Gesundheit

WHO über Impfquoten weltweit “extrem besorgt”. Wie sieht es in Deutschland aus? – Gesundheit |ABC-Z

Am Dienstag wandte sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an die Weltöffentlichkeit: Immer mehr Kinder bleiben ungeimpft, weil die Hilfsbudgets einbrechen und die Impfskepsis in vielen Teilen der Welt wächst. Das sei eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Weltbevölkerung, sagte Kate O’Brien, Direktorin der Impfabteilung der WHO, bei der Vorlage des Impfberichts, den die WHO gemeinsam mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef alljährlich verfasst. Das Beunruhigende daran: Es gehe beim Rückgang der Impfquoten nicht nur um fehlendes Geld, vielmehr spiele aktive Fehl- und Desinformation über Impfungen eine erhebliche Rolle, so O’Brien. „Wir sind extrem besorgt.“

Den Daten zufolge ist die Zahl der Kinder, die in ihrem ersten Lebensjahr keine einzige Impfung gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten erhalten haben, im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie um 1,9 Millionen auf 14,3 Millionen gestiegen. Schon im vergangenen Jahr hätten Mittel gefehlt, um arme Länder mit Impfkampagnen zu unterstützen, beklagen WHO und Unicef. Die teils drastischen Kürzungen von Entwicklungshilfe in diesem Jahr – durch die USA und viele andere Länder – dürfte die Lage nun noch verschlimmern.

Auch in Europa stiegen die Zahlen an Masern und Keuchhusten drastisch an

Beide Organisationen verwiesen auf die wichtige Rolle von Politikern, Religionsführern und anderen Leitfiguren, um das Vertrauen in Impfstoffe zu stärken. „In gut 50 Jahren sind 150 Millionen Menschenleben durch Impfstoffe gerettet worden“, sagte Unicef-Impfexperte Ephrem Lemango. Viele dieser Impfstoffe seien seit Jahrzehnten überwacht und geprüft. Er rief dazu auf deutlich zu machen, dass „Killerkrankheiten“ wie Masern so verhindert werden können. Dennoch seien derzeit 30 Millionen Kinder weltweit nicht ausreichend gegen diese gefährliche Viruserkrankung geschützt.

So überrascht es nicht, dass es im Jahr 2024 in 60 Ländern starke Masern-Ausbrüche gab – das sind mehr als doppelt so viele wie 2022. In manchen dieser Länder seien die Ausbrüche auf das aktive Verbreiten von Impfskepsis zurückzuführen, sagte Kate O’Brien. Schätzungen zufolge habe es 2023 weltweit mehr als 107 000 Tote durch Masern gegeben.

Davon ist auch Europa nicht ausgenommen. Allein im vergangenen Jahr seien mehr als 125 000 Menschen in Europa an Masern erkrankt, doppelt so viele wie im Vorjahr, und fast 300 000 Menschen an Keuchhusten, was einer Verdreifachung entspreche. WHO-Regionaldirektor Hans Kluge rief die Länder auf, ihre lokalen Gesundheitssysteme zu stärken, die Verfügbarkeit von Impfstoffen überall sicherzustellen sowie Fehlinformationen zu bekämpfen.

In Deutschland sind die Impfquoten seit Corona überraschenderweise nicht gesunken

Deutschland steht bei all dem immer noch ganz gut da. Zwar sind die Impfquoten im internationalen Vergleich nie auf den Spitzenplätzen gewesen, dazu ist die historisch gewachsene Impfskepsis wohl zu groß. Aber die Impfbereitschaft ist seit der Pandemie trotz aller Debatten um die Covid-19-Impfung nicht gesunken. Das ist einer Auswertung des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu entnehmen, welches regelmäßig die Inanspruchnahme der von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlenen Routineimpfungen mit Hilfe von Krankenkassenabrechnungen auswertet.

Wirklich gut ist die Lage in Deutschland trotzdem nicht. So nehmen Erwachsene die ihnen empfohlenen Impfungen oft nicht wahr. Und die Grippeimpfung, die in der Pandemie mehr Zulauf hatte, wurde nun wieder genauso wenig verabreicht wie vor den Coronajahren: Sie wird Personen ab 60 Jahren und solchen mit Grunderkrankungen unabhängig vom Alter empfohlen, doch nur etwa jede dritte holte sie sich ab.

Auch bei den empfohlenen Impfungen für Säuglinge und Kinder zeigte sich kein negativer Effekt der Impfdiskussionen in der Pandemie. Sorgen bereiten die Impfquoten den Experten dennoch. So erhalten stattliche 96 Prozent aller Säuglinge noch die erste Sechsfachimpfung, die unter anderem vor Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung und Keuchhusten schützt. Doch die Auffrischungsimpfungen finden dann häufig zu spät oder gar nicht mehr statt – erst recht, seit das Impfschma für die Sechsfachimpfung geändert wurde, sodass diese einige Monate später verabreicht werden soll, schreiben die Autoren des RKI-Berichts. Das habe zur Folge, dass Eltern mit ihren Kindern oft nicht oder nicht rechtzeitig wieder zum Kinderarzt gehen. Somit seien im Alter von 15 Monaten nur 64 Prozent der Kinder vollständig gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten geimpft.

„Diese Daten sind nicht zufriedenstellend“, sagt der Berliner Kinderarzt Martin Terhardt, der viele Jahre Mitglied der Stiko war. „Denn gerade bei Diphtherie und Tetanus hat sich in letzter Zeit noch einmal eine neue Dringlichkeit gezeigt.“ Anfang Januar war in Berlin ein Junge an Diphtherie gestorben, der sich bei seiner Mutter angesteckt hatte. Bei Diphtherie ist es ähnlich wie bei Corona: Die Impfung schützt nicht vor Ansteckung und Übertragung, aber vor einem schweren Verlauf. Der Zehnjährige war jedoch nicht geimpft, wie so viele seiner Mitschüler: Er ging auf eine Waldorfschule. Auch haben zuletzt immer wieder ungeimpfte Kinder in deutschen Kliniken gegen den gefährlichen Wundstarrkrampf gekämpft, wie Terhardt berichtet. Der Tetanuserreger war durch einfache Schürfwunden oder kleine Verletzungen mit einem Stock in ihren Körper eingedrungen.

Interessant sind bei all dem die deutlichen regionalen Unterschiede. So ist Sachsen bei Masernimpfungen mit einer Quote von nur 55 Prozent unter den Zweijährigen Schlusslicht im Vergleich zum Primus Schleswig-Holstein, wo 84 Prozent der Zweijährigen gegen Masern geimpft sind. Doch bei anderen Impfungen wie etwa gegen Grippe und HPV können die östlichen Bundesländer höhere Impfquoten vorweisen als der Westen. Vergleichsweise hoch ist die Impfskepsis insgesamt in Baden-Württemberg, wo nur 69 Prozent der Zweijährigen vollständig gegen Kinderlähmung geimpft sind, in Niedersachsen sind es 82 Prozent.

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