Stil

Wie die Olympischen Spiele die Mode beeinflussen | ABC-Z

Auf Maria Grazia Chiuri ist Verlass. Aktuelles landet häufig auf ihrem Dior-Laufsteg. So war es 2016 zum Debüt, bevor Donald Trump ins Weiße Haus gewählt wurde: „We Should All Be Feminists“ auf dem T-Shirt. Als die Biographie und die Apple-TV-Serie über Catherine Dior erschienen, beschäftigte Maria Grazia Chiuri sich mit Christian Diors jüngerer Schwester.

Jetzt steht Paris vor Olympia – und Chiuri schickt Kleider im Stil des Peplos, des drapierten Gewands der Antike, über den Laufsteg. Wasserfallkragen, Plissees, Raffungen, auch das kann Couture sein. Oder das: Shorts und Tanktops, aufwendig besetzt mit Kristallen, aber so sportlich geschnitten, als könnte Simone Biles darin beim Turnen antreten.

Nach der Schau kniet Chiuri mit den Models Backstage fürs Foto. Die Aufstellung ist bezeichnend, weil diese Couturekleider für Zehntausende Euro, in Hunderten von Arbeitsstunden gefertigt, auch körperliche Verrenkungen erlauben. „Bracelet, bracelet“, ruft am Backstage-Eingang die Security und zögert, das Team um Jennifer Lopez einfach so, ohne Bändchen am Handgelenk, vorzulassen.

Thom Browne überzeugt nicht

Blockaden sind das Sommerschicksal dieser Stadt, wegen Olympia. An einigen Ecken braucht es schon Passierscheine. Der Internetempfang um die Place de la Concorde ist gedrosselt. Dort werden die Ränge schon bestuhlt, für Baseball und Breaking. In der U-Bahn reparieren Monteure die letzten defekten Rolltreppen. ­Paris steht ein heißer Sommer bevor, auch wegen der Neu­wahlen am Sonntag und Anfang Juli.

Experimentell: BalenciagaBalenciaga

Zur Lage der Politik fallen selten Kommentare in der Mode, man kann drei Tage von Schau zu Schau tingeln und fast vergessen, was in diesem Land los ist. Olympia ist umso präsenter. Es kann gut gehen, wie bei Dior. Es kann schiefgehen, wie bei Thom Browne, der eine Kollektion aus Musselin fertigt. Mit dem Stoff werden Entwürfe in der Couture eigentlich nur getestet. Die dekonstruierten Tenniskleider und Trompe-l’Œil-Badehosen wirken schlicht unsportlich.

Chanel wiederum hat einen unüblich strengen Zeitnehmer: Um drei Minuten nach zehn Uhr schließen sich die Türen. Wer noch draußen an der Opéra Garnier steht, verpasst die Schau. Seit 1982 ist es die erste „collection de studio“, eine Kollektion ohne Kreativdirektor. Damals füllte Karl Lagerfeld die Lücke, die Coco Chanel 1971 hinterlassen hatte. Auf ihn folgte 2019 Virginie Viard, die das Haus Anfang Juni verließ und für diese Kollektion nicht mehr verantwortlich ist. Man sieht es: Rüschen, Schößchen, Schleifen sind für Pariser Verhältnisse arg überdekoriert. Und es zeigt, was Chanel an Viard hatte, deren Job, der begehrteste in der Mode, nun vakant ist. So wie in Deutschland zur EM, wenn jeder ein bisschen Bundestrainer ist, weiß hier jeder, wer Chanel machen kann.
Künstlerisch: Charles de VilmorinAFP

Die personellen Ressourcen sind in der Luxusmode begrenzt. Junge Couturiers, die von der Modekammer anerkannt sind, wie Iris van Herpen und Charles de Vilmorin, die zwischen Kunst und Mode arbeiten und die hohe Schneiderkunst vorantreiben, gibt es nicht häufig. Aber auch die „petites mains“, die Couture-Näherinnen, sind seltene Fachkräfte mit außerordentlichen Fähigkeiten. Giorgio Armani, der in den Achtzigern Mailand zur Modestadt machte, veranstaltet seine besten Schauen heute ironischerweise in Paris.

„Niemand braucht die Couture“

Die Handwerker werden ebenfalls nicht jünger. Der Luxuskonzern LVMH hat deswegen 2015 eine neue Marke initiiert, mit mittlerweile 4000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 700 Millionen Euro: ­Métiers d’Art macht dabei nicht etwa selbst Mode, sondern versammelt Handwerksbetriebe, die von fünf Kontinenten aus die Basismaterialien für all die Luxushäuser bereitstellen, Metall, Textilien, Leder.

Auch so zeigt sich heute Marktmacht – die Konkurrenz ist herzlich eingeladen, bei Métiers d’Art einzukaufen und die Gruppe noch wertvoller zu machen. „Die Lederindustrie zum Beispiel hat sich seit 300 Jahren nicht verändert“, sagt Matteo De Rosa, Chef von Métiers d’Art, am brandneuen Firmensitz im ehemaligen Textilviertel Sentier. „Mit unserer Hilfe lässt sich vieles vereinfachen.“ Es ist damit vor allem eine Absicherung der eigenen Zukunft, denn LVMH wird in 30 Jahren noch Ledertaschen verkaufen wollen.

Dekoriert: ChanelAP

Demna, Kreativdirektor von Balenciaga, fand schon heute keinen Gazar-Stoff mehr wie den, der 1958 für Cristóbal Balenciaga entwickelt wurde. Das Team tat eine alte Gazar-Maschine auf. „Aber dann fanden wir niemanden, der sie bedienen konnte“, sagt Demna. Er fordert die Couture heraus. Am Mittwochmittag ziehen Models mit überdimensionalen Hüten à la Cristóbal durch den Couture­salon an der Avenue George V. Aber hier sind die Hüte mit T-Shirts bezogen. Die Silhouette ist so geräumig, kokonartig wie unter Balenciaga persönlich, nur handelt es sich bei den Stücken um graue Riesen-­Sweatshirts, Denim-Einteiler und um die Hüfte gearbeitete Jeansjacken, auch für Männer.

„Couture ist nicht nur Tüll und Satin“, sagt der Designer. Das letzte Kleid, aus dem „Gazar von heute“, ist aus einem Nylon-Material. Es wird auf den Körper der Kundin geschneidert, für einen einzigen Auftritt. „Niemand braucht die Couture“, sagt Demna. „Wer dieses Kleid kaufen möchte, muss drei meiner Leute hinzurufen.“

Back to top button