Wie es in Frankreich nach der Abwahl Bayrous weitergeht | ABC-Z

An Ideen mangelt es nicht, wie Frankreich nach dem Sturz von Premierminister Francois Bayrou regiert werden kann. Der 74 Jahre alte Christdemokrat will an diesem Dienstagmorgen offiziell den Rücktritt seiner Regierung einreichen. Vor dem Gang in den Elysée-Palast zu Präsident Emmanuel Macron versicherte er, dass er die Zusammenarbeit mit den Ministern in den vergangenen neun Monaten als „tiefes Glück“ empfunden habe. Damit wollte er offensichtlich das Versäumnis vergessen machen, dass er in seiner Rede in der Nationalversammlung vor der Vertrauensabstimmung die Minister nicht eines Wortes gewürdigt hatte.
In der anschließenden Aussprache preschte Gabriel Attal, der Chef von Macrons Partei Renaissance, mit dem Vorschlag vor, einen parteilosen Chefunterhändler in das höchste Regierungsamt zu berufen. Nach den gescheiterten Versuchen mit den Politveteranen Michel Barnier und Bayrou, beide 74 Jahre alt und aus dem Mitte-rechts-Lager, sei es Zeit für einen Vermittler, der selbstlos Kompromisse schmiede. Ein parlamentarisches Mandat ist keine Voraussetzung. Unter den renommierten Regierungschefs sind einige, die wie der selbsterklärte Präsidentenanwärter Dominique de Villepin noch nie in die Nationalversammlung gewählt wurden.
Mehrheit in der Mitte suchen
Um Frankreich aus der Krise zu führen, schwebt Attal ein gewiefter Mediator vor, der mit den wichtigsten Parteien unter Ausschluss der Rechtspopulisten und der Linkspartei LFI einen „Mindestsockel“ für den Haushalt 2026 ausarbeitet. Ziel sei es, mit den Abgeordneten von Macrons Lager (161 Abgeordnete), den Republikanern (49 Abgeordnete), den Sozialisten (66 Abgeordnete) und den Grünen (38 Abgeordnete) einen Kompromiss über die Haushaltsplanung auszuarbeiten. Sollte dem Chefunterhändler dies gelingen, könnte er aufbauend auf dem Kompromiss eine Regierung leiten.
Attal mahnte, Präsident Macron müsse dazu bereit sein, seine Macht zu teilen. Bislang waren Macrons Nominierungen immer von der Sorge geleitet, die wichtigsten Errungenschaften seiner Amtszeit wie die Lockerung des Arbeitsmarktes, die Entlastung von Besserverdienenden und Unternehmen sowie die Rentenreform nicht zu gefährden. Den Vorstoß Attals unterstützte auch der Abgeordnete Philippe Bonnecarrère, der für die liberale Fraktion Liot das Wort in der Nationalversammlung ergriff. Der Präsident solle „einen Wegbereiter“ ernennen, forderte er. Die Franzosen hätten es satt, wie die Parteien sich gegenseitig blockierten.
Bei den Grünen hingegen ist man der Meinung, dass Macron jetzt einen Premierminister aus den Reihen des linken Wahlbündnisses ernennen müsse. „Ein Jahr nach den Parlamentswahlen ist es höchste Zeit, das Votum der Franzosen zu respektieren“, äußerte die grüne Parteichefin Marine Tondelier. Auch einige Sozialisten hegen die Hoffnung, ihr Parteichef Olivier Faure könnte nominiert werden. Als dieser zu letzten Verhandlungen mit Bayrou in dessen Amtssitz eingeladen wurde, soll er die Räumlichkeiten schon inspiziert haben. Aber die Republikaner haben angekündigt, dass sie einen linken Regierungschef nicht mittragen würden. LR-Chef Bruno Retailleau sagte, zum Wohl des Landes sei seine Partei zu Zugeständnissen bereit, aber nicht dazu, einen linken Regierungschef zu tolerieren.
Wer könnte Bayrou nachfolgen?
Die französische Presse wettet darauf, dass Macron einen besonders treuen Parteifreund wie Verteidigungsminister Sébastien Lecornu ernennen könnte. Der 39 Jahre alte Politiker begleitet Macron seit 2017 und hat alle Regierungswechsel überstanden. Er war schon mehrmals im Gespräch. In Stellung bringt sich auch Justizminister Gérald Darmanin, der wie Lecornu von den Republikanern zu Macrons Partei kam. Darmanin hat zuletzt besonders auffällig die Sozialisten umworben.
Auch der nur noch geschäftsführenden Arbeits- und Sozialministerin Catherine Vautrin werden Chancen nachgesagt. Sie war bereits im Gespräch, bevor sich Macron dann doch für Elisabeth Borne entschied, weil Vautrin sich seinerzeit kritisch über die Homo-Ehe geäußert hatte. Wieder die Runde macht auch der Name Xavier Bertrand, ein abtrünniger Republikaner, der in Nordfrankreich einen Sieg über Marine Le Pen errungen hat.
Le Pen forderte indessen, dass Macron Neuwahlen ansetzt. Den Sturz Bayrous bezeichnete sie als „Ende der Leidenszeit einer Scheinregierung“. „Unser Land wird nicht regiert“, sagte sie. 75 Prozent der Franzosen hätten sich den Sturz der Regierung gewünscht. Die politische Pattsituation könne aber nur über Wahlen gelöst werden.