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Wie billig kann TV-Unterhaltung noch werden? ATV: JA! | ABC-Z

Große und prägende TV-Innovationen kommen nur selten (um nicht zu sagen: nie) aus Österreich. Daher ist es ganz natürlich, dass Journalisten die Nase rümpfen, wenn sie eine Pressemitteilung von ATV erhalten, in der die Rede ist von einem “innovativen Reality-Experiment” oder auch einem “Next-Level-Reality-Format”. Als solches hat der österreichische Privatsender seine neue Sendung “Das Abendessen” beworben, das nun seit rund zwei Wochen auf Sendung ist – und dabei auf vielen Ebenen den Zustand eines Senders beschreibt, für den es vor allem darum geht, Sendeminuten möglichst kostengünstig zu füllen. 


In “Das Abendessen”, ausgestrahlt täglich prominent am Vorabend ab 19:35 Uhr, können Zuschauerinnen und Zuschauer einer Familie live und ungeschnitten beim Abendessen zuschauen. Es gibt keinen Off-Kommentar und auch kein Drehbuch. Und es stimmt schon, wenn ATV in einer Pressemitteilung schreibt, dass die Sendung “einzigartig” sei – so etwas hat es (aus gutem Grund) noch nie zuvor im Fernsehen gegeben. 

Weil die Sendung live ist und es auch keine Drehbücher gibt, stolpern die Zuschauerinnen und Zuschauer regelmäßig in die Folgen, wenn die Familienmitglieder bereits etwas bereden. So weit, so verwirrend. Und natürlich sind die Gespräche so banal und für eine große Öffentlichkeit uninteressant wie man sich das vorstellen muss. Da muss die Tochter erklären, wieso sie keine warmen Gurken mag und kurz darauf muss die Mutter Salatschüsseln holen gehen, weil die leider fehlen. In einer anderen Familie geht’s darum, was die verschiedenen Personen (im Fitnessstudio) erlebt haben und auch darum, wieso manche Menschen keinen Koriander mögen. 

Ein Plädoyer für Regie, Drehbücher und Redakteure

Wer bis dahin vor dem Fernsehgerät noch nicht eingeschlafen oder mit dem Kopf auf der Tischplatte aufgeschlagen ist, muss noch mit anhören, wie die Personen am Tisch über Beziehungsprobleme, die Kennenlerngeschichte von Mama und Papa und schlechte Frisuren sprechen. Und auch wenn es teilweise schwer ist, den Gesprächen zu folgen, weil die Familienmitglieder kreuz und quer durcheinander reden, wäre es vielleicht eine Idee, mal beim Abendessen darüber zu sprechen, wer genau bei ATV dieses Format vom Stapel gelassen hat. 

Während die inhaltliche Fallhöhe von “Das Abendessen” quasi nicht existent ist, zeigt die Sendung brutal auf, wie blank man beim Sender in der Formatentwicklung ist. Der Kostendruck muss extrem groß sein, wenn man sogar so etwas auf Sendung schickt. Innovativ ist hier natürlich gar nichts, was nicht weiter tragisch wäre, wenn das Format immerhin einen gewissen Unterhaltungswert hätte. “Das Abendessen” aber ist maximal belanglos.

“Das Abendessen” wird übrigens auch gar nicht von einer klassischen Produktionsfirma umgesetzt, es gibt für die Kamera- und Übertragungstechnik lediglich einen “technischen Dienstleister”. Das ganze Format führt sehr eindringlich vor Augen, wie wichtig Redakteurinnen, Regisseure oder auch Autoren sind, um eine Idee so weit zu bringen, bis daraus tatsächlich unterhaltsames Fernsehen wird. 

Warnhinweis für das Publikum

Die Live-Übertragung bringt natürlich auch gewisse Risiken mit sich. ATV distanziert sich im Rahmen der jeweiligen Folgen schon vorab davon. In einer Einblendung heißt es: “ATV überträgt diese Inhalte unbearbeitet und ohne Einflussnahme in Echtzeit. Alle Äußerungen geben ausschließlich die Sichtweisen der Beteiligten wieder. ATV identifiziert sich nicht mit allenfalls kontroversen oder medienrechtlich unzulässigen Aussagen.” Das ist vielleicht auch ein Ergebnis der zuletzt aufgekommenen Kontroverse rund um das Format “Das Geschäft mit der Liebe”

Das wird zwar nicht live gezeigt, hier hat ATV die Grenzüberschreitung selbst gewählt. Beim Sender ist man aber offenkundig noch mitgenommen von der Debatte rund um das Format, das vor Frauenverachtung nur so trieft. Die Verantwortlichen haben sich bereits entschuldigt und neue Richtlinien angekündigt. Bis die da sind, bleibt die aktuelle Staffel offline. 

Und es gibt noch mehr Formate, mit denen ATV in der Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt hat. Bei “Drunk Dates” macht sich der Sender nicht nur über seine Protagonisten lustig, man zeigt auch ein fragwürdiges Verständnis von Alkoholkonsum. Eine große Kontroverse gab es außerdem 2016, als man im Rahmen der Berichterstattung zur Bundespräsidentenwahl die beiden Bewerber Norbert Hofer und Alexander van der Bellen in ein unmoderiertes Duell schickte. 

“Next-Level-Reality-Format” – aber anders

Das Duell ging damals in die Geschichtsbücher ein, weil sich die Kontrahenten anblafften und gegenseitig mit Schmähungen überzogen. Als Wählerin oder Wähler konnte man damals das Gefühl bekommen, keiner der zur Wahl stehenden Männer sei für das Amt geeignet. ATV holte damit nicht nur starke Quoten, sondern räumte auch den Fernsehpreis Romy ab. In diesem Fall hat es geholfen, das Setting möglichst minimalistisch zu halten. Auch dadurch gelang es, das Publikum kurz in den Abgrund österreichischer Politiker blicken zu lassen. 


Im Falle von “Das Abendessen” sollte man bei ATV aber eher nicht auf eine Romy hoffen. Hier liegen Erkenntnisgewinn und Innovationskraft auf einem ähnlichen Niveau wie die Quoten und Produktionskosten: nahe Null. Insofern stimmt es schon: “Das Abendessen” ist “Next-Level-Reality-Format” – aber anders, als die Verantwortlichen in Wien gedacht haben. 

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