WHO-Pandemievertrag imaginär: Staaten verabschieden Lehren aus der Pandemie – Gesundheit |ABC-Z

Die Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben den über mehr als drei Jahre hinweg ausgehandelten Pandemievertrag angenommen. Damit soll Panik und Chaos wie während der Corona-Pandemie im Fall einer neuen großen Gesundheitsnotlage verhindert werden. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warnte: „Die nächste Pandemie ist keine Frage des Ob, sondern des Wann.“ Viele Details müssen jedoch noch ausgehandelt werden.
Bei ihrer Jahresversammlung in Genf nahmen die Delegationen der Mitgliedsländer ohne Abstimmung den Vertrag an. Der Konferenzvorsitzende fragte, ob es Vorbehalte gebe. Als sich niemand meldete, erklärte er den Vertrag für angenommen. Die Delegationen feierten die Annahme mit anhaltendem Applaus.
:Weltgemeinschaft einigt sich auf Pandemievertrag
Mehr als drei Jahre lang haben die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation um ein Abkommen gerungen, das den Umgang mit globalen Seuchen regeln soll. Nun haben sie sich geeinigt.
Als sich 2020 das Coronavirus Sars-CoV-2 von China aus in der ganzen Welt verbreitete, reagierten viele Länder mit Panik. Masken und Schutzmaterial waren knapp. Regierungen machten sich gegenseitig Bestellungen streitig, viele verhängten Ausfuhrsperren für solches Material, auch Deutschland. Als endlich Impfstoff da war, horteten Länder die Impfdosen, die USA und Indien stoppten sämtliche Ausfuhren. Und während in reichen Ländern schon die dritte Impfung verabreicht wurde, warteten Menschen in ärmeren Ländern noch auf die erste Lieferung. Die Folgen: schätzungsweise 36 Millionen Tote weltweit. Diese Menschen starben nicht nur an Infektionen mit dem Coronavirus selbst, sondern auch, weil sie wegen anderer Krankheiten in der Pandemie nicht behandelt werden konnten. Die Wirtschaft brach weltweit ein, Millionen Kleinunternehmen gingen pleite.
Der Vertrag regelt nun unter anderem eine geordnete Beschaffung von Schutzmaterial im Fall einer Pandemie. Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll weltweit zuerst versorgt werden. Ein neues System soll sicherstellen, dass Impfstoffe zügig produziert und ärmere Länder fair mit Impfstoffen versorgt werden.
Meldungen, die WHO würde zu einer allmächtigen Behörde, sind irreführend
Zudem sollen Krankheiten bei Tieren und Menschen besser überwacht werden. Die Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden. Pharmafirmen sollen außerdem ihr Know-how teilen, sodass auch in ärmeren Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können. DNA-Sequenzen von Pathogenen, also etwa Viren, Bakterien oder anderen Mikroorganismen, sollen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug sollen Impfstofffirmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben: das sogenannte Pabs-System.
Über den Pandemievertrag wurde gut drei Jahre lang verhandelt; in diesem Zeitraum wurden zahlreiche Kompromisse eingegangen. Europäer wollten zum Beispiel stärkere Auflagen bei der Prävention: Regierungen sollen das Krankheitsgeschehen in der Tierwelt enger überwachen, weil Erreger von dort sich an Menschen anpassen können. Ärmere Länder verwiesen hingegen auf die hohen Kosten. Die afrikanischen Länder wiederum hätten gerne strengere Auflagen im Pabs-System und beim Technologietransfer gesehen sowie klare Finanzierungshilfen zur Stärkung der Gesundheitssysteme.
In sozialen Netzwerken wird die Information verbreitet, die WHO könne nun bei der nächsten Pandemie Zwangsmaßnahmen anordnen. Auch die konservative Schweizer Wochenzeitung Weltwoche äußerte sich entsprechend: „Die WHO würde mit dem neuen Vertragswerk faktisch zur mächtigsten Behörde der Welt, zu einer Behörde, die über den Ausnahmezustand entscheidet“, schrieb sie. Das ist falsch. In Artikel 22 des Pandemievertrags steht ausdrücklich, dass weder die WHO noch ihr Generaldirektor innerstaatliche Maßnahmen anordnen, Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen können. Der Vertrag gilt nur in Ländern, die ihn ratifizieren. In dem Vertrag sind keine Strafmaßnahmen vorgesehen, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Bis der Vertrag in Kraft tritt, wird noch Zeit vergehen: Die Modalitäten des Pabs-Systems wurden in einen Anhang ausgelagert, der noch ausgehandelt werden muss. Das dürfte ein weiteres Jahr dauern. Dann erst kann der Vertrag den Regierungen zur Ratifizierung vorgelegt werden. Er tritt erst in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. Die WHO hat derzeit noch 194 Mitgliedsstaaten, die USA und Argentinien haben jedoch ihren Austritt angekündigt.