Siegfried Unselds NSDAP-Mitgliedschaft: Also eine Lappalie? | ABC-Z

Die ZEIT hat vergangene Woche darüber berichtet, dass der langjährige Chef des Suhrkamp Verlages, Siegfried Unseld, als junger Mann Mitglied der NSDAP gewesen ist. Eine Information, die er zeit seines Lebens der Öffentlichkeit vorenthalten hatte. Siegfried Unseld darf als eine der größten Verlegerpersönlichkeiten der bundesrepublikanischen Geschichte gelten. Er leitete Suhrkamp von 1959 bis zu seinem Tod im Jahre 2002 – umso verwunderlicher ist es, dass der Historiker Thomas Gruber Unselds NSDAP-Mitgliedskarte mühelos im Bundesarchiv auffinden konnte.
Es gab in den darauffolgenden Tagen zahlreiche Reaktionen auf die Entdeckung Grubers. Sie sind in vielfacher Hinsicht bemerkenswert, vor allem aber deshalb, weil sie in erstaunlich großen Teilen von einer Abwehrhaltung zeugen. Wer mit den bundesrepublikanischen Debatten zur deutschen Schuld vertraut ist, mit den Fragen nach Aufarbeitung und Erinnerung, dürfte sich jedenfalls in diesen Tagen wundern: Sofort und vielstimmig wurde die Sorge um die Beschädigung von Unselds Nachruhm laut. Man hat das Gefühl, in einer neuen Epoche deutscher Selbstvergewisserung und Selbstgewissheit aufzuwachen – und das ist nicht zwingend eine gute Nachricht.
Aber der Reihe nach: Der Philosoph Jürgen Habermas ließ sich recht rasch mit dem Satz zitieren, in dem er gleich auch für den Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge mitspricht: “Ich hatte keine Ahnung von Siegfried Unselds Eintritt in die Partei: ebenso wenig Alexander Kluge. Ich glaube auch nicht, dass er mit einem der mir bekannten engeren Autoren darüber je gesprochen hat.” Und er fragte rhetorisch: “Aber spielt der Umstand als solcher wirklich eine Rolle für die Beurteilung der Lebensleistung dieses Mannes?”
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigte sich ein erster Kommentator irritiert darüber, dass Unseld überhaupt “öffentliches Schweigen” vorgeworfen werde. Dies sei ein “alberner Begriff”, schließlich sei Unseld öffentlich “nie nach einer etwaigen NSDAP-Mitgliedschaft gefragt worden”. Im Literatur-Newsletter der Zeitung wurde befunden, aus Unselds Mitgliedschaft ließe sich “keine Pointe gewinnen”.
Ein Literaturkritiker sprach im Deutschlandfunk Kultur von einer “moralischen Überheblichkeit” in der Berichterstattung der ZEIT, von dem Versuch, ausgerechnet jenen Intellektuellen “schwarze Löcher” in den Biografien “anzudichten”, die sich im Nachkriegsdeutschland um die Demokratie verdient gemacht hätten. Das sei ein ganz falscher Akzent und dem “journalistischen Sensationsbedürfnis” geschuldet. Auch der Leiter des Siegfried Unseld Archivs innerhalb des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, Jan Bürger, der 11.000 Archivkästen zum Wirken des Verlegers verwaltet, ist der Ansicht, hier werde Unselds Mitgliedschaft “mutwillig zur Sensation” gemacht.
Diesen Einschätzungen muss, verhalten formuliert, eine eigenwillige Lektüre zugrunde liegen. Denn in der ZEIT wurde der NSDAP-Beitritt Siegfried Unselds im Alter von 17 als “Jugendsünde” gewertet: “Zum Fall Unseld wird die Angelegenheit jedoch durch sein lebenslanges Beschweigen. Sein jahrzehntelanges Engagement mit dem Suhrkamp Verlag für die jüdischen Emigranten, für Fortschritt, Demokratie und Aufklärung nach dem Holocaust beweist dabei selbstredend, dass hier einer seine Lektion gelernt hatte.”