Werder Bremen träumt vom Europapokal | ABC-Z
Als Mitchell Weisers Pass in der 54. Minute Marvin Ducksch erreichte, roch es bis auf die hintersten Ränge nach Tor. Es gibt diese Momente, wenn gleich jemand an den Ball kommen wird und der darauf folgende Treffer buchstäblich in der Luft liegt. Man kennt sie von Harry Kane, Florian Wirtz und Jamal Musiala, meist von Spielern eben, die eine herausragende Schusstechnik auszeichnet.
Auch Ducksch, obwohl sicher eine andere Kategorie Spieler als die Genannten, kann solche Momente entstehen lassen: Entschlossen traf er am Samstagabend zum Bremer 2:0-Endstand am Millerntor. Damit war die Partie des Aufsteigers gegen den formstarken Nordrivalen schon nach einer knappen Stunde so gut wie entschieden, denn Werder besticht in diesen Wochen durch Kompaktheit und Effizienz – und zwar so überzeugend, dass das Team von Trainer Ole Werner an die Europapokalplätze anklopft.
Dafür gibt es eine einfache Erklärung, zumindest in Werners Gedankenwelt: „Bei uns sind viele Leute lange dabei, sie kennen sich. Die Mannschaft spielt schon lange zusammen und deswegen passiert es uns selten, dass wir uns von irgendetwas aus der Bahn werfen lassen.“ Manchmal reichten Blicke und Gesten von außen oder auf dem Feld, um Spielzüge abzustimmen oder einzusetzen, sagte Werner, seit drei Jahren Bremer Cheftrainer: „Wir haben klare Muster. Wir haben unsere taktischen Möglichkeiten erweitert. Heute ist der Werkzeugkasten voller als vor anderthalb Jahren.“
„Für uns sind alle Spiele eng“
Reife und Abgeklärtheit waren beeindruckend bei diesem fünften Auswärtssieg. Mitten in eine erste Drangphase St. Paulis gelang zunächst Derrick Köhn das 1:0 in der 24. Minute. Als die Hamburger nach der Pause durch Johannes Eggestein am Ausgleich schnupperten, liefen sie in den Bremer Konter zum 2:0. Ole Werner sagte: „Für uns sind alle Spiele eng. Diese entscheiden sich dann über Effektivität.“
Schon bei den Erfolgen gegen die KSV Holstein Kiel (2:1) und beim VfL Bochum (1:0) bestach Werder durch solche Kaltschnäuzigkeit. Zuvor stachen nur die Niederlagen gegen die Bayern (0:5) und diejenige in Gladbach (2:4) negativ heraus. Alle anderen Partien waren umkämpft und endeten knapp.
Da ähnelte die durch Pyro-Nebel zweimal unterbrochene Begegnung einem Dezember-Spaziergang. Kapitän Marco Friedl beschrieb später bestens gelaunt die gute defensive Ordnung und die gelungene Umsetzung der Taktik, die vorsah, St. Paulis Außenbahnspieler Philipp Treu und Manolis Saliakas zurückzudrängen und den Gegner in eine Art Fünfer-Abwehrkette zu zwingen.
So blieb dem diesmal enttäuschenden Aufsteiger nur eine Schein-Überlegenheit: Besonders in der zweiten Halbzeit fiel Trainer Alexander Blessins Mannschaft mit dem Ball wenig ein. Für das Bespielen des letzten Spielfeld-Drittels gab es entweder keinen tauglichen Plan oder er wurde nicht umgesetzt. Ohne zehn verletzte oder gesperrte Profis wirkte St. Pauli müde und zaghaft. Ganz anders Werder: „Wir waren in den meisten Szenen wach und klar, das war heute der Unterschied“, lobte Werner.
Er wolle niemanden vom Träumen abhalten, sagte der 38-Jährige lächelnd, denn natürlich hofft man in Bremen nun auf eine europäische Renaissance. Dabei wäre die Conference League mit stimmungsvollen Flutlichtabenden gegen wen-auch-immer gern genommen; weit entfernt war die dritte europäische Liga schon in der Vorsaison nicht. Nur zwei Tore fehlten. Der Werkzeugkasten füllt sich also bei Werder. Dass es dabei nicht laut klötert und viele es gar nicht mitbekommen haben, ist ganz nach Ole Werners Geschmack.