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Wenn Arten verschwinden | tagesschau.de | ABC-Z

Stand: 31.10.2025 10:26 Uhr

Eine bunte Kegelschneckenart von den Kapverden gilt jetzt laut Weltnaturschutzorganisation als ausgestorben. Wenn Arten verschwinden, hat das massive Folgen – und die betreffen alle.

Von Jenny von Sperber, BR

Die Kegelschneckenart Conus lugubris ist jetzt von der Weltnaturschutzorganisation IUCN offiziell als ausgestorben erklärt worden. Die Schnecken dieser Art waren ungefähr zwei Zentimeter groß und besaßen auffällige dunkelrote Schneckenhäuser mit weiß-gesprenkelten Streifen.

Conus lugubris kam ausschließlich an der Kapverdischen Insel São Vicente vor. Durch zunehmende Bebauung und Abwasser wurde ihr Lebensraum zerstört. Seit fast 40 Jahren ist dort keine einzige dieser Schnecken mehr gesichtet worden – trotz regelmäßiger Suchaktionen durch Wissenschaftler, Freiwillige und private Sammler.

Größtes Artensterben seit 65 Millionen Jahren

Die Kegelschneckenart ist nur eine von Tausenden Arten, die jedes Jahr vollständig von der Erde verschwinden. Wir befinden uns gerade im größten Massenaussterben seit dem Ende der Dinosaurier. Jede Art für sich sei vielleicht nicht bedeutend, sagt der Biologe Torben Riehl von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. “Aber jede Art spielt eine kleine Rolle in einer großen Maschinerie des Ökosystems.”

Wenn das eine oder andere Zahnrad dieser Maschine verschwinde, sei es noch ersetzbar, erklärt er, “aber irgendwo kommen wir zu einem Punkt, wo die Maschinerie nicht mehr funktioniert. Und dann kann es sein, dass es zu ganz starken Veränderungen kommt, unter denen wir letztlich auch leiden.”

Das zeigt auch das Beispiel Kegelschnecke: Conus lugubris und ihre Verwandten helfen den Korallen, indem sie fressen, was den Korallen schadet. Die Korallenriffe sind wiederum essenzielle Kinderstuben für viele Fische. Und von der Fischerei leben auf der Erde 800 Millionen Menschen.

Gift der Kegelschnecken wichtig in der Medizin

Conus lugubris hätte vielleicht noch einen ganz besonderen Nutzen für die Menschheit gehabt: Alle Kegelschneckenarten, von denen es etwa 1.000 gibt, sind Räuber. Nachts kriechen sie auf Riffen und am Meeresboden und schießen mit einer langen, giftigen Raspelzunge Beute ab: Fische, Würmer oder Krebse. Jede Art hat ihr eigenes komplexes Gift entwickelt. Eines davon wird als starkes Schmerzmittel in der Medizin genutzt. Es ist ein Wirkstoff, der nicht abhängig macht.

Das Gift von Conus lugubris wäre auch interessant gewesen, sagt der Biologe Torben Riehl: “Theoretisch hätte es sein können, dass eine bestimmte Variabilität dieses Toxins in dieser Schnecke für Krebstherapie nützlich wäre. Das können wir nicht mehr herausfinden.“

Erst ein Bruchteil der Arten überhaupt erfasst

Von den vielen Arten, die jedes Jahr aussterben, werden nur sehr wenige von der IUCN als ausgestorben deklariert. Die Organisation komme gar nicht so schnell mit, ihre Rote Liste der gefährdeten Arten zu erweitern, erklärt Craig Hilton-Taylor, der Chef der Roten Liste bei der IUCN. “Das ist auch gar nicht der eigentliche Sinn und Zweck der Roten Liste”, sagt er. “Wir möchten mit dieser Liste das Aussterben eigentlich verhindern und deshalb schon vorher Alarm schlagen.”

Deshalb werden die von der Roten Liste erfassten Arten in Kategorien eingeteilt: “gefährdet”, “vom Aussterben bedroht“ oder “wahrscheinlich ausgestorben”. Dabei hat die Rote Liste bisher erst acht Prozent aller bekannten Tier- und Pflanzenarten überhaupt gelistet. Die anderen 92 Prozent hat sich die Organisation noch gar nicht angeschaut. “Einige von denen sind mit Sicherheit schon ausgestorben”, schätzt Hilton-Taylor. “Und andere sind gerade dabei, leise und unbemerkt zu verschwinden.”

Wann gilt eine Art als ausgestorben?

Mindestens alle zehn Jahre wird der Zustand der gelisteten Arten nach vorgegebenen Kriterien neu bewertet. So sind in diesem Jahr 75 Arten auf der Roten Liste in die Kategorie “vom Aussterben bedroht / möglicherweise ausgestorben” gerutscht. Um jedoch sicher als ausgestorben zu gelten, müssen Expertinnen und Experten über lange Zeit und wiederholt vergeblich nach der Art gesucht haben.

Seit einiger Zeit können auch Computermodelle helfen, die beispielsweise Lebensraumzerstörungen und deren Folgen modellieren. Wenn so ein Modell das vollständige Aussterben einer Art auf eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 95 Prozent berechnet hat, gilt sie für die IUCN als ausgestorben.

Damit Conus lugubris als ausgestorben deklariert werden konnte, hat der Biologe Torben Riehl zusammen mit fünfzehn internationalen Kegelschnecken-Experten “zwei Wochen lang nichts anderes getan, als sich in die neuen Daten der letzten zehn Jahre einzuarbeiten und diese dann auszuwerten”.

Lazarus-Arten sind extrem selten

Ganz selten kommt es vor, dass eine für ausgestorben erklärte Art doch noch lebendig in freier Wildbahn gefunden wird. Man nennt sie Lazarus-Art. Das können einzelne Individuen sein, die keine Chance auf ein weiteres Überleben sichern, weil sie zu wenige sind, um gesunden zeugungsfähigen Nachwuchs zu bekommen. Es können aber auch kleine Populationen sein.

So war das vor ein paar Wochen in Neuseeland beim Zwergkiwi Pukupuku, der seit 50 Jahren nicht mehr gesichtet worden war. “Das war eine fantastische Überraschung”, sagt Emily King von der Artenschutzbehörde in Neuseeland. “Wir arbeiten jetzt mit unseren Partnern zusammen, um die besten Methoden für ihren Schutz zu entwickeln.” Sollte das klappen, hat der traurige Status des Vogels auf der Roten Liste etwas bewirkt.

50 Jahre nicht gesichtet – und dann wiederentdeckt: der Zwergkiwi Pukupuku

Positive Folgen der Roten Liste der IUCN: künftige Schutzmaßnahmen

Die kleine Meeresschnecke aus Kapverden hat vermutlich weniger Glück: Sie ist seit sechs Meeresschneckengenerationen trotz regelmäßiger Suchaktionen nicht mehr gesichtet worden, und ihr einziger Lebensraum ist zu großen Teilen zerstört. “Diese Schneckenart hat natürlich überhaupt nichts von ihrem neuen Status”, sagt Riehl.

Aber: “Die Rote Liste ist ein Kommunikationswerkzeug, und zwar ein sehr mächtiges.” Und so hat die Regierung der Kapverdischen Inseln schon Konsequenzen aus dem traurigen Ruhm der Kegelschnecke gezogen und ein neues Gesetz zum Schutz heimischer Tier- und Pflanzenarten verabschiedet.

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