Wenn das Vermögen zur Last wird | ABC-Z

Spezielle Hilfseinrichtungen für Vermögende gibt es nicht. Warum auch, sie können sich doch alles kaufen. Doch Geld allein macht nicht glücklich. Und manchmal sogar unglücklich. Kai Dörfner kennt diese Fälle zuhauf. Er hat auch deshalb vor mehr als zwanzig Jahren in Stuttgart Eva’s Stiftung konzipiert, eine Gemeinschaftsstiftung der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart. Grundgedanke war, dass die Diakonie stets mit vielen Fällen sehr hilfsbedürftiger Menschen konfrontiert war: Kindern, Kranken, Alten, Armen. Aber auch mit Vermögenden, die Gutes tun wollten.
Dörfner hat dies konzeptionell zusammengebunden. Mit Zustiftungen hat er einen einfachen Weg gefunden. Von Beträgen von 5000 Euro an können Zustiftungen erfolgen. Von 25.000 Euro an kann ein Stiftungsfonds auf eigenen Namen eingerichtet werden. Oder in Gedenken an eine bestimmte Person oder Familie. Vier Stiftungszwecke stehen zur Auswahl: die Jugendhilfe, derzeit der Bereich mit dem größten Bedarf, die Hilfe für Wohnungslose, sozialpsychiatrische Hilfe und die Hilfe für ältere Menschen. Wer Eva’s Stiftung freie Hand lassen will, kann auch angeben: „Wo es am Nötigsten ist“.
Der Vorteil für die Stifter: Sie müssen sich nicht tief in das Stiftungsrecht einlesen, keine Stiftungsvorstände einsetzen, die Umsetzbarkeit einer auf Dauer angelegten Stiftung durchdenken samt Satzung, die nicht mehr verändert werden darf. All diese Strukturen sind aufgebaut, funktionieren und erfreuen sich großer Beliebtheit.
„Sie treibt der Wunsch um, etwas loswerden zu wollen“
Eva’s Stiftung ist nicht die größte Stiftung in Deutschland. Aber sie gehört zu den größten fünf Prozent. Gewachsen ist sie, weil hier Menschen einen geschützten Raum finden, über etwas zu reden, über das man selten öffentlich spricht: Geld und Vermögen und wie man damit helfen kann. Zu Dörfner kommen Menschen, die sich davon trennen wollen, für die Eigentum nicht mehr Lust ist. „Für viele Menschen sind nicht mehr immer neue Erlebnisse das Thema ihres Lebens, sondern sie wollen im Älterwerden ihren Alltag auf die Reihe kriegen, sich nicht mehr auf Eigentümerversammlungen herumschlagen, Mieterwechsel organisieren und sich um Renovierungen kümmern“, sagt Dörfner im Gespräch mit der F.A.Z. „Das Ersparte wird für sie zur Last, und sie treibt der Wunsch um, etwas loswerden zu wollen.“
Der Weg dorthin ist manchmal lang. Dörfner bedrängt niemanden. Schließlich will die Diakonie nicht als Erbschleicher dastehen. Oft dauere es Monate oder Jahre, in denen sich die Stifter mit dem Gedanken tragen. „Irgendwann ist dann oft der Moment da“, sagt der Diplom-Soziologe. Die Stuttgarter betätigen sich insofern als Brückenbauer, als dass auch einfache und ältere Wohnungen in die Stiftung eingebracht werden können, was andernorts oft nicht möglich ist. „Es hat nicht jeder Kinder, und oft ist das Wohneigentum die größte Altersvorsorge, über Jahre vom Mund abgespart, in Zeiten, in denen alles fürs Häusle gegeben wurde“, sagt Dörfner. „Diese Menschen haben die große Angst, dass eines Tages, wenn sie mal nicht mehr sind, ihr Inventar einfach aus dem zweiten Stock in den Container geworfen wird.“
Die Krönung der Spenderbiographie
Die Stiftung arbeitet eng mit Sozialkaufhäusern zusammen, hat rege genutzte Suche-biete-Verteiler. Die Wohnungen werden dann oft renoviert und zum Beispiel an ehemals Wohnungslose oder Klienten vergeben, die wegen ihres Schufa-Scores sonst kaum Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt haben. Das Thema bezahlbarer Wohnraum sei gerade in einer sehr teuren Region in und um Stuttgart ein wachsendes. Auch als Mitarbeiterwohnungen werden einige der Immobilien genutzt.
„Wer zu Lebzeiten einen Teil seines Vermögens stiftet, für den ist das oft die Krönung seiner Spenderbiographie“, sagt Dörfner. Spenden bis zur Höhe von zwanzig Prozent des Einkommens im Jahr können steuerlich geltend gemacht werden. Zustiftungen an gemeinnützige Stiftungen indes können auf zehn Jahre beliebig verteilt und bis zu einer Höhe von einer Million Euro je Jahr für Alleinstehende und zwei Millionen Euro im Jahr für Paare geltend gemacht werden. Das Erbrecht kann nicht umgangen werden. Bis zu zehn Jahre nach einer Schenkung oder Stiftung ist im Todesfall ein Pflichtteilsausgleich fällig, sollte es pflichtteilsberechtigte Erben geben.
Für Spenden ist eine zeitnahe Mittelverwendung binnen zwei Jahren vorgesehen. Zustiftungen indes gehen ins Vermögen der Stiftung ein, die aus den laufenden Erträgen ihren Stiftungszwecken nachkommt. Ein Teil des Geldes von Eva’s Stiftung steckt in den Immobilien, ein erheblicher Teil in Wertpapieren. „Früher mussten Stiftungen mündelsicher anlegen, das ging sehr stark auf Kosten der Rendite, mittlerweile ist das Stiftungsrecht hier deutlich flexibler, und die Stiftungsaufsicht lässt auch langfristig sehr viel flexiblere Geldanlagen auch am Aktienmarkt zu“, sagt Stiftungs-Geschäftsführer Dörfner. Wichtig ist für die Stiftungen nur, dass regelmäßig Zuflüsse über Miete, Zinsen oder Dividenden kommen, aus denen dem Stiftungszweck dienliche Ausgaben getätigt werden können. „Das war in der Nullzinsphase schwierig, da haben die Immobilien uns sehr geholfen“, sagt Dörfner.
Das Geld sinnvoll einsetzen
Der Weg zu einer testamentarischen Stiftungsvereinbarung brauche Geduld auf Organisationsseite. „Viele schwanken zwischen Ängsten, Befürchtungen und Hoffnungen“, sagt Dörfner. „Doch wenn ein Testament erst mal gemacht ist oder die Zustiftung erfolgt, dann erleben wir oft eine große Entlastung und Freude bei den Menschen, eine Last, eine Verpflichtung, die sie loswerden mochten, fällt dann von ihnen.“ Teil der Beratung im Voraus ist das Abklopfen möglicher Konflikte. Die Diakonie will sich nicht in Erbstreitigkeiten einmischen oder in Verdacht geraten, jemanden um sein Erbe bringen zu wollen. „Wir erleben viele Menschen aber als ernsthaft belastet bei diesem Thema“, sagt Dörfner. „Sie sind es leid, von Bankberatern dauernd angesprochen und zu Vermögensberatungen geladen zu werden. Sie wollen dieses Thema einfach los sein – Vermögen, das sie finanziell absehbar nicht brauchen.“
Die Stiftung verfügt derzeit über eine Bilanzsumme von mehr als 30 Millionen Euro. Sie hat von dem Geld selbst Wohneinheiten errichtet, zuletzt in Heidenheim 22 Wohnungen unter anderem für kinderreiche Familien. „Das Thema Wohnen gewinnt immer mehr an Bedeutung, die Zahl der Menschen, die keinen bezahlbaren Wohnraum findet, steigt“, sagt Dörfner. „Wir stellen nicht nur den Wohnraum, wir sind auch erfahren darin, Konflikte im Bereich Wohnen zu managen.“
Zu Lebzeiten eingeleitete Zustiftungen sind ein guter Weg
Die Verwaltung des übrigen Vermögens hat die Evangelische Gesellschaft Stuttgart ausgelagert. Sie lässt sich von Banken und Vermögensverwaltern regelmäßig Angebote machen, und ein Anlageausschuss befindet über die bestmögliche Geldanlage. 35 Stifter haben bisher auf ihren Namen oder im Andenken an jemanden eigene Stiftungsfonds unter dem Dach der Eva gegründet – eine Mutter hat zum Beispiel die Wohnung ihres an Krebs verstorbenen Sohnes eingebracht und den Stiftungsfonds in seinem Andenken gegründet.
Für die Fonds können spezifische Stiftungszwecke verabredet werden. Vier größere Treuhandstiftungen werden geführt, viele Hundert Zustiftungen flossen in die vier Fonds zu den vier thematischen Stiftungszwecken. Grundsätzlich nimmt die Stiftung Zuwendungen aus allen Regionen Deutschlands an, hat aber den Fokus auf der kirchenrechtlichen Region Württemberg. „Es gibt aber überall im Land sehr gute Zustiftungs-Möglichkeiten mit Regionalbezug“, sagt Dörfner, ein Vorreiter und profunder Kenner der Stiftungslandschaft. „Aber auch bundesweit agierende Zustiftungen sind möglich, wie bei der Christoffel-Blindenmission oder Klassikern wie Ärzte ohne Grenzen oder SOS Kinderdörfer.
Die Geld- und Immobilienvermögen in Deutschland wachsen seit Jahren von Rekord zu Rekord. Die Zahl kinderloser Erben steigt auch. Der Wunsch nach sinnvoller Verwendung des Geldes ist groß. Wer ohne Erben verstirbt und nichts geregelt hat, der überlässt das Vermögen der Staatskasse. Wer es zielgenauer verwendet sehen möchte, für den sind zu Lebzeiten eingeleitete Zustiftungen ein guter Weg. Das Angebot von Flensburg bis Garmisch ist groß. Bei der Auswahl sollte auf eine gewisse Historie und erwiesene Zuverlässigkeit der Stiftungen geachtet werden. Wer sich umschaut, wird schnell merken, so allein sind Vermögende mit ihren Sorgen gar nicht. 84 Prozent der Stiftungen im Land haben jedoch ein Vermögen von weniger als einer Million Euro. Für den langfristigen Fortbestand und die Erfüllung des Stiftungszwecks wären größere Vermögen wie in Stuttgart sicherlich hilfreich, damit auch nennenswerte jährliche Erträge erzielt und die ordentliche Stiftungsverwaltung bezahlt werden können.