West-Nil-Virus: Frau in Brandenburg infiziert – Experte warnt vor „erhöhter Aktivität“ |ABC-Z
Das eingeschleppte West-Nil-Virus grassiert in Deutschland unter Vögeln und Pferden. Aber Stechmücken übertragen die Erreger auch auf Menschen. Die Infektionen bleiben meist unbemerkt, können aber gefährlich werden. Jetzt wird vor einer „erhöhten Aktivität“ gewarnt.
In der vergangenen Woche machte der prominente US-Virologe Anthony Fauci öffentlich, dass er an einer Infektion mit dem West-Nil-Virus schwer erkrankt war. Sechs Tage lang musste der 83-Jährige demnach im Krankenhaus behandelt werden. Jetzt wird der erste Fall des Jahres einer von heimischen Stechmücken übertragenen Infektion in Deutschland bekannt.
Betroffen sei eine Frau, teilte das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin mit. Die von heimischen Mücken (hauptsächlich der Gattung Culex) übertragene Infektion einer Frau aus Sachsen in der Grenzregion zu Brandenburg fiel mehr oder weniger durch Zufall auf: Es sei bei der Analyse einer Blutspende-Probe nachgewiesen worden, erklärte Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg. Bis zum 23. August wurden vom RKI noch drei weitere Fälle registriert: Betroffen sind ebenfalls Frauen, die sich allerdings auf Reisen in andere Länder mit dem Erreger angesteckt hatten.
Mit weiteren Fällen in Deutschland ist laut Schmidt-Chanasit zu rechnen: Die verfügbaren Daten wiesen auf eine erhöhte Aktivität hin. So gebe es vergleichsweise viele erfasste Infektionen mit dem Erreger bei Pferden und Vögeln. Vom zuständigen Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Ostsee-Insel Riems bei Greifswald wurden bis zum 23. August 2014 bereits 18 Nachweise bei Vögeln darunter ein Habicht in Berlin, und 14 bei Pferden erfasst. Besonders betroffen sind demnach die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen.
Ein weiterer Hinweis auf viele Übertragungen sei die vergleichsweise hohe Zahl eingeschickter auffälliger Proben von Blutspendern, erklärte Schmidt-Chanasit. Dabei sei allerdings zu berücksichtigen, dass der am häufigsten verwendete Screening-Test auch beim Usutu-Virus anschlage. Dieser Erreger verursacht aktuell ein massives Amselsterben in Deutschland. Menschen können sich Schmidt-Chanasit zufolge damit anstecken, erkranken aber selten.
„Zwischen beiden Viren aufgrund von Sequenzanalysen zu unterscheiden, ist sehr aufwendig und gelingt nicht immer“, erklärte der Virologe. Die langwierigen Tests sorgten zudem für eine zeitliche Verzögerung von einigen Wochen zwischen Probennahme und dem bestätigten Endergebnis basierend auf einer Virus-Sequenzierung. Es könnten also bereits deutlich mehr Infektionen aufgetreten sein, deren gesicherter Nachweis aber noch aussteht.
Generell ist im Fall des West-Nil-Virus von einer sehr hohen Dunkelziffer nicht erfasster Infektionen auszugehen, weil etwa 80 Prozent davon ohne Symptome verlaufen. Knapp 20 Prozent der Betroffenen entwickeln dem RKI zufolge milde, unspezifische Symptome wie Fieber oder Hautausschlag – aber auch diese bleiben häufig unbeachtet.
Schwerere und tödliche Verläufe des West-Nil-Fiebers betreffen meist ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Nur etwa ein Prozent der Infektionen führen zu solchen schweren neuroinvasiven Erkrankungen.
Mit einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen bei Menschen sei zu rechnen, wenn das Virus sich im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet auszubreiten beginne, erklärte Schmidt-Chanasit. Bisher seien die Mücken dort trotz der klimatisch günstigen Bedingungen wohl noch frei von dem Erreger – es sei aber damit zu rechnen, dass sich das ändere.
Im vergangenen Jahr waren vom RKI sieben von heimischen Mücken übertragene West-Nil-Infektionen in Deutschland erfasst worden, im Jahr davor 17. Experten gehen von einem Anstieg der Fallzahlen in den kommenden Jahren aus, unter anderem wegen der im Zuge des Klimawandels immer günstigeren Bedingungen für den Erreger. In Süd- und Südosteuropa gibt es schon seit Längerem größere Ausbrüche.
Das West-Nil-Virus (WNV) stammt ursprünglich aus Afrika, wie es auf der Website des FLI zu lesen ist. Es wurde demnach erstmals 1937 im West-Nil-Distrikt in Uganda festgestellt, in Europa trat es Anfang der 1960er-Jahre in Frankreich erstmals auf. In Deutschland wurde im August 2018 erstmals ein mit dem Erreger infizierter Vogel gefunden. 2019 hatte das RKI erstmals Infektionen bei Menschen erfasst, die auf eine Übertragung durch heimische Mücken zurückgingen.
Dem US-Branchendienst schilderte der US-Mediziner Anthony Fauci seine Erkrankung als dramatisch. Er hätte das Gefühl gehabt, von einem Lastwagen angefahren worden zu sein, sagte er. „Ich muss Ihnen sagen, dass ich noch nie in meinem Leben so krank war. Noch nie. Das ist bei Weitem das Schlimmste, was ich je mit einer Krankheit erlebt habe.“ Nach fast einer Woche im Krankenhaus erholt sich der Virenexperte weiterhin zu Hause.
dpa/sk