Werden Taschen jetzt wegen der wirtschaftlichen Lage wieder größer? | ABC-Z

Als Simon Porte Jacquemus im Februar 2019 seine „Le Chiquito“-Handtasche präsentierte, lief die Wirtschaft rund. Von Pandemie und Inflation keine Spur. Die winzige Tasche, in die kaum mehr als ein Lippenstift und ein paar leere Versprechen passten, wurde ein Verkaufsschlager. Heute geht der Trend in eine andere Richtung, aber warum eigentlich?
Nun ist der Zusammenhang zwischen Mode und Wirtschaft keine neue Idee. Bereits die Saumlängentheorie besagt, dass sich in wirtschaftlich unsicheren Zeiten die Rocklängen verlängern. Eine ähnliche These verfolgt der sogenannte Lippenstift-Index, demzufolge steigt der Verkauf von Lippenstiften in Krisenzeiten, weil sich Menschen eher kleinere Luxusgüter leisten, anstatt in teure Mode oder Schmuck zu investieren. Eine weniger bekannte, aber interessante Hypothese ist die Big Bag Theory: Sie behauptet, dass Handtaschen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten größer werden. Stimmt das? Und wie zuverlässig sind die anderen Modetheorien in Krisenzeiten?
Dass Instagram auch Tiefgang haben kann, zeigt der Account Style Analytics. Dahinter steckt Molly Rooyakkers, die ihren 136.000 Followern datenbasierte Modeanalysen liefert und bereits ein Buch darüber geschrieben hat. Mithilfe selbst entwickelter Codes und Analysetools untersucht sie Modetrends und das Suchverhalten von Konsumentinnen und Konsumenten. Die „Big Bag Theory“ hat sich die in Amsterdam lebende Kanadierin genauer angesehen. Ihr Ansatz: Sie verglich die monatlichen Inflationsraten des US-Arbeitsministeriums seit 2004 mit den Suchanfragen zu vier klassischen Luxustaschen in Übergröße – Louis Vuitton Alma XL, Louis Vuitton Neverfull, Yves Saint Laurent Muse XL und Balenciaga City Bag. Diese Modelle wählte sie, weil sie seit Jahren auf dem Markt sind und sich ihre Beliebtheit über einen längeren Zeitraum verfolgen lässt. Das Ergebnis: Alle Taschen zeigten eine „relevante“ Korrelation zwischen Suchanfragen und Inflationsrate – mit Ausnahme der Louis Vuitton Neverfull. Offenbar steigt das Interesse an großen Taschen tatsächlich, wenn die Wirtschaft schwächelt.
Um die These der Big Bag Theory weiter zu untermauern, analysierte Rooyakkers im Juli 2024 den Suchbegriff „hobo bags“, also geräumige Beuteltaschen. Die weltweiten Suchanfragen stiegen im vorangegangenen Jahr um 24 Prozent, im vorherigen Monat sogar um 35 Prozent. Besonders gefragt waren Marken wie Marc Jacobs, Khaite, Tory Burch und Coach. Auf Pinterest legte der Begriff in den USA innerhalb von sechs Monaten um 15 Prozent zu, im Vereinigten Königreich sogar um 83 Prozent. Auch Begriffe wie „slouchy bags“, „oversized vintage bags“ und „oversized shoulder bags“ verzeichneten Zuwächse.
Doch Suchanfragen verraten nichts über tatsächliche Käufe. Vielleicht träumen die Menschen nur von großen, teuren Taschen, können sie sich aber in schlechten wirtschaftlichen Zeiten gar nicht leisten. Diese Frage kann Henning Korb, Managing Partner beim Luxusmodehändler Apropos, beantworten: „Wir beobachten tatsächlich eine steigende Nachfrage nach großen Taschenmodellen“, sagt er. Ein Beispiel sei die „Margaux Bag“ von The Row, eines der begehrtesten Stücke der letzten Saison. „Ihr Design und ihre Größe inspirierten zahlreiche Kollektionen, sowohl im Luxus- als auch im kommerziellen Bereich.“ Korb vermutet: „In schwierigen Zeiten neigen Menschen, besonders Deutsche, zu Pragmatismus. Große Taschen erfüllen ihren Zweck, während dekorative Accessoires wie Clutch-Bags an Bedeutung verlieren. Außerdem spielt der ‚Value for money‘-Gedanke eine Rolle: Wenn ich schon eine Tasche kaufe, dann eine richtige!“
Keine Spontankäufe!
Eine weitere Theorie zum Warum: In schlechten Zeiten wollen die Menschen mehr mit sich herumtragen, um Spontankäufe von Dingen zu vermeiden, die sie schon besitzen: der Regenschirm bei unerwarteten Regenschauern oder die Trinkflasche, die mit Kaffee oder Wasser gefüllt ist beispielsweise.
Die Nachfrage nach großen Taschen in wirtschaftlich schlechten Zeiten ist also da, und die Modehäuser reagieren. Ein Rückblick auf die Laufstege zeigt: Die Taschen wurden 2023/2024 deutlich größer. Bottega Veneta präsentierte im Frühjahr 2024 Intrecciato-Flechttaschen in Seesackgröße. Chloé zeigte im Winter 2024 riesige Hobo-Bags, die von der Achselhöhle bis zur Kniekehle reichten. Auch Louis Vuitton setzte auf XXL-Formate, manche Models trugen gleich mehrere Taschen unter dem Arm. Zur Erinnerung: Diese Kollektionen entstanden im Herbst 2023, als die Inflation in Deutschland ihren Höhepunkt gerade überschritten hatte. Die Designer arbeiteten also vor dem Hintergrund eines angespannten Wirtschaftsklimas.

Aber die Belastbarkeit solcher Korrelationen ist eingeschränkt. Fast alles kann als Indikator für wirtschaftliche Zusammenhänge herhalten. Die New York Times fand 2008 heraus, dass in Krisenzeiten reifere Playboy-Covergirls beliebter waren, Billboard-Hits länger und bedeutungsschwerer wurden und Abführmittel sich besser verkauften. Fazit: Korrelationen zu finden, ist leicht, Kausalzusammenhänge lassen sich daraus nicht herleiten.
Manchmal funktioniert es aber. So überprüfte ein Forschungsduo der niederländischen Erasmus School of Economics die Rocksaumtheorie. Das Ergebnis: Sie stimmt, allerdings mit einer Zeitverzögerung von etwa drei Jahren (oder sechs Saisons in der Mode). Die Forscher sagten damals längere Röcke für 2011/2012 voraus. Und tatsächlich: Maxi-Plisseeröcke lagen im Jahr 2011 im Trend.
Im Februar 2025 meldete das Statistische Bundesamt erneut steigende Lebensmittelpreise. In den USA rechnet man wegen Trumps Zollpolitik mit einer höheren Inflationsrate. Große Taschen dürften also auch in den nächsten Jahren wieder im Trend liegen. Dabei hatten sie sich gerade erst auf Dackelgröße eingependelt.