Politik

Wer wird aktuell schon zurückgewiesen? | ABC-Z

An diesem Dienstag soll es weitergehen. Dann ist das zweite Treffen der Ampelregierung mit Vertretern der Länder und der Union geplant, um über migrationspolitische Verschärfungen zu sprechen. Nach dem ersten Gespräch vor einer Woche hatten sich die Beteiligten grundsätzlich optimistisch gezeigt. Jedoch hat die Union bald darauf für sich festgelegt, dass sie nur dann noch mal an den Verhandlungstisch im Bundesinnenministerium kommen werde, wenn die Regierung sich beim Thema Zurückweisungen an der deutschen Grenze bewege.

Nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gibt es da offenbar nicht allzu viel zu bewegen, denn Deutschland weise an der Grenze schon Flüchtlinge zurück, wie er am Sonntag im ZDF-Sommerinterview sagte. Die Antworten des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeord­neten Clara Bünger geben Auskunft über das aktuelle Geschehen an den deutschen Grenzen. Die Anfrage und die Antworten liegen der F.A.Z. vor.

Die Zahlen sind innerhalb kurzer Zeit angestiegen

Demnach wurden von der Bundespolizei im gesamten Jahr 2023 insgesamt 123.549 unerlaubte Einreisen registriert. Laut Bundesinnenministerium wurden 35.618 dieser Personen zurückgewiesen, das sind knapp 29 Prozent. Im ersten Halbjahr 2024 wurden 42.307 unerlaubte Einreisen registriert und 21.601 Personen zurückgewiesen, das entspricht 51 Prozent. Warum konnten diese Personen schon jetzt zurückgewiesen werden – und wieso sind die Zahlen innerhalb so kurzer Zeit derart angestiegen?

Entscheidend für das Verfahren an der Grenze ist immer, ob eine Person ein Asylgesuch äußert oder nicht. Nur wenn sie das nicht tun, kommt eine Zurückweisungen im Regelfall infrage. Und längst nicht alle Personen, die an die deutsche Grenze kommen, äußern ein Asylgesuch. 2023 taten das gut 44 Prozent aller Personen, die nach Deutschland kamen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es knapp 23 Prozent. Auffallend ist, dass die Quote der Asylgesuche an den Grenz­abschnitten deutlich variiert. Ein Beispiel: Im ersten Quartal des Jahres 2023 äußerten 57 Prozent aller Personen, die über Polen unerlaubt nach Deutschland einreisten, ein Asylgesuch. An der Grenze zu Österreich waren es im selben Zeitraum nur 14 Prozent. Inzwischen haben sich die Zahlen etwas angeglichen. Im zweiten Quartal dieses Jahres waren es an der Grenze zu Po­len 23 Prozent, an der zu Österreich elf Prozent.

Gefahr für die öffentliche Sicherheit

Die Linken-Abgeordnete Bünger vermutet deswegen, dass Bundespolizisten nicht an allen Grenzabschnitten gleichermaßen die ankommenden Personen in ei­ner für sie verständlichen Sprache darauf hinweisen, dass die Möglichkeit eines Asylgesuchs besteht. Die Linke will sogar von Fällen wissen, bei denen Bundespolizisten Flüchtlingen davon abgeraten hätten, einen Asylantrag zu stellen, weil die Schutzquote ihres Herkunftslands sehr gering sei. Von solchen Fällen hat die Bundesregierung nach eigener Aussage keine Kenntnis. Die Parlamentarische Staats­sekretärin im Innenministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter, sagt darüber hinaus: „Ob Asylgesuche geäußert werden, liegt ausschließlich in der Sphäre der Betrof­fenen.“

Die Union will die Möglichkeit schaffen, künftig auch Personen zurückzuweisen, die um Asyl ersuchen. Friedrich Merz und Olaf Scholz meinen also mitunter unterschiedliche Personengruppen, wenn sie von Zurückweisungen sprechen. Hans-Jürgen Papier, früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichts, gibt Merz recht. Papier hält Zurückweisungen nicht nur für möglich, sondern sogar für geboten. Das sagte er der „Bild“-Zeitung. Personen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisten, sei die Einreise zu verweigern. „Die jetzige Praxis, die faktisch ein Zutrittsrecht für jeden vorsieht, der das Wort ‚Asyl‘ ausspricht, halte ich für nicht zulässig.“ Die jetzige Praxis führe zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Aus Syrien, der Türkei und Afghanistan

Die Zahlen des Bundesinnenminis­teriums zeigen, wie effektiv die Grenzkontrollen vor allem nach Polen und der Tschechischen Republik seit Mitte Ok­tober 2023 sind. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich lange ge­gen diese Kontrollen gesträubt, hielt sie für nicht wirksam genug. Auch hier ein Beispiel zu Polen: Im ersten Quartal 2023 gab es 2268 Asylgesuche an der Grenze, ein Jahr später nur noch 450. Überhaupt ist die Zahl der unerlaubten Einreisen bis zur Einführung der Grenzkontrollen über Polen und die Tschechische Republik stark angestiegen, danach ist sie deutlich gesunken.

Die meisten Personen, die versuchen, über die Grenze zu kommen, stammen aus Syrien, der Türkei und Afghanistan. Neben dem politischen Willen, mit Grenzkontrollen das illegale Migrationsgeschehen einzudämmen, spielte im konkreten Fall auch die politische Stimmungslage im Nachbarland eine ent­scheidende Rolle. Es war kein Zufall, dass die Grenzkontrollen zu Polen unmittelbar nach der Parlamentswahl angeordnet wurden. Denn bei der Wahl gewann ein proeuropäisches Bündnis, das es nicht als antipolnische Politik versteht, wenn Deutschland seine Grenzen besser schützt.

Und auch die Zahl der Zurückweisungen derjenigen Personen, die kein Asylgesuch formuliert haben, ist stark gestiegen seit den Kontrollen. Zu Beginn des Jahres 2023 gab es nur drei Zurückweisungen an der deutsch-polnischen Grenze. Gut ein Jahr später waren es schon 3330. Einen ähnlichen Anstieg gibt es zur Tschechischen Republik. Es gibt viele Gründe, warum eine Person im konkreten Fall zurückgewiesen wird, aber einige kommen besonders oft vor. In der Hälfte aller Fälle erfolgt die Zurückweisung, weil die betreffende Person ohne gültiges Reise­dokument unterwegs ist. Am zweithäufigsten führt die Person kein gültiges Visum oder keinen gültigen Aufenthaltstitel mit sich. Oder die Person hat sich bereits 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen im Gebiet der Schengen­staaten aufgehalten – der dritthäufigste Grund. Nur in etwa zwei Prozent aller Fälle liegt gegen Personen ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot vor.

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