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Giro d’Italia in Albanien: Drang auf die Weltsportbühne | ABC-Z

Große Events sorgen oft für große Sprüche. Angesichts des erstmaligen Starts des Giro d’Italia in Albanien tönte Premierminister Edi Rama, dass sein Land jetzt auf die Weltkarte des Sports zurückkehre. Er erwähnte auch, dass eine Woche später die europäischen Regierungschefs zum Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft nach Tirana kämen.

Ja, Albanien zieht magnetisch an. 10 Millionen Reisende kamen im letzten Jahr auf dem Flughafen von Tirana an, verkündete Rama. Das mache den Airport, auf dem zu Zeiten des Diktators Enver Hoxha nur wöchentliche Linienflüge ausgewählte sozialistische Reiseziele ansteuerten, zum am schnellsten wachsenden Flughafen in Europa. Noch so ein Superlativ, der sich ins Narrativ einer aufblühenden Nation einfügt.

Rama, seit 12 Jahren im Amt, immerhin durch Wahlen, allerdings stets begleitet von Korruptionsvorwürfen, setzte sich höchstpersönlich ein, um den Giro in sein Land zu bringen. Der frühere Basketballer geizte nicht mit Anekdoten aus seiner sportlichen Vergangenheit: „In den 1970er Jahren waren die Radioübertragungen vom Giro für uns ein Fenster zur Welt. Und der Fakt, dass damals einer mit meinem Vornamen, Eddy ­Merckx, um den Sieg mitfuhr, inspirierte mich, mich selbst aufs Fahrrad zu setzen.“ Rama war zehn Jahre alt bei ­Merckx’ letztem Giro-Sieg. Und es ist doch hübsch, wenn Autokraten auch harmlosen Hobbys wie dem Radsport nachgehen und dafür dann Geld locker machen.

Im Falle des Giro-Starts sind es etwa 7 Millionen Euro, die Rennorganisator RCS einstreicht. Es handelt sich um den 15. Auslandsstart des Giro. Erstmals 1965 in San Marino, zuletzt 2022 in Budapest. Probleme mit den finanziellen Garantien muss es gegeben haben. Monatelang wurde die Präsentation der Rennstrecke hinausgezögert, mit Hinweis auf „technische Probleme“. Es kursierten Informationen über einen Plan B mit Start in Süditalien, wohin der Tross nach den drei Tagen im östlichen Anrainerland der Adria ohnehin zieht.

Gelungene Präsentation

Jetzt aber sind die 23 Teilnehmerrennställe in Tirana gelandet. Sie, und alle Begleiter und Medienvertreter tragen dazu bei, dass das ehrgeizige Ziel von 12 Millionen Fluggästen in diesem Jahr – bei einer Einwohnerzahl von 2,4 Millionen – tatsächlich erreicht wird.

Die Präsentation der Teams auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana fanden viele Besucherinnen und Besucher gelungen. Musikkapellen, Tanz­en­sem­bles und Nebelkanonen sorgten für Stimmung. Primoz Rog­lic vom Team Red Bull – Bora – hans­gro­he und Juan Ayu­so vom Team des abwesenden Vorjahressiegers Tadej Pogacar unterstrichen brav ihre Siegambitionen.

Albanische Sportler vermisste man allerdings auf der Bühne. Im World-Tour-Geschäft gibt es derzeit keinen albanischen Radprofi. Die besten Radsportler des Landes fahren auf Klubniveau, also der vierten Leistungsklasse, in belgischen und tschechischen Teams. Den einzigen albanischen Giro-Teilnehmer überhaupt, Eugert Zhupa, vergaßen die Organisatoren dann auch noch einzuladen. Der war darüber ziemlich sauer. Bei einer Veranstaltung im italienischen Kulturinstitut in Tirana sagte er: „Ich wollte für den albanischen Radsport immer eine Bezugsgröße sein, ein Modell, ein Ratgeber. Aber ich wurde niemals angesprochen, nicht einmal jetzt, in diesem historischen Moment.“

Zhupa kam als kleiner Junge mit seinen Eltern in den 1990er Jahren nach Italien. Er wuchs dort auf, wurde vom Radsportfieber vor Ort erfasst und nahm mit italienischen Rennställen von 2015 bis 2018 am Giro teil. Zwar sprang kein einziger Etappensieg dabei heraus, aber viele Emotionen. Er erinnerte sich: „Als der Giro 2017 nach Reggio Emilia kam, meiner Heimatstadt, auf meinen Straßen, habe ich attackiert. Ein Kilometer vor dem Ziel lag ich noch vor dem Peloton. Bei 300 Metern haben sie mich eingeholt. Aber es waren 700 Meter voller Hoffnung und Aufregung.“

Vorbildhafte Breitensportinitiative

Die jetzige Generation albanischer Radsportler ist weit von solchen Erfahrungen entfernt, was den Giro-Start etwas seltsam anmuten lässt. Immerhin nutzte Sportministerin Ogerta Manastirliu die Gelegenheit, ihre „Vision Sport 2030“ für das Land vorzustellen. Darin geht es auch um die Sportinfrastruktur in Schulen. „Wir haben in Sportanlagen in 450 Schulen investiert. Bis 2030 soll jede Schule eine moderne Sportanlage haben.“ Vielleicht sollte die neue deutsche Staatsministerin für Sport, Christiane Schenderlein, in Albanien in Erfahrung bringen, wie man öffentliche Gelder für den Schul- und Breitensport lockermacht. Ihre Amtskollegin in Albanien verwies auch auf das sogenannte School Sports Teams Program, in dessen Rahmen die Basketball- und Volleyballverbände 12.000 Schulkinder in 800 Mannschaften organisiert haben.

So gesehen ist das Sportland Albanien vielleicht doch eine Reise wert. Manchester City hat eine Fußballschule in der Hafenstadt Durres, dem Startort der ersten Etappe, errichtet. Und wer weiß, wer jetzt, in diesen drei rosa Tagen in Albanien, nicht alles für den Radsport begeistert wird. In Sachen Radtourismus ist das Land schon jetzt ein Magnet: Dank der Berge und der malerischen Adriaküste einerseits, aber auch dank mancher Rückständigkeit in der Landwirtschaft. Die lädt dann zu romantischen Bildern mit Eselskarren und Pferdefuhrwerken ein. Derartige Bilder wird sicherlich auch der Giro produzieren.

Im Hintergrund laufen sich derweil die Investoren aus dem Nahen Osten, auch sie ausgestattet mit ihren eigenen Programmen Marke „Vision 2030“, warm. Die Vereinigten Arabischen Emirate, für die jetzt ja schon Topstar Tadej Pogacar Rennen gewinnt, würden im kommenden Jahr den Giro gern nach Abu Dhabi holen. Und der saudische Staatsfonds PIF soll schon sondiert haben, gleich das ganze Ausrichterunternehmen RCS, inklusive die Zeitung Gazzetta dello Sport sowie Serie A-Fußballverein FC Turin zu übernehmen. Im Vergleich dazu ist ein Start der Italienrundfahrt auf der anderen Seite der Adria tatsächlich eine sympathisch lokale Angelegenheit.

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