Wenn Coca-Cola seinen legendären Weihnachtsspot von der KI erstellen lässt | ABC-Z
Spätestens der diesjährige Weihnachtsspot von Coca-Cola zeigt: Die KI erobert die Filmbranche. Für kleine Studios bietet die Technik nie dagewesene Möglichkeiten. Doch unter den Kreativen geht auch die Sorge um, einfach ersetzt zu werden. Und sie scheint nicht ganz unbegründet.
Rote Lkw rollen durch eine verschneite Winterlandschaft in den USA, passieren den Grand Canyon, fahren auf der schneebedeckten Route 66. Auf den Trucks blitzt der „Coca-Cola“-Schriftzug, in den Städten blinken Lichterketten, in den Wäldern blicken Tiere dem Lastwagen nach. 1995 lieferte die Coca-Cola Company ihren wohl bekanntesten Nostalgie-Werbespot zu Weihnachten ab. Dieses Jahr wurde er neu aufgelegt. Doch irgendetwas ist anders.
Beim genauen Hinschauen erscheint die Werbung seltsam. Dem Lkw fehlen Räder, teils ganze Fahrerhäuser. Die Dimensionen der Häuser wirken verzerrt, die Menschen haben allesamt ähnliche Gesichtszüge. Die Spots wirken unzusammenhängend und unfertig. Eine Animationsfirma wäre für dieses Ergebnis wohl zurück ans Zeichenbrett geschickt worden.
Doch die diesjährige Werbe-Offensive von Coca-Cola kommt von einer künstlichen Intelligenz (KI) für Bewegtbild, die mit dem alten Spot als Vorbild drauflos generieren durfte. „Created by Real Magic AI“ wird eingeblendet, Coca-Cola ist stolz auf den Technologie-Vorstoß.
Bei Kunden und Kreativen zugleich kommen die KI-Werbespots des Unternehmens weniger gut an. US-Regisseur Alex Hirsch etwa kommentierte in sozialen Medien, das Rot der Trucks stehe für das Blut arbeitsloser Filmkünstler, zahlreiche Animationsexperten und Drehbuchautoren stimmten ihm zu. Die Kunden kritisieren die schlechte Qualität der Spots.
„Sieht aus, als war das Prompt-Budget schon alle“, so ein Zuschauer auf YouTube, der sich damit über die Art der Anweisungen an die KI mokiert. Coca-Cola dagegen verteidigte seine Reklame gegen die Kritik und lobte gegenüber der US-Fachzeitschrift „Ad Age“ vor allem die Budgetvorteile und das Tempo, in dem die KI Videos erstellen könne.
Die Werbespots werfen ein Schlaglicht auf die KI-Revolution im Bewegtbild-Geschäft: In allen Schritten des kreativen Prozesses sollen Algorithmen künftig menschlichen Kreativen unter die Arme greifen, Drehbücher mitschreiben, in der Vorproduktion Storyboards erstellen, Kostüme und Hintergründe entwerfen. Auch beim Dreh kann künstliche Intelligenz einspringen, ganze Rollen übernehmen oder besondere Effekte berechnen, für die bisher teure Special-Effects-Firmen bezahlt werden.
Noch ist die Technologie erst am Anfang, das zeigt der krude Coca-Cola-Spot. Doch bereits jetzt wird deutlich: KI könnte im besten Fall zu einer beispiellosen Demokratisierung in der Branche beitragen, indem sie kleinen Kreativen und unabhängigen Filmemachern bislang unbezahlbare Möglichkeiten bietet. In jedem Produktionsschritt könne aktuell KI eingesetzt werden, und das werde sie auch, sagt Björn Stockleben von der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.
Er lehrt zum Thema digitale Filmproduktion und sieht in der Technologie vor allem Chancen, die arbeitsaufwendigen und damit teuren Produktionsschritte nach dem eigentlichen Dreh zu automatisieren. KI kann Bildelemente mit visuellen Effekten verändern, Hintergründe können digital ausgetauscht, Stile gewechselt werden. „Wir haben für einen Science-Fiction-Film ein 3D-Modell einer Stadt gezeichnet, die KI hat das Modell dann passend visuell vergrößert und angereichert – ,Skybox‘ heißt das“, erklärt Stockleben.
„Können Erzählformen entwickeln, die sonst nicht zugänglich sind“
„Das hätte früher Wochen gedauert, jetzt nur Tage.“ Für ihn ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz derzeit vor allem für Dokumentarfilme relevant. „Da braucht es weniger Perfektion als beim fiktionalen Film, gleichzeitig sind die Budgets sehr gering“, sagt er. „Mit KI können wir Erzählformen entwickeln, die sonst nicht zugänglich sind.“
Allerdings wird künstliche Intelligenz mittlerweile auch in Spielfilmen verwendet. Kreative hinter den Kulissen fürchten sich vor dem zunehmenden Einsatz und dem Verlust ihrer Arbeitsplätze – von den Designern der Sets über die Special-Effects-Künstler bis hin zu den Synchronsprechern. Für den Horrorfilm „Late Night with the Devil“ etwa verwendeten die Regisseure KI-generierte Kunst, was zu Protesten unter anderem des Hauptdarstellers David Dastmalchian führte. Für das Publikum offensichtlich wurde die KI-Nutzung erst, als Fans Skelette mit lediglich vier Fingern pro Hand entdeckten. Manche riefen prompt zum Boykott auf.
Bereits im vergangenen Jahr begannen zwei große Künstlergewerkschaften damit, sich gegen die Disruption durch künstliche Intelligenz in Hollywood zu wehren. Die Schauspielergewerkschaft „Screen Actors Guild-American Federation of Television and Radio Artists“ (SAG-AFTRA) und die Vereinigung der Drehbuchautoren, die Writers Guild, traten in einen monatelangen Streik.
Sie wollten damit den großen US-Studios sowie Streaming-Produzenten wie Amazon, Netflix und Apple einige Garantien bei der Verwendung von künstlicher Intelliganz abverlangen. „Unsere Mitglieder hatten große Sorge, weil KI schon jetzt eingesetzt wird, um Schauspieler digital zu replizieren“, sagte SAG-AFTRA-Chefverhandler Duncan Crabtree-Ireland beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum.
Vielen sei nicht bewusst, dass das bereits geschehe. Er nannte Paul Walker als Beispiel, der während der Dreharbeiten zum Film „Fast and Furious“ starb und deshalb durch künstliche Intelligenz nachgebildet wurde. „Uns war also klar, dass diese Werkzeuge, die auch noch immer leistungsfähiger und kostengünstiger werden, immer häufiger eingesetzt werden“, sagte Crabtree-Ireland. Um den Streik beizulegen, einigten sich Schauspielergewerkschaft und Produzenten auf erste Regeln. So verbietet die Vereinbarung die Verwendung von computergenerierten Personen oder digitalen Imitationen ohne die Zustimmung der echten Schauspieler.
Mit Blick auf die Zahlen scheinen die Sorgen berechtigt. In den Bereichen Kunst, Design, Unterhaltung, Sport und Medien habe KI das Potenzial, 26 Prozent der bestehenden Aufgaben zu automatisieren, ergab kürzlich eine Studie der US-Bank Goldman Sachs. Damit ist die Branche noch stärker betroffen als die durchschnittliche US-Wirtschaft.
Auch die Politik sieht sich längst zum Handeln gezwungen – insbesondere in Kalifornien, der Heimat Hollywoods. Vor einigen Wochen unterzeichnete Gouverneur Gavin Newsom neue Gesetze, die vor allem Schauspieler vor Fake-Künstlern schützen sollen. Diese ermöglichen ihnen, aus bestehenden Verträgen auszusteigen, wenn Studios mit vagen Vertragsklauseln eine KI zum digitalen Klonen ihrer Stimmen und ihres Aussehens einsetzen wollen.
Ein weiteres Gesetz verbietet es, dass Schauspieler nach ihrem Tod von einer künstlichen Intelligenz repliziert werden. „Diese Gesetzgebung stellt sicher“, sagte der Demokrat Newsom, „dass die Branche weiterhin florieren kann, während gleichzeitig der Schutz der Arbeitnehmer gestärkt wird.“
Benedikt Fuest ist Wirtschaftskorrespondent für Innovation, Netzwelt und IT.