Wie falsche Handwerker im Landkreis Ebersberg nach ihren Opfern suchen – Ebersberg | ABC-Z

In Hemd und Stoffhose und mit einer kleinen Aktentasche in der Hand klingelt der Mann in einer ruhigen Markt Schwabener Wohngegend an der Haustür. Er sei Dachdecker-Meister, habe zufällig in der Nähe zu tun. „Beim Vorbeigehen ist mir Ihr Giebel aufgefallen“, berichtet er mit schwäbischem Akzent und hilfsbereitem Blick. „Der sieht nicht mehr so gut aus.“ Für eine Pauschale von 50 Euro bietet der Mann einen genaueren Blick auf das Dach an – das könnten Kollegen am nächsten Tag erledigen. Der 82-Jährige, der gerade die Tür geöffnet hat, willigt ein. Gebaut hatte der Markt Schwabener das Haus in den Siebzigerjahren. Das Dach, klar, ist nicht mehr das Neueste nach einem halben Jahrhundert in Wind und Wetter.
Am nächsten Tag kommen wie vereinbart zwei Dachdecker in Arbeitsmontur vorbei und steigen aufs Dach. Von unten hört der Eigentümer, wie die Männer oben Schindeln hochheben und auf Holz klopfen. Nach ein paar Minuten kommen sie runter, die Blicke nun sorgenvoller. „Da schimmelt es schon, schauen Sie!“ In der Hand hält einer der Männer ein Tablet und wischt ein paar Fotos hin und her, angeblich gerade gemacht von den Dachschindeln und -balken. „Das hält nicht mehr lange.“
Dann holt er schon einen einseitigen Bauvertragsvordruck heraus, setzt Kreuzchen zum Beispiel bei „Gerüst“, „Schüttcontainer“ und „Dachfläche eindecken“. Macht einen Gesamtpreis von 9000 Euro – Festpreis und vermeintlicher Rabatt inklusive. 7563,03 Euro „netto“ plus 1436,97 Euro Umsatzsteuer. Aber die Zeit drängt. „Wir müssen so schnell wie möglich anfangen und das Gerüst aufbauen. Sonst bringen wir das vor dem Herbst nicht mehr unter.“ Der Senior unterschreibt.
So erzählt die Tochter des Ehepaars die Geschichte. „Dass mein Vater so zwischen Haustüre und Küchentisch mal schnell einen Vertrag über 9000 Euro unterschreibt, das passt zu ihm eigentlich gar nicht.“ Genauso wenig, dass er keine Angebote vergleiche und keine Nachfragen stelle und vor allem wildfremde Handwerker beauftrage, die er nicht kenne. Auch gegenüber der Tochter will er nicht so recht mit der Sprache raus. Ihr Eindruck: „Er wollte die Sache am liebsten bei sich bewenden lassen, die Rechnung eben notgedrungen bezahlen. Auch wenn ihm inzwischen klar ist, dass die Sache nicht ‚sauber‘ ist.“
Womöglich hat die Firma aus Leonberg bei Stuttgart genau darauf spekuliert. „Sie bringen ihre Opfer gezielt in unangenehme Lagen, damit sie schnell bezahlen und nicht groß darüber reden“, sagt Simone Bueb, Referentin für Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Bayern in München. Sie rät: „Sich an der Türe gar nicht erst in ein Gespräch verwickeln lassen, ganz gleich, wie charmant jemand ist oder wie seriös jemand wirkt.“ Beides sei Teil der „Masche“.
Ein guter Handwerker hat seine Auftragsbücher voll
Die Tochter aus Markt Schwaben ruft zuerst beim Anzinger Dachdecker Sascha Mutz an. Ob er sich das mal anschauen könne? Mutz kommt zu einem anderen Schluss als der vermeintliche Experte aus Leonberg. „Da oben war alles in Ordnung. Von wegen, es regnet gleich rein!“ Interessant ist der Satz, den Mutz im SZ-Gespräch nachschiebt: „Für mich war das der vierte oder fünfte Fall dieser Sorte – hier in der Gegend und innerhalb von ein paar Monaten.“ Simone Bueb von der Verbraucherzentrale berichtet von ähnlichen Erfahrungen. „Wir hatten bei uns im Landkreis München einige Dachhai-Fälle im vergangenen Jahr. Wenn die mit einer Gegend ‚fertig‘ sind, ziehen sie weiter. So was spricht sich ja irgendwann herum.“ Es komme vor, dass das Dach nach der „Reparatur“ kaputter sei als vorher, sagt Mutz.
Die Tochter jedenfalls setzt dem Vater nach Mutz’ Check einen Dreizeiler auf. Widerruf seiner Unterschrift unter dem Vertrag. Betretungsverbot des Grundstücks. Dann schickt sie den Brief per Rückschein-Einschreiben nach Leonberg. „Das hat die Tochter ganz genau richtig gemacht“, sagt Rechtsanwältin Bueb. „Man darf sich da einfach nicht unterkriegen lassen. Übrigens auch nicht von einem etwaigen Verzicht aufs Widerrufsrecht, das oft mit im Vertrag steht.“ Der sei in den allermeisten Fällen fehlerhaft formuliert und deshalb unwirksam. Wahrscheinlich weiß das auch die Firma aus Leonberg. Melden wird sie sich bei den Markt Schwabener Senioren nie wieder.
Noch etwas sollten potenzielle Kunden von Türgeschäften laut Alexander Tauscher, Pressesprecher bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern, im Hinterkopf haben: „Ein guter Handwerker hat gerade bei uns in der Gegend volle Bestellbücher. Der ist überhaupt nicht darauf angewiesen, von Tür zu Tür zu ziehen.“ Im Gegenteil: „Der schaut sich eine Dachsanierung allein schon deshalb ganz genau an, um den Auftrag anständig kalkulieren zu können.“ Ein vermeintlich günstiger Festpreis sei in Wirklichkeit keiner. „Das machen die nur, damit die Kunden das Angebot nicht mit anderen Angeboten vergleichen können.“ Tauscher rät zudem, die Polizei einzuschalten. „Jemandem eine Reparatur verkaufen, obwohl wissentlich kein Schaden besteht, ist Betrug.“