Werke von Ruth Kohler in Münsing: „Farben sind Feste für die Augen“ – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Ruth Kohler ist eine Nachtarbeiterin. „Da ist totale Ruhe, da kann ich träumen“, sagt die Künstlerin. Mit 95 Jahren platze sie noch vor Ideen, werde aber leider immer langsamer und kämpfe mit der Zeit. Dennoch: „Mein Leben ist schön, es ist wunderbar. Ich hoffe, dass es noch lange weitergeht. Und der Wein schmeckt“, sagt Kohler, die noch immer jeden Tag in ihrem Atelier in Münsing arbeitet – „solange es das Gestell mitmacht“. In ihrer Umgebung fühlt sie sich wohl und schwärmt von der großen Hilfsbereitschaft ihrer Nachbarn.
Ohne diese Gemeinschaft wäre vieles nicht möglich. Sie hat auch dafür gesorgt, dass sieben großformatige Werke im ersten Stock des Bürgerhauses Münsing hängen. Zur Eröffnung der Ausstellung „Feier der Farben“ füllte sich der Pallaufhof mit Weggefährten, Nachbarn, Kunstinteressierten und Künstlerkollegen, darunter auch Georg Sebald, Kulturbeauftragter der Gemeinde. Etwa 100 Personen waren gekommen, um die Kunst von Ruth Kohler auf sich wirken zu lassen.
Wer die Treppe zum ersten Stock hinaufsteigt, wird von einem Farbenrausch aus Blau-, Rosa-, Orange- und Gelbtönen empfangen. Ein starker Kontrast zur Sachlichkeit, die das Gebäude mit seinen Holzwänden ausstrahlt. Malen bedeutet für Ruth Kohler Farbe, Farbe, Farbe.
„Lebensfreude und Bescheidenheit zeichnen Ruth Kohler aus“, sagt Bürgermeister Michael Grasl bei der Begrüßung. Seit einem halben Jahrhundert lebt die 95-Jährige in Münsing. Drei ihrer Werke sind im Rathaus bereits zu sehen. Nun hat die Gemeinde ein weiteres Großformat erworben. Es hängt vor dem Sitzungssaal und leuchtet in kräftigen, bunten Farben, die mit großer Dynamik aufgetragen sind. Kraft und Vitalität strahlt das Bild aus. „Das neu erworbene Werk soll eine positive Aufbruchstimmung ins Haus bringen“, so Michael Grasl.
„Was ihre Kunst ausmacht, sind Neugier, Offenheit und Lust auf Menschen.“
Vor drei Jahren habe er das Vergnügen gehabt, das Buch „Feier der Farben“ mit Ruth Kohler zu gestalten, sagt der Publizist Wolfgang Jean Stock, der in das Werk der Künstlerin einführt. „Es ist eines der schönsten Künstlerbücher.“ Stock berichtet von der großen Reiselust der Künstlerin, die schon fast überall auf der Welt gewesen sei, in Afrika, China, Indien, der Sowjetunion, Australien – nur Südamerika fehle noch. Sie reise nicht als Touristin, sondern mit künstlerischem Anspruch. Die Ruhe in Münsing habe sie aber immer sehr geschätzt. „Der Ort hat der gebürtigen Oberfränkin etwas gegeben, hat auf sie gewirkt. Prominente gingen bei ihr ein und aus. Was ihre Kunst ausmacht, sind Neugier, Offenheit und Lust auf Menschen“, sagt Stock und fügt hinzu: „Sie hat sich immer wieder neu erfunden. In den letzten 20 Jahren hat sie einen Höhepunkt ihres Schaffens erreicht.
Sie sei weder ein Kopf- noch ein Bauchmensch, sondern ein Augenmensch, sagt sie über sich selbst. Deshalb ist Farbe für Ruth Kohler so wichtig. „Farben sind Feste für die Augen“, erklärt sie. Auch ihre innere Stimmung setzt sie in ihren Bildern um. Die Ausstellung ist ein Ausdruck von Lebenskraft und Freude. Die meisten ihrer abstrakten Arbeiten tragen keinen Titel. „Man muss dem Betrachter die Freiheit lassen“, sagt die Künstlerin. Sie arbeitet mit Mischtechnik, Acryl und Öl.

Viel Schwarz und dunkle Töne verwendet sie für das einzige Bild, das einen Titel trägt: „9/11“. Bedrohlich sieht es aus, rot-orange Farbflächen scheinen dem Schwarz etwas entgegenzusetzen. Das Bild ist horizontal zweigeteilt. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass nach dem 11. September in New York nichts mehr so ist, wie es einmal war.
Bei längerem Betrachten werden die Bilder immer schöner. Die Farben wirken. Nicht umsonst zählt Ruth Kohler zu den bedeutendsten Malerinnen der Gegenwart. Nach dem Krieg studierte sie an der Akademie der Bildenden Künste in München. Für eine Frau damals eher ungewöhnlich. Sie war Meisterschülerin und Assistentin von Professor Franz Nagel, besuchte Kunstschulen und Akademien in Paris, Rom und Florenz. Anschließend arbeitete sie als Kirchenmalerin und gestaltete Glasfenster in verschiedenen Kirchen. Von 1960 an lebte sie acht Jahre lang in Afrika. 1973 ließ sie sich mit ihrem Mann, dem Dokumentarfilmer Werner Prym, in Münsing nieder.