr meint als die Frage, worin man garantiert den besten Auftritt hat. Der eigene Stil verspricht Halt. Zu finden, was zu einem passt, und sich darin frei und sicher zu fühlen. Umgangssprachlich formuliert klingt es eigentlich ganz einfach. Doch leider: Pusteblume!
Stil, ein kleines, begriffsgeschichtlich reiches und für jeden Wunsch nach Eindeutigkeit gefährliches Wort. Gemeint sein können eine moralische Haltung oder die Eleganz einer Rede. Eine wiedererkennbare, unterscheidbare Art und Weise zu bauen, zu malen. Oder sich einen Hut aufzusetzen. Restlos begründen lässt Stil sich nie. Warum genau erkennen wir ein Gemälde van Goghs so schnell wieder? Noch die detailreichste Antwort bleibt zum Schluss ein wenig geheimnisvoll und vage. Da ist etwas, das sich nicht fassen lässt. Auch in der Mode. Auf bestimmte Kleidungsstücke zu zeigen genügt nicht. Es ist höchstens ein Anfang.
„Sagen Sie kurz, was Sie heute tragen und warum Sie es ausgewählt haben?“ So beginnt jede Folge der Gesprächsreihe „Fashion Neurosis“ der englischen Designerin Bella Freud. Angelehnt an die „Kur“ ihres Urgroßvaters Sigmund Freud liegt der Stil-Patient auf einem Sofa und soll in den Fluss seiner Erinnerungen tauchen. In meiner bisher liebsten Folge heißt die Patientin Kate Moss.
Wie toll wäre das, alles auszuprobieren
Sie trägt ein „altes“ schwarzes Minikleid von Yves Saint Laurent, dazu High Heels mit Fesselriemchen von Vivienne Westwood. Beides hat eine Verbindung zu ihrer Freundschaft mit Bella Freud, die nach offiziellen Angaben begann, als Freud noch Assistentin bei Westwood war. Ich mache mir Sorgen um das Sofa. Der Schuhe wegen. Mein Gott, bin ich spießig, denke ich vor dem Bildschirm. Währenddessen tauschen Moss und Freud Erinnerungen an ihre ersten Stöckelschuhe aus, besprechen einen Abend, an dem das Supermodel die anwesenden Freunde aus dem Fundus ihres Kleiderschranks mit neuen Looks versorgte. Es sei ihr Liebstes, sich für andere Menschen Looks auszudenken, sagt Moss. Der Satz klingt wunderbar warm und unkompliziert. Als hätte sie für jeden einen guten Tipp. Noch vor der engsten und stickigsten Kaufhausgarderobe könnte man sie fragen, ob dieses billige Imitat einer Chanel-Jacke okay aussieht oder eher nicht. Eine ideale Stilberatung! Alles ausprobieren und dabei auf jemanden zählen dürfen, der sich die Mühe macht, tatsächlich hinzusehen.
Meine Kate Moss war ein Psychologiestudent. Ein Nachbar in Hamburger Zeiten, den ich eines Tages auf dem Weg zur Therapiestunde traf. Es ging mir schlechter, als ich es wahrhaben wollte, denn wer, bitte schön, kennt sie nicht, die Angst? Dabei hätte mich mein radikal schwindendes Interesse an Mode stutzig machen müssen. Geradezu einen Sport machte ich daraus, mich „zu reduzieren“. Stellen Sie sich ein in der Waschmaschine orange gefärbtes Sweatshirt aus dem Bereich Arbeitsbekleidung vor, dazu einen zerknitterten Trenchcoat mit einem lila-bläulichen Tintenfleck am Kragen.

Der Nachbar stieg vom Rad, wir redeten kurz, und nach einer Weile fragte er mich in einem besorgt-liebenswürdigen Tonfall, ob ich mir nicht mal was Neues zum Anziehen kaufen wolle. Ich schüttelte stumm den Kopf, antwortete, dass mir das nicht so wichtig sei. Es sollte bescheiden klingen, in Wahrheit war es schrecklich eitel.
Meine Ausstrahlung wäre Stil genug und sowieso stärker als ein paar Klamotten, dachte ich. Diese Art von Unsinn. Wenn ich heute jemanden sagen höre, wie oberflächlich Mode, wie tiefgründig hingegen seine Seele sei, gruselt es mich. Die Erinnerung an die eigene Verzweiflung steigt auf, das Gefühl, dass sich jemand gewaltig überschätzt und der Wirklichkeit verweigert.
Die Mode ist ein scharfes Schwert
Einen persönlichen Stil finden. Das hat immer mit dem Mut zu tun, sich direkt und ohne Filter anzuschauen und nicht bloß an einem Bild zu basteln, in das man irgendwie hineinpassen will. Die Mode ist ein scharfes Schwert. Wenn man nicht gut auf sich aufpasst, verletzt man sich. Was nicht schlimm sein muss, doch irgendwann im Leben hat man von den eigenen Stilbrüchen genug.
Ich muss den Lingerie-Look des Frühlings 2025 nicht ausprobieren, und ich darf aus Erfahrung darauf vertrauen, dass mich Blusen mit Schößchen und andere Niedlichkeiten (Peplum Style) sofort über den Rand der Lächerlichkeit schubsen. Von hautengen Ballett-Trikots will ich hier besser schweigen.

Möglicherweise nähert man sich dem eigenen Stil am besten an, wenn man drei Dinge beachtet: erstens, nett zu sich sein. Zweitens, sich nicht zu wichtig nehmen. Und drittens, nie vergessen, dass Stil immer ein Gegenüber voraussetzt. Karl Lagerfelds berühmtes und oft als Herablassung missverstandenes Jogginghosen-Urteil zielte meiner Meinung nach auf diesen Punkt. Wer eine Jogginghose trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren: Ich denke, dass es in diesem Satz um Einsamkeit geht, und um den Stil als Möglichkeit, ihr zu widerstehen. Noch in einer Berghütte, ganz allein, ist es nicht egal, wie ich mich benehme. Und seien es nur meine eigene Kaffeetasse oder das Foto einer geliebten Person, an denen ich vorbeilaufe, ich könnte Rücksicht auf uns nehmen.
Meine Mitbewohnerin aus Studienzeiten beispielsweise machte, was ihre makellosen Tischmanieren anging, nie einen Unterschied, ob sie morgens um halb sechs vor Dienstbeginn im Altenheim allein am Frühstückstisch saß oder mit Freunden bei selbst gebackenen englischen Scones und Tee über Liebesdinge oder ihre walisische Geschichte sprach. Ihre Umgangsformen machten die Dinge schöner, einfacher. Es ging nicht darum, die Anderen zu belehren oder gar zu beschämen, sondern, so jedenfalls mein über Jahre gewachsener Eindruck, um eine tiefe Freundlichkeit dem Leben gegenüber. Stil hat man oder nicht. So lautet eine Definition von Stil, die mit Geld und Status nichts zu tun hat.
Wenn alle Dinge im Leben Geschichte haben
Was die Mode betrifft, behauptet die 62 Jahre alte französische Modeexpertin Sophie Fontanel übrigens schon seit Jahrzehnten Ähnliches. In ihrem Beitrag zu einer Video-Rubrik der „Vogue“ („Une fille, un style“) führte sie vor einiger Zeit durch ihr Pariser Ein-Raum-Appartement. Alles darin hat eine Geschichte. Die Tischdecke vom Wochenmarkt eines Fischerdorfes, die fast nichts gekostet hat. Ein geblümtes, namenloses Seidenjackett aus den Siebzigerjahren, von Fontanel als „mein derzeit wertvollstes Kleidungsstück“ präsentiert. Mit ihrer Mutter sei sie früher in die Pariser Boutique von Issey Miyake gegangen, um die bewunderte, unerschwingliche Mode heimlich auszumessen und zu Hause in ungezählten Stunden nachzunähen. Sie glaube nicht an einen festen Stil. Im Leben wie der Mode verändern sich die Dinge unablässig.
Dieses Gefühl für Lebendigkeit kann verloren gehen. In Zeiten der Angst, der Bedrohung. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Das Gefühl kann wiederkommen – angelockt durch die Hilfe eines Nachbarn. Über Wochen bahnte sich seine Frage ihren Weg. Bis sie mich schließlich fand. Ich ging zum Friseur. Danach kaufte ich mir einen Fake-Fur-Leopardenmantel. Er hing im Schaufenster eines kleinen Geschäftes, in dem ältere Damen Twinsets und Faltenröcke kaufen. Draußen regnete es. Eine halbe Stunde vor Ladenschluss war ich mit der Verkäuferin allein. Irgendetwas in ihrem freundlichen Gesicht ermutigte mich, das Risiko einzugehen. Dieser Mantel war doch gar nicht mein Stil. Dachte ich.