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Wie CDU und CSU über die Grünen streiten | ABC-Z

Ende November gab Carsten Linnemann ein weitreichendes Versprechen ab. „Ich kann sagen: Wenn Friedrich Merz Bundeskanzler wird, ist Schluss mit diesen permanenten Streitereien“, sagte der CDU-Generalsekretär und Vertraute des Vorsitzenden Merz der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Zusage sollte ein Erlösungsversprechen sein für diejenigen Wähler, die genug haben von einer streitenden Regierung, wie die Ampel eine war.

Doch baut sich in der Union schon über längere Zeit genau das auf, was es in einer von ihr geführten Regierung angeblich nicht mehr geben wird: Streit. Es geht um den Streit in den eigenen Reihen, der womöglich noch gefährlicher als der unter Koalitionären ist. Zweimal hat die Union im zurückliegenden Jahrzehnt bewiesen, dass sie sich damit an den Rand der politischen Katastrophe manövrieren kann. 2015 und 2018 war das, als sich CDU und CSU in der Migrationspolitik überwarfen.

Ein drittes Mal, 2021, ging es sogar über den Rand hinaus. CDU und CSU stritten damals über den richtigen Kanzlerkandidaten, die Union verlor die Wahl. Seither schwören die Spitzen der Schwesterparteien, dass sich so etwas nicht wiederholen werde. Und dennoch hat sich zuletzt der Disput zwischen Merz und dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder immer weiter zugespitzt. Anlass ist die Frage, ob man die Grünen zwar sehr kritisch sieht, nach der Bundestagswahl im Februar aber dennoch auch mit ihnen reden würde (Merz), oder ob man eine Koalition mit ihnen kategorisch ausschließt (Söder).

Söder versichert seit Monaten, dass es mit der CSU kein Schwarz-Grün geben werde. Seine Begründung: das angebliche Totalversagen von Habeck und Co. in der Bundesregierung. Zum gesamten Bild gehört allerdings auch, dass Söder schon vor zwei Jahren begonnen hat, sich auf die Grünen einzuschießen, um mit Blick auf die Landtagswahl 2023 die Stammwählerschaft zu mobilisieren. Das gelang, wie man heute weiß, nur in Maßen, was sicher auch mit der Flugblatt-Affäre um den Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger und mit der darauf folgenden Solidarisierungswelle zu tun hatte.

Söder fühlte sich von Merz missinterpretiert

Söder hat zur Abgrenzung von den Grünen unterschiedliche Formulierungen verwendet, die sich mal mehr, mal weniger kategorisch anhörten. Der Zeitschrift „Stern“ gab er Ende November ein Interview, das vielfach als vorsichtige Wiederannäherung an die Grünen verstanden wurde – offenbar auch von Merz. Söder berief sich darin auf dessen Formulierung, mit „diesen Grünen“ könne man nicht koalieren, woraufhin der CDU-Chef in der Fernsehsendung „Maischberger“ sagte, Söder habe sich zuletzt „sehr viel differenzierter“ über die Grünen geäußert als die Monate davor.

Söder fühlte sich dadurch missinterpretiert. Er legte nach: erst per Video vom Rücksitz seiner Dienstlimousine, dann nach der Sitzung des CSU-Vorstands am vergangenen Montag. Da sagte er: Stammwähler empfänden Grün als „absolutes No-Go“. „Wer da falsch damit spielt, kostet die Union dort mehr Stimmen, als er glauben kann.“

Absolutes No-Go? Das Meinungsbild in der CDU ist facettenreicher. In Nordrhein-Westfalen, woher Merz und Linnemann kommen, regiert der christdemokratische Ministerpräsident Hendrik Wüst mit den Grünen, in Schleswig-Holstein Daniel Günther. Im nach Nordrhein-Westfalen zweitwichtigsten Land für die CDU, in Baden-Württemberg, regiert die CDU sogar als kleiner Partner eines grünen Ministerpräsidenten. Für einen Bundesvorsitzenden Merz ist es daher keine Option, den Untergang des Abendlandes als natürliche Folge des Koalierens mit den Grünen darzustellen.

Merz redet zwar in aller Offenheit kritisch über deren Politik. „Mit diesen Grünen, so wie sie heute da sind, ist auch aus meiner Sicht eine Zusammenarbeit nicht denkbar und nicht möglich“, sagte er im Oktober auf dem CSU-Parteitag. Allerdings differenziert er und sagt etwa, dass seine Partei in der Außenpolitik durchaus Schnittmengen mit den Grünen habe. In der Wirtschaftspolitik sei man dagegen vielfach unterschiedlicher Meinung. Die Wunschkonstellation nach der Bundestagswahl ist für Merz eine CDU, die so stark abschneidet, dass gegen sie keine Regierung gebildet werden kann und sie die Wahl zwischen zwei Partnern hat. Nach Lage der Umfragen sind das Grüne und Sozialdemokraten.

Härter als sein Chef spricht Generalsekretär Linnemann über die schwarz-grüne Option. Er warnt, diese würde die politischen Ränder stärken, weil ein Politikwechsel mit den Grünen nicht möglich wäre. Er wirft die Tür zwar krachend zu, schließt sie aber nicht ab. Wenn es in der Migrationspolitik „keine Wende gibt, dann macht es auch keinen Sinn, mit diesen Grünen zu regieren“, rief er Ende Oktober den Teilnehmern des Deutschlandtages der Jungen Union zu.

Thorsten Frei wiederum, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, erteilte kürzlich den „dringenden Rat“, sich überhaupt nicht mit Koalitionsoptionen zu beschäftigen. Jedenfalls empfahl er, nicht allzu viel auszuschließen. Frei fand dieser Tage eine Formulierung, die deutlich macht, was mit der Bezeichnung „diese Grünen“ gemeint sein dürfte. Mit Blick auf eine mögliche weitere Amtszeit von Robert Habeck als Minister, sagte er in der „Rheinischen Post“: „Entscheidend ist die Bereitschaft und das Vermögen, die Fehler der alten Ampel unverzüglich zu korrigieren und unserem Land wieder Zuversicht zu vermitteln.“

Söders Problem? Aiwanger.

In der CSU-Spitze hatte man über Monate das Gefühl, zwischen Merz und Söder herrsche in Bezug auf die Grünen eine gute Balance. Die hat der CDU-Chef aus CSU-Sicht gestört, durch seinen Auftritt bei „Maischberger“ vor knapp zwei Wochen. Da sei er den Grünen stärker entgegengekommen als es notwendig gewesen wäre. Merz schloss in der Sendung nicht aus, dass der grüne Kanzlerkandidat Habeck in einer möglichen gemeinsamen Bundesregierung wieder Wirtschaftsminister werde. Das vor allem führte zu Kopfschütteln in CSU-Stammlanden wie etwa Niederbayern.

Der Niederbayer Hubert Aiwanger suchte die Gunst des Augenblicks sogleich zu nutzen. Auf der Plattform X schrieb er: „Offenbar sind sich CDU und CSU schon handelseinig über Schwarz-Grün mit Habeck als Wirtschaftsminister.“ Umso wichtiger sei es, dass die Freien Wähler stark würden und eine Regierungsbeteiligung der Grünen verhinderten. Söder will die Freien Wähler unbedingt aus dem Bundestag heraushalten. Dass sie überhaupt im Bayerischen Landtag sitzen, gilt Söder als Sündenfall früherer CSU-Führungskräfte.

Merz und Söder im September in BerlinAFP

Söder dachte wohl, die CDU sei sich dieser Hintergründe bewusst. Die Einlassungen von Merz trafen ihn insoweit unvorbereitet. Er sah sich zu einer Klarstellung veranlasst, die auch aus Sicht mancher CSUler etwas ruppig ausfiel – aber nötig gewesen sei.

Man glaubt bei den Christlich-Sozialen nicht an bösen Willen von Merz, der bei ihnen generell gut ankommt. Möglicherweise sei er vor der „Maischberger“-Sendung falsch eingestellt worden von seinen Leuten in deren Bestreben, ihn sympathischer erscheinen zu lassen. Dabei habe er übertrieben.

Auch seine kritischen Äußerungen über den argentinischen Staatspräsidenten Javier Milei und den amerikanischen Unternehmer Elon Musk, die beide Fans in der CSU haben, seien „etwas drüber“ gewesen. Umso zufriedener dürfte man in München gewesen sein, dass Linnemann sogleich das Brandmäuerchen zu den Grünen wieder instand setzte und dass auch Merz zuletzt wieder anders intonierte. „Eine Fortsetzung der grünen Wirtschaftspolitik schließe ich in einer von mir geführten Regierung definitiv und endgültig aus“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. „Und wer diesen Wechsel nicht will, der kommt für uns als Koalitionspartner nicht infrage.“

Die CSU bleibt bei ihrem Kurs

Aus Sicht der CSU-Führung gibt es keinen Grund, das Nein zu den Grünen zu revidieren. Vielen Wählern gehe es um einen Politikwechsel. Schwarz-Grün stehe gerade nicht dafür, sondern wäre demnach ein „Weiter so“ oder eine Renaissance der Merkel-Jahre. Das Argument, dass die Verhandlungsposition schwächer sei, wenn man nicht zwischen mehreren Koalitionspartnern wählen könne, lässt man in München nicht gelten. Die Stärke der eigenen Position in den Koalitionsverhandlungen hänge vor allem von der Stärke des eigenen Wahlergebnisses ab.

Man will sich auch nicht einlullen lassen von laut Söder „Annäherungsversuchen der Grünen“, sprich: verbalen oder gar tatsächlichen Umarmungen. Dass man in Sachen Ukraine den Grünen womöglich näher steht als dem SPD-Kanzler, hält man für nicht übermäßig erheblich: Beim Thema Krieg und Frieden könne zum Zeitpunkt der Bundestagswahl der Frontverlauf schon ganz anders sein als heute, weil Donald Trump dann schon amerikanischer Präsident sein wird.

Koalitionsverhandlungen mit der SPD seien sicher schwierig, aber für eines der Hauptanliegen, die Revision des Bürgergelds, glaubt man, die Unterstützung der SPD-nahen Gewerkschaften gewinnen zu können. Problem: Man wird den Sozialdemokraten Hubertus Heil, den Vater des Bürgergelds, aus dem Arbeitsministerium fernhalten müssen. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass man es bei der SPD nach der Wahl mit anderem Personal zu tun hat als jetzt. Nach CSU-Erwartungen wird man es dann statt mit Scholz mit Lars Klingbeil als stärkstem Mann der SPD zu tun haben. Für ihn gibt es in der CSU durchaus Wertschätzung.

Ein klarer Kurs wäre für Merz heikel

Friedrich Merz bemüht sich um den Eindruck, dass ihn Söders Einschlagen auf die Grünen nicht aus der Fassung bringt. Dennoch ist es für ihn eine schwierige Situation. Einerseits werden ihn viele Delegierte des CDU-Parteitags 2022 in der Hoffnung zum CDU-Vorsitzenden gewählt haben, dass er die Partei etwas nach rechts schiebt. Merz erlebt auf dem Weg zur Wahl, welch tiefe Abneigung bei einem Gutteil der Christdemokraten gegenüber den Grünen besteht.

Andererseits weiß er, dass er auch viele Stimmen aus jenem Teil der Wählerschaft braucht, die den Kurs der langjährigen Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenso wenig für des Teufels halten wie den Gedanken an ein Bündnis mit den Grünen. Irgendwo dazwischen muss er durchmanövrieren. Mit einem Kurs der klaren Kante, den sich viele von ihm erwarten, läuft man da leicht auf den Felsen. Söder macht Merz das Leben mit seinem Anti-Grünen-Kurs nicht leichter. Andererseits versteht der CDU-Vorsitzende, dass der Chef der Schwesterpartei sich gegen die Freien Wähler absichern muss, die aus jeder auch nur rhetorischen Annäherung an die Grünen Honig zu saugen versuchen.

Söder ist bekannt für seine Neigung zum Spiel und zur Uneigentlichkeit – mit der Ablehnung von Schwarz-Grün scheint es ihm aber ziemlich ernst zu sein. Wie zum Beweis machte er sich unter der Woche in Prag für die Atomkraft stark. Er reist gerade sehr viel. Will er Außenminister werden? Wahrscheinlicher ist, dass er bayerischer Ministerpräsident bleibt, im Koalitionsausschuss das Zepter schwingen und spätestens 2028 in Bayern den überzeugenden Wahlsieg holen will, der ihm bisher fehlt. Mit den Grünen im Bund wird ihm das, so eine in der CSU verbreitete Analyse, deutlich schwerer fallen.

Es gibt aber auch genügend Stimmen in der CSU, die glauben, das Nein zu den Grünen sei so vorläufig wie alles in der Welt, zumindest in der Söders. Wenn einer gezeigt habe, wie man 180-Grad-Wenden zur Geradlinigkeit erklärt, dann er. Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel gab zuletzt einen Hinweis, in welche Richtung bei Bedarf narrativ gedacht werden könnte: „Er braucht sich nicht zu ändern, wenn sich die anderen geändert haben.“

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