Wie Alonso mit Leverkusen die Mailänder Defensive entzauberte | ABC-Z
Xabi Alonso gehört zu den Trainern, die in all ihren Spielen permanent coachen, die Details beeinflussen wollen, der Spanier ist ständig in Bewegung. Beim 1:0 gegen Inter Mailand war Alonso nun geradezu elektrisiert von einer hoch anspruchsvollen Defensivschlacht. Der Leverkusener Trainer tanzte an der Seitenlinie entlang, schob mal den einen Spieler zwei Meter nach vorne, mal den anderen nach innen, kam nie zur Ruhe, gab Tipps in Unterbrechungen, als wolle er seinem Team zeigen: Lasst in keiner einzigen Sekunde nach in diesem Duell mit den Mailändern, die Italiens Defensivkultur derzeit auf ganz besondere Art und Weise erblühen lassen.
Inter stand ja kurz davor, einen Champions-League-Rekord aufzustellen: Nach sechs Partien war die Mannschaft von Simone Inzaghi mit einem Torverhältnis von 7:0 an den Rhein gereist; mit sieben Spielen ohne Gegentor war noch nie zuvor ein Team in diesen Wettbewerb gestartet. Erst der späte Siegtreffer von Nordi Mukuiele in der 90. Minute beendete diesen erstaunlichen Lauf und entschied ein Fußballspiel, das an ein beeindruckendes, zugleich allerdings auch herausforderndes Kunstwerk erinnerte: schwer zugänglich für Fans, die sich leichte Unterhaltung wünschen, aber ein Meisterstück für Zuschauer mit Faible für Risikominimierung auf Weltklasseniveau. „Wir hatten eine gute Struktur, eine gute Stabilität, gute Bewegungen“, sagte Granit Xhaka.
Beide Teams verteidigten brillant, verdichteten Räume, Inter hatte außerdem Fallen aufgestellt, lauerte auf Balleroberungen und Konteroptionen. Aber der deutsche Meister ließ sich nicht zu Fehlern verführen. „Geduld“, war der Begriff, den der Chefstrategie Xhaka ins Zentrum seiner Analysen stellte, und Alonso sagte: „Wir haben ein gutes Niveau eine gute Reife gezeigt, auf die Chancen gewartet.“ Viele gab es nicht.
Statt um Dribbler, Torszenen und Einzelaktionen ging es um den Mannschaftssport Fußball, um eine innere Harmonie der Teams. Gegen den Ball erzeugte die Werkself fast immer in den richtigen Räumen Druck. Gegenpressing, also die schnelle Rückeroberung nach Ballverlusten, sei „ein Grundbaustein“ des Leverkusener Spiels, sagte Kapitän Jonathan Tah, „das haben wir heute sehr gut gemacht“; zugleich sei es gelungen, „immer wieder in die Kompaktheit zu finden“ und sich zurückzuziehen. „Wir haben es viel besser gemacht als am Anfang der Saison“, sagte Xhaka, „aber sowas kann man erst machen, wenn man viel Kontrolle hat, wenn man sehr eng zusammensteht.“ Im doppelten Sinne.
Inter hatte kaum eine Torchance, ähnlich ging es Bayer 04 nach einem frühen Abschluss von Nathan Tella, der die Latte getroffen hatte (3.). „Die Leverkusener haben den Ball schon gut laufen lassen. Und als Mannschaft defensiv enorm gut gearbeitet“, sagte der in Köln aufgewachsene Abwehrspieler Yann Aurel Bisseck, der seit einigen Monaten ein fester Bestandteil dieser imponierenden Mailänder Mannschaft ist. Das dürfte auch den Bundestrainer Julian Nagelsmann immer neugieriger machen, der bereits mit Bisseck telefoniert hat.
An diesem Abend waren Profis wie der 24 Jahre alte Defensivspezialist jedenfalls ganz in ihrem Element. Über 90 Minuten war eine enorme Konzentration aller Akteure und spürbar, und am Ende passte es ganz gut, dass ein Verteidiger das Tor des Tages schoss – ein Tor übrigens, dem eher Wille und auch ein paar Zufälle zu Grunde lagen, als eine klar durchdachte Angriffsaktion: Nach drei unkontrollierten Ballkontakten verschiedener Spieler im Strafraum der Mailänder kam irgendwie Mukiele zum Abschluss und traf aus kurzer Distanz zum Sieg für Bayer 04.
Damit war er zum Tageshelden geworden, nachdem mancher Beobachter sich im ersten Saisondrittel noch gefragt hatte, ob es eine gute Idee war, den Franzosen von Paris St. Germain auszuleihen. Aber in der vergangenen Woche im DFB-Pokal beim 1:0-Erfolg in München war Mukiele nach einer auskurierten Muskelverletzung schon stark gewesen, genau wie jetzt gegen Inter.
„Er wird von Woche zu Woche besser“, sagte Alonso über den früheren Leipziger, „er kennt die Bundesliga, in den großen Spielen hat er es gut gemacht, das Tor ist ein Highlight.“ Und ein Schlüsselmoment auf dem Weg ins Achtelfinale. Denn dank der drei Punkte, die dem Leverkusener Konto durch den Treffer gutgeschrieben wurden, reicht wohl ein weiterer Sieg für einen der begehrten Plätze unter den ersten Acht des Tableaus. Bei ausstehenden Duellen bei Atlético Madrid und gegen Sparta Prag stehen die Chancen bestens.